Ich bin mit meinen aktuellen Serien durch (The Handmaid’s Tale S03 kriegt am Ende noch die Kurve, Cobra Kai S02 hält das Niveau, ist allenfalls jetzt mehr Dramedy als Comedy), also Zeit für was Neues. Der Trailer von The Long Way Up mit Ewan McGregor auf Apple TV+ neulich hatte mich überzeugt. Der will mit seinem Main Man auf Elektro-Motorrädern von Feuerland nach Los Angeles brettern. Abgebretterte Idee!
Das klingt ein wenig wie eine moderne Version der „Reise des Jungen Ché“ (The Motorcycle Diaries), die Verfilmung der Tagebücher von Ernesto „Che“ Guevara, der Anfang der 1950er mit seinem besten Freund auf Motorradreise durch Südamerika fährt. Ihr Motto dabei: Improvisation.
Die beiden Jungs kommen aus gutem Hause, haben aber trotzdem nicht viel Geld dabei, haben zwar einen groben Plan im Hinterkopf, lassen sich aber vornehmlich treiben. Sie schauen mal, was der Tag so bringt. Die klassische Reise ins Ungewisse. Oft liest oder hört man Beiträge von Leuten, die es gewagt haben, ihren Job zu schmeißen um dann irgendwann mit den wenigen Ersparnissen, die sie hatten, gewagt, aufzubrechen. Durch Afrika nach Kapstadt, durch Asien bis Peking oder gleich einmal um die Welt. Den groben Plan im Hinterkopf, aber der Weg dahin: das eigentliche Ziel.
Improvisación, sagen wir’s mal so, ist das Motto der Protagonisten von „The Long Way Up“ nicht. Acht Monate vor dem Start der Tour stecken sie mit der Produktionsleiterin die Köpfe zusammen und haarklein die Route ab. Das mag man kleinlich finden, aber es ist natürlich irgendwo ehrlich. Wenn die Nutzer zuhause auf ihren shiny Apple-Geräten eine shiny Serie sehen wollen, dann darf man wenig dem Zufall überlassen. Außerdem fährt natürlich ein Filmteam mit; es käme nichts Shiniges dabei heraus, wenn wir nur Material aus den Helmkameras der beiden Protagonisten bekämen.
Und hier nimmt die erste Folge von „The Long Way Up“ Dynamik auf. Es müssten Elektromotorräder mit einer genügenden Reichweite her, und weil der Ewan ein halber Öko ist, soll auch die Filmcrew sie in Elektroautos begleiten. Dafür treffen sie sich mit spezialisierten Herstellern an verschiedenen Orten in den USA.
Um das alles irgendwie zu koordinieren, wird dann – erster WTF-Moment – ein Office eröffnet, in London.
Warum jetzt ausgerechnet London, wenn McGregor in Los Angeles wohnt, an die Südspitze Südamerikas will und die Produktpartner über die USA verteilt sitzen? So richtig wird das nicht erklärt. Weil Apple offenbar genug Geld überwiesen hat. Wir sehen Bilder von den urigen Londoner Taxis, das Team die Möbel in ein gemütliches Bureau in Downtown London einräumen, einen Haufen Mitarbeiter vor schicken Macs sitzen, die irgendwas koordinieren und austüfteln. Was kommt als nächstes, fragt man sich, die Expansion nach Asien?
Die Details sind wichtig, klar. Zum Beispiel: Wo lädt man denn die Akkus der Motorräder und Autos unterwegs eigentlich wieder auf? Ist ja schließlich nicht LA da unten. Um das besser einschätzen zu können – zweiter WTF-Moment – bestellt man von der argentinischen Botschaft ein paar Diplomaten ein. Mit denen geht es um die argentinische Ladeinfrastruktur, das Stromnetz und wo es da eigentlich am schönsten ist. Die nicht ganz so überraschende Erkenntnis: Rund um den Speckgürtel von Buenes Aires und Córdoba seid ihr gut aufgestellt, schwieriger sieht es im peripheren Süden aus. Hübsch is‘ aber eigentlich überall.
Macht außerdem nichts, weil man ja noch ein paar Kontakte in der Hinterhand hat. Der nächste Termin ist bei Rivian, einem noch nicht ganz so bekannten US-Hersteller für Elektro-Offroader. Deren Vorzeigemodell ist eigentlich noch gar nicht auf dem Markt. Aber man kann ja mal fragen, ob sie für den Ewan und sein Team nicht schon mal einen Prototypen bauen können.
Können sie, und, ach ja: bei der Gelegenheit hat sich Rivian entschieden, auch die Ladeinfrastruktur für die Reise aufzubauen, weil: ihr braucht ja Ladepunkte unterwegs, klar.
Moment mal: was?! Ja, richtig gelesen, Rivian baut extra für die Show ein Netz von 150 Ladepunkten entlang der geplanten Route in Südamerika auf. „Das wird natürlich eine Herausforderung für unser Team“, sagt die Mitarbeiterin. Ach…
Und spätestens hier ist die Idee der Improvisation völlig auf den Kopf gestellt. Es geht nicht mehr darum, sich vor Ort zurechtzufinden und zu lernen, entbehrungsreich zu leben, den Weg als Ziel usw. Der Ansatz ist hier: was es vor Ort nicht gibt, bringen wir halt mit oder lassen wir uns schnell dahinsetzen.
Und als Zuschauer sitzt du fassungslos davor und weißt nicht, ob du weinen oder lachen sollst. Warum überhaupt elektrisch fahren, während die unterschiedlichen Teams aus mittlerweile Dutzenden Mitarbeitern und Projektpartnern von drei Standorten aus mit Schiffen und Flugzeugen Autos, Motorräder, Filmequipment, Schneidetische und Logistik nach Kap Hoorn verladen? Ökologischer Fußabdruck anyone?
Aber irgendwo macht das auch Spaß zu sehen, wie die Jungs das neueste vom Neuesten bekommen und damit die Wildnis unsicher machen können. Und irgendwie rührend zu sehen, wie ein Team von Harley Davidson wochenlang seine Freizeit opfert, um die Motorräder für die beiden Protagonisten nach Feierabend noch Anden-tauglich zu machen und sogar die Reichweite von 70 auf über 100 Meilen zu erweitern.
Jetzt wird interessant zu sehen sein, wie der ganze Tross sich tausende Kilometer über Schotterpisten kämpft (wenn sie die nicht auch noch vorher schnell asphaltieren). Nur Überraschungen kann es so eigentlich nicht mehr geben. Ihr seht mich trotzdem irgendwo fasziniert. Und das war erst die erste Folge…
Ihm zu seinem türkisen Schal gratulieren.
Bild des Tages, shot on iPhone 12 Mini:
Eine Antwort auf „137: Not macht verschwenderisch“
Büro in London – Wahrscheinlich ist Apple in Irland der Auftraggeber und Ewan betreibt als „Steuer-Öko“ ein Briefkasten auf Isle of Man… ☹