Tage wie heute wirken irgendwie surreal. Trump als US-Präsident mit klarer Mehrweit wiedergewählt. Die Leute wollen ihn haben. 🤷🏻♂️ Regierungskoalition in Deutschland zerbrochen, Bayern beinahe gegen Benfica verloren…
Gut, letzter Punkt passt hier nicht so ganz rein. Then again: Warum dem Ganzen nicht eigentlich mal mit einer Portion Humor begegnen? Sicher ist die Sache ernst, aber dann wirkt sie auch völlig absurd. Vielleicht ist jetzt umso mehr die Zeit, um einfach mal schallend zu lachen, nicht über, sondern trotz der ganzen politischen Weltlage. Wir sind humorvolle Lebenwesen, aber wir lachen kaum noch. Vielleicht sorgt gerade das für politischen Rechtsruck.
Klar ist an solchen Tagen, dass bei Spaltern in jedweden Regierungen nur das Gegenteil helfen kann: zesamme stonn, wie der Kölner sagt (und der Bonner manchmal auch). Sich daran erinnern, wer einem nahe steht, wer einen an diesem Tag versteht, wenn man sich verwundert bis besorgt die Augen reibt. Demokratischen Amerikanern beistehen, die ihrerseits die Welt nicht mehr verstehen, mal wieder etwas Nettes mit Freunden aus aller Welt und aller Kulturen unternehmen. Das üble Spiel nicht mitspielen. Zusammen stehen, jetzt erst recht.
–
Geheimprojekt
Beta ist gestartet. Wer es testen möchte, schickt mir eine Nachricht.
–
Craftbeer ist in Deutschland gescheitert – „was war das überhaupt?“
In Bonn kam der Trend nie richtig an, aber die einzige wohl echte Craftbeerbar der Stadt, die Bar Balthasar in der City, hat dauerhaft geschlossen. Der Craftbeerladen aus der Altstadt, der immer auch paar Eigenkreationen vom Fass hatte, muss ausziehen und bietet drüben in Beuel nur noch Braukurse an. Bleibt noch AleMania in Pützchen, wer weiß wie lange noch.
Gestern „Spazifonieren“ mit Nicky geplant. Ich dachte, ich mach mal was Anderes, als durch das längst durchgespielte Bonn zu wandern. Es gibt da ja noch diese Weltmetropole und Millionenstadt, knapp 30 km Richtung Norden, und ich hab gerade ein Deutschlandticket. Bisschen mit Nicky quatschen und dabei die Craftbeer-Szene Colonias auschecken.
Craftbeerladen 1 hat keine Biere vom Fass, auch wenn es da angeschlagen steht. Der extrem träge und mies gelaunte Verkäufer gibt mir ein Glas zu meinem Dosenbier und fängt dann kurze Zeit später an, den Tisch vor mir abzubauen. Sorry, sie machten jetzt zu. Und sorry, der Tisch muss weg, und sorry die ganzen Stühle und ich selbst am besten auch. Ja doch, ja doch. Eine Stunde bevor laut Öffnungszeiten Ladenschluss sein soll.
In Craftbeerbar 2 ist man nett zu mir, hat aber wenig Spannendes da, und wenn, dann zu absoluten Mondpreisen. Weil der sehr nette Kellner mich reinredet, bestelle ich ein Glas West Coast IPA für 8 Euro pro 0,3l. Hui.
Bei dem einen belasse ich es dann aber auch und gehe auf einen Absacker in die Delirium Bar in der Altstadt. Und bin im Paradies. 30 Biere vom Fass, glatte vier Hazy IPA, und der Kellner lässt mich alle probieren. Einziges Problem: In dem riesigen Laden bin ich der einzige Gast. Okay, es ist Dienstagabend 2220 Uhr, nicht unbedingt Partytag Nummer 1, aber in der Kölschkneipe gegenüber ist gut was los. Ich schlürfe an meinem Hazy IPA für noch bezahlbare 4,50 Euro, da sehe ich den Kellner die Anzeigentafeln ausknipsen und die Barhocker hochstellen. Gibt’s doch nicht! Laut Google Maps und Türschild sollten die bis 0100 aufhaben. Gut, ich wollte eh gerade den Rückweg nach Bonn antreten. Frage den Kellner, was los sei. Ja, entschuldigt der sich. Heute wäre so wenig los wie noch nie. Da lohne es sich nicht, den Laden noch über 2 Stunden aufzumachen.
Der einst gut sortierte Rewe hier in der Bonner Altstadt hat alle Craftbiere vor einigen Monaten aus dem Sortiment genommen. Es gibt jetzt noch hin und wieder ein IPA, leider nur das nicht so leckere von Crew Republic. In Kiosken, in anderen Supermärkten: überall die gleiche Plörre, zehn Pilssorten, paar Kölsch, Weizen, Helles. Ich ergattere heute einen Viererpack Hazy IPA, mein Nachbar sieht mich damit im Treppenhaus: „Ah, ist das eins dieser neuen Biermischgetränke, so wie Kaktusfeige?“
Jede neue Kneipe rühmt sich, acht Biere vom Fass zu haben. Aber schaust du dann auf die Karte, sind das dann immer ein Pils, ein Kölsch, ein Helles, ein Dunkles, ein Weizen, ein belgisches und dann noch ein Landbier aus der Eifel und dem Sauerland und vielleicht noch mal ein Unfiltriertes. Und dann halten die ihren Laden schon für eine Craftbeerbar.
Craftbeer ist in Deutschland gescheitert bzw. nie richtig angekommen. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich gerne IPA trinke, gucken mich die meisten an, als würde ich von der ersten Mondlandung erzählen. Für die Leute hier bleibt Bier Pils, Kölsch und Weizen. Die Großbrauereien haben gewonnen. Und etwas anderes gibt es nicht und muss es für die Deutschen wohl auch nicht geben.
Dann kann ich auch gleich die CSU wählen. Scheint ohnehin das zu sein, was die meisten wollen. 🙄 /Rant
Jetzt, wo die warme Jahreszeit so langsam zu Ende geht, wird es Zeit mal zurückzuschauen. Und, ja, das war schon krass. So viel gereist wie in diesem Sommer bin ich noch nie. Ich war unter anderem in Madrid, Porto, Lissabon, den Kapverden, Kopenhagen, Maastricht, Venlo, Antwerpen, Gent, Brügge, Canterbury, Dover, Manchester, Amsterdam, Wiesbaden, Triest, Split, Trogir, Primosten, Sibenek, Zadar und Meppen. 😉 Durchgekommen bin ich auch noch durch Paris, München, Ljubljana, Dunquerque und Zagreb, ohne jeweils was von der Stadt gesehen zu haben. Und je mehr ich unterwegs bin, desto weniger habe ich das Gefühl, was hier zum Verbloggen zu haben. Sorry.
Aber ich habe dann manchmal Lust, ein paar Reels aufzunehmen, die ich hier leider nur verlinken, aber nicht posten kann. Ich komme meist selbstbewusster zurück als dass ich losgefahren bin. Habe Bock, neue Dinge umzusetzen, wie mein Geheimprojekt (fast fertig) oder eben Videocontent. Ich denke weniger über alles nach und habe auch weniger Bedenken, ich selbst zu sein. Warum auch immer ich die habe, wenn ich sehr lange am Stück in Deutschland (gewesen) bin. Mal ganz abgesehen davon lerne ich unterwegs zu Weilen richtig tolle Leute kennen. Den coolen Tischler aus Kassel, den Nomad Worker aus Elazig, Türkei, den Singapurer, der sich wunderte, wo in Singapur ich schon alles war, den Inder aus Bremen, den Iraker aus Swansea, den Amerikaner aus Salzburg, die Türkin aus Leverkusen, die tolle Neuseeländerin aus Ichweißnichtmehrwoher. Gerade, wenn ich einfache Unterkünfte wie ein Hostelbett im Schlafsaal wähle. Interessantester Kommentar meiner australischen Zimmergenossin in Zadar: „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der keine Deutschen mag.“
Am Reisen ist nicht alles immer nur toll. Es gibt auch Momente, in denen man einsam ist, Reisen ist teuer, und am Ende wirkt vieles so austauschbar. Ja, es ist toll, dass man mittlerweile fast überall mit Englisch durchkommt. Aber dann ändern sich nur die Kulissen, das Essen und die Sehenswürdigkeiten der Städte, die man besucht. Die Leute sind fast überall gleich. Das ist schön und traurig zugleich. Klasse ist es auf jeden Fall, hier einen befriedeten Teil der Welt zu haben, der sich einfach bereisen lässt. Und es gibt noch viel mehr davon. Ich möchte mir das alles anschauen, denn wer weiß, wie lange das noch geht.
Ach, ich könnte hier eine Menge schreiben. Wie ich mich auf einmal auf den Kapverden wiederfand und drei Wochen lang hauptsächlich mit drei wunderbaren (angehenden) Tierärztinnen verbrachte, die im Schnitt zwanzig Jahre jünger waren als ich.
Wie ich meine Liebe für Straßenhunde, Katzen und Social Media entdeckte. Wie wir morgens auf der Rückbank eines Pick-ups zum Tierheim fuhren und uns den warmen Wind um die Ohren wehen ließen. Wie ich einige Zeit mit einem netten Kleingangster abhing, bis Geld die Freundschaft verdarb und ein 18-jähriger Deutscher für eine Woche mein bester Kumpel wurde. Wie die Chefin mich zwei Stunden lang für meine Arbeit runtermachte, bis mir der Kragen platzte und ich ihr die Meinung geigte – und wir danach ein Herz und eine Seele waren. Wie mir mitten im Slum ein strahlender, junger Typ mit Blume in der Hand aufhalf, als ich gerade mit der Vespa hingefallen war (nichts Schlimmes passiert).
Oder wie der alte Mann, der auf der anderen Straßenseite gestürzt war, immer wieder „Jesus Christus“ in meine Richtung stammelte, nachdem ich – barfuß, weißes T-Shirt, Vollbart – ihm wieder aufhalf. Wie unser Flug gecancelt wurde, man uns acht Stunden warten ließ und Basile, ein tiefenentspannter Franzose, uns mit einem selbsterdachten Gesellschaftsspiel die Zeit vertrieb. So viel erlebt in bloß drei Wochen und selten so viele Tode gestorben. Puh!
Wirklich Heimweh hatte ich eigentlich nicht, auch wenn ich mehrere Male daran dachte, die Zelte abzubrechen und anderswo ein paar Inseln zu erkunden. Doch dieser Song von Ocie Elliott hat mich in dieser Zeit begleitet und mir in schwierigen Momenten (die gab es auch) Kraft gegeben. Ganz nebenbei der schönste Song aller Zeiten:
Es lohnt sich übrigens, dem Duo (und auch Pärchen) aus Kanada mal eine Stunde zu widmen. Da sitzen sie sich im Auto gegenüber, lächeln sich an und machen einfach wunderschöne Musik:
Und die Kapverden: Ach, fahrt einfach hin und schaut’s euch das selbst an! Bestellt der Chefin einen schönen Gruß von mir und geht einen Morgen als Dog Walker mit. Lohnt sich!
Eine Ex-Freundin von mir sagte einmal: „Wenn es 50:50 steht und du überlegst, ob du etwas machen sollst, dann tu es!“
Na ja, aber was, wenn „es“ unter so ungünstigen Voraussetzungen daherkommt?
Letztes Wochenende zum Beispiel wollte ich eigentlich noch einmal auf Bikepacking-Tour gehen. Der Wetterdienst kündigte aber an, dass es zumindest den ganzen Samstag regnen würde. Tat es dann auch, Sonntag war aber wieder schön. Sollte ich noch gehen? Nur für einen Tag? Und bloß, um meinen neuen Campingkocher in the wild auszuprobieren, wohl wissend, dass ich am Montag wieder arbeiten musste und deswegen sehr früh morgens raus, wenn das alles klappen sollte?
Vor einer Woche, einem Sonntagnachmittag, war es irre heiß. Ich mag keine Freibäder, aber die Sieg eigentlich schon. Wäre eigentlich cool, sich da mal wieder reinzulegen. Aber ich hatte noch eine Verabredung um 1800 und kam nicht in die Gänge. Als ich so weit war, war es schon fast 1600. Jetzt echt noch losfahren?
Nachts am gleichen Sonntag war Perseidenregen, und endlich einmal sternenklarer Himmel. Aber hey, ich musste Montag arbeiten, und hatte doch im letzten Jahr schon welche gesehen. Sollte ich mich echt nochmal in den Garten legen,furchtbar spät nachts, nur um mir noch paar Dinge wünschen zu können und, na gut, ein paar hübsche Sternschnuppen zu sehen, dann aber am nächsten Tag voll müde zu sein?
Es hätte Gründe genug gegeben, in allen drei Fällen nein zu sagen.
Ich sagte: ja.
Und lernte so, dass man in der Sieg floaten kann – und es wunderbar angenehm ist, sich dort treiben zu lassen.
Zwanzig Minuten im Wasser reichten mir am Ende dicke. Dass meine Klamotten vom Uferschlamm nachher aussahen wie Sau, war mir egal. Ich hatte noch Zeit für eine Dusche, war rechtzeitig fertig für mein 1800 und die verschlammten Klamotten wanderten direkt in die Waschmaschine.
Um vier Sternschnuppen zu sehen, brauchte es am Ende nur etwa vierzig Minuten im Garten. Ich ließ mein Smartphone in der Wohnung, nahm im Liegestuhl Platz, hatte eine fulminante Sicht auf den Himmel und einen sehr chilligen Ausklang des Sonntagabends. Ich wünschte mir einiges, war danach so müde, dass ich – wieder in meiner Wohnung angekommen – sofort einschlief und am nächsten Tag nur so lala wach aus dem Bett kam. Also wie jeden Morgen halt.
Und ich fuhr zum Campen an den Laacher See, knipste unterwegs ein paar Bilder, wo einige Freunde mich via Status fragten: „Wo bitte ist DAS denn Hübsches?!“.
Rund zwei Stunden den Rhein entlang, dann bei Brohl hoch Richtung Maria Laach. Auf dem Weg dorthin kam mir der Vulkanexpress entgegen. Nach dem Einchecken am Campingplatz sah ich, dass sie dort auch Stand-up-Paddle-Boards vermieten. Ob ich noch schnell eins ausleihen könnte, fragte ich den Rezeptionisten eine Stunde vor seinem Feierabend. Wäre eigentlich schon was spät, maulte der, aber – na gut. So paddelte ich auf dem Laacher See, drehte danach bei wunderschönem Sonnenuntergang eine Runde drum herum, machte Halt beim Kloster Maria Laach und gönnte mir nach Einbruch der Dunkelheit einen schönen Abend im Campingstuhl im Wald.
So lauschig der Sonnenuntergang am Tag davor, so schön auch der Sonnenaufgang am nächsten. Ich weihte meinen Campingkocher ein, machte mir einen Kaffee (Tasse vergessen, aber egal, ich improvisierte mit der Trinkflasche), machte Frühsport mit dem Rad durch die Hügellandschaft, wurde am Nachbarort freundlich von einem buddhistischen Mönch gegrüßt (supercool am Morgen – wenn auch nicht so überraschend, wie es klingt, in Wassenach gibt es ein thailändisches Kloster, warum auch immer), segelte wahnwitzige Abhänge mit teils zwanzig Prozent Steigung hinab (yeehah!), sah zwei Rehe über die Straße hoppeln, nahm ein paar wunderschöne Bilder von der Rheinromantik am Morgen auf, kaufte mir in Bonn grad noch ein paar Brötchen fürs Frühstück und war pünktlich zum Arbeitsbeginn glückselig wieder zuhause.
Also, ja, ich bin Meister der Komfortzone. Warum was Neues ausprobieren, wenn sich das Alte doch bewährt hat?
Na ja, deshalb halt.
Am Ende lohnt es sich irgendwie immer, und ich freue mich über die Erfahrungen, die mich aufmuntern, die mir das Gefühl geben, noch lebendig zu sein, und von denen ich immer was erzählen kann.
Hätte nie gedacht, dass ich mal dahin kommen würde, dass es mir Spaß macht, neue Leute kennenzulernen.
Eventuell liegt das daran, dass es mich sehr viel Energie kostet, Energie, die ich in den kalten Monaten oft nicht habe, und dass ich zu allem Überfluss dazu tendiere, in stressigen Situationen zu schwitzen. Und da gehört das Kennenlernen unbekannter Menschen dazu. Klar, manchmal sind auch welche dabei, mit denen man weniger anfangen kann. Aber ich habe zuletzt die Erfahrung gemacht, dass es sich fast immer lohnt.
Für wenn es wieder Herbst wird und ich mich dann frage, warum ich unbedingt von der Couch aufstehen sollte, hier erneut eine Note to Self als Erinnerung:
Man kann von jedem etwas lernen
Viele haben spannende Geschichten zu erzählen
Und kennen tolle Urlaubsziele, haben Hobbys oder arbeiten für Organisationen, von denen du noch nie gehört hattest
Sie bringen andere Perspektiven in deinen Alltag (besonders Menschen aus einer anderen Generation und/oder einem anderen Kulturkreis)
Sie kennen weitere interessante Menschen (privat/beruflich) und können dich mit ihnen zusammenbringen
In fast jedem Land im Ausland, in dem ich war, waren die Menschen netter und aufgeschlossener zueinander als hier. Gerade Menschen im Ausland oder Menschen aus anderen Kulturkreisen hierzulande kann es sich lohnen anzusprechen.
Könnt ihr übrigens auch, wenn ihr bislang davor zurückschreckt. Und wenn doch mal jemand dabei ist, mit dem man nicht harmoniert (vielleicht sogar der ganzen Gruppe), dann einfach weitergehen.
Hab ich das alles nur geträumt, oder ist das wirklich passiert?
An einem Montagabend fahre ich in einem gar nicht mal so tollen Zustand los. Wahrscheinlich ist ein Urlaub längst überfällig gewesen. „Wohin“, fragt mein Nachbar, der mich zufällig vor meinem Haus mit Sack und Pack mit der Navi-App auf dem Handy stehen sieht, als ich gerade losfahren will. „Nach Westen“, sage ich, „Bis die Leute irgendwann anfangen Englisch zu sprechen.“
30 Kilometer später fällt mir auf, dass ich an alles gedacht habe: Offline-Navi, Ladekabel, Reisepass für England, Magnesium, Regenzeug – nur mein Portemonnaie liegt noch da, wo es immer liegt. Rufe Nicky in Portugal an, die immer spontan eine Lösung weiß – wenn es eine gibt. Vielleicht irgendwie die Kreditkarte noch auf Apple Pay einlernen und dann alles mit dem Handy bezahlen? „Und deine Versichertenkarte? Das klappt alles nicht“. Sie hat recht. Ich fluche und fahre zurück. Neustart am nächsten Tag.
Kurz vor Maastricht auf einen Bauernhof mit Campingplatz. Keine Lust mit irgendwem zu reden – außer mit der Bäuerin auf Niederländisch, die gleichzeitig ihr Deutsch verbessern will. Kilometerlang bei Gegenwind am Kanal weiter nach Antwerpen, wo mich das Navi plötzlich eine Rolltreppe runter in eine Art Elbtunnel schickt. Meine wundervollen Nebencamper aus England bitten liebst um mein Ladegerät – und bedanken sich später schriftlich dafür mit einer stattlichen Google-Translate-Übersetzung auf einer benutzen Serviette. Ein paar Bier vor der Liebfrauenkirche in Antwerpen, Broodjes und danach mitten in der Nacht die besten Fritten meines Lebens.
Ein Radfahrer, der minutenlang hinter mir klebt, als ich ihn überhole (spooky), Outdoor-Dusche in Brügge, ein französischer Motorradfahrer aus Bourges, ein Campingplatzbetreiber, der hier Ferien vom Lehrerberuf macht, kurzer Ausflug in die Innenstadt. Brügge jetzt zu oft gesehen, könnte bedenkenlos sterben. Stärkung an einem Automaten unterwegs, netter Plausch mit anderen Radfahrern auf der Bank davor. Mein Niederländisch wird langsam alltagsfähig! Mein erstes Nachmittagsbier kurz vor der Grenze in De Panne, weil die Belgier das auch (alle) so machen.
Bei sengender Hitze durch Dünkirchen, bis zum Ferry Port Dünkirchen in Loon-Plage sind es noch einmal fast 20 km auf einer grausigen Strecke. Hier wohnen wirklich Flüchtlinge im Busch, einen direkten Radweg gibt es nicht, Komoot und Google Maps versagen komplett. Komme völlig durchgeschwitzt bei der Passkontrolle an. „Cheers Mate“, sagt dann aber einfach nur der britische Grenzbeamte. Überfahrt an Deck, ich bin der einzige Radfahrer und komme als erster von Bord, weiß dann nicht wohin. Der roten Linie folgen, sagt ein Zuweiser, aber die ist unterbrochen.
Die Cliffs of Dover hinauf muss ich mein Rad Treppen hoch schieben. Niemand hilft, Ausblick dennoch magisch, haste zum Camingplatz, der bald zumacht (aber ich hatte vorher angerufen), werde aufgenommen, stehe völlig perplex vor der größten Campingwiese mit Meerblick aller Zeiten, lerne Claudio und Tobias aus Deutschland kennen, geselle mich dazu, trinke mit beiden später ein Bier im Pub, bekomme ein Lob, weil ich darauf bestehe, auch ein paar Worte mit den Locals zu wechseln.
Tobias lädt mich zum Frühstück aus dem Campingkocher ein, verabreden uns in Canterbury auf dem nächsten Zeltplatz. Komme auf dem Weg dahin in Deal und Sandwich vorbei und mit einer anderen Radfahrerin ins Gespräch, sie lädt mich zu einem Konzert ein. Ich weiß leider, dass ich es dazu nicht schaffen kann, aber frage nach ihrer Nummer, bekomme sie und melde mich am nächsten Tag. Treffen uns zum Dinner in Margate, habe einen kleinen Urlaubsflirt mit Abschiedskuss. 🙂 Trauen wir uns, diese Treppe ins Wasser hinunterzuklettern? „Only one way to find out“, sage ich. Stehe mit nasser Hose, sie mit nassem Kleid im Wasser, nehme ihre Hand. Dieses Hochhaus ziehe sie irgendwie magisch an, sagt sie. „Komm, da gehen wir hin“. Klingeln bei einem zufälligen Bewohner, die Mailbox springt an, sprechen die Botschaft darauf, dass er der beste Mensch ist, den die Welt je gesehen habe und dass wir ihn dafür lieben, wer er ist.
In Canterbury mit Tobias in einem Local Pub. Sehen den englischen Originalen beim Flirten zu. Ich spreche meine Thekennachbarin an, nur um ihren Akzent zu hören. Sie sagt, sie sei 20 und ihr Freund wäre heute nicht da. Das wäre okay, sage ich und dem Transvestiten, der neben ihr steht. Sie sollten nach Deutschland kommen, das würde ihnen gefallen. Frage die sehr hübsche Dame hinter der Theke, warum sie Kellnerin geworden sei. „I’m not a waitress“, sagt sie spielend entrüstet“, „I’m a bartender“. „Is there a huge difference“, frage ich. Die Antwort verstehe ich nicht, weil ich Engländer nur schlecht verstehe. Aber irgendwie muss sie auf ihren Studienplatz warten oder so etwas. Ein unfassbar gut gelaunter Südafrikaner stellt sich neben uns an die Theke, will uns kennenlernen. Er kommt mir schwul vor aber, aber es scheint gar kein Flirtversuch zu sein. Er will uns ein Bier ausgeben, tut das, dann will er sich verabschieben. „Are you real“, frage ich ihn. Er lacht sich scheckig, als ich das frage.
In Dover schiebe ich suchend mein Fahrrad durch die fast verwaiste Innenstadt. Eine alte Lady sieht das und kommt auf mich zu. „Do you need help, dear?“. Na ja, ich suche einen Ort, an dem ich etwas essen und trinken kann. Sie hält die nächstbesten Typen auf der Straße an und fragt, ob sie von hier kämen. „I’m about as far from Dover as you can imagine, love“, sagt der eine. Sie hält eine Frau mit pinken Haaren an, die sie flüchtig zu kennen scheint. Beide beraten kurz, denken über das eine Pub nach, raten mir dann eher zum anderen, schicken mich schließlich in die Biker-Kneipe, in der ich auch lande. Mit meinem Fahrrad hätte ich da eher das kleinste Bike, aber das wäre ja kein Problem, oder? Am Schluss frage ich die Frau noch, ob sie nicht selber auch aus Dover komme. „Darling, I’ve been living here 81 years, and to be honest: it is a shitty place.“ – „Then why d’you never leave?“ Da lacht sie nur und winkt ab.
Vor der Kneipe sitzt ein Mann, den ich auf den ersten Blick für obdachlos halte. Als ich wieder rauskomme, frage ich ihn, ob ihm ein Bier oder was zu essen ausgeben könne (in der Kneipe nicht teuer). Er bedankt sich: nein danke, er habe genug von allem auf. Aber ob ich mich nicht setzen wolle. Will ich dann kurz. Er hat ein so gepflegtes Äußeres, gibt mir Reisetipps, wir sprechen über die Wirtschaft, Englands Geschichte – dass ich kurz überlege, ob mich mein erster Eindruck nicht getäuscht haben könnte. Als er sich verabschiedet, frage ich ihn noch, wo er heute unterkäme. Würde sich schon was finden, sagt er.
Auf der Rückfahrt sind wir diesmal deutlich mehr Radfahrer auf der Fähre. Weil eine Engländerin und ich zu lange brauchen, unsere Taschen wieder aufzusatteln, müssen wir warten, bis alle anderen Motorräder, LKWs, und Autos von Bord sind. Leicht genervt erreichen wir das Tor zur EU – das sich nicht öffnet. Wir winken einer Gruppe von Grenzbeamten dahinter zu. Es tut sich minutenlang nichts. Dann endlich kommt ein Auto und das Tor öffnet sich. Wir fragen die französischen Grenzbeamten dahinter, was da los war. Es stellt sich raus, dass sich das Tor nur nach Gewicht öffnet, und wir zwei Radfahrer dafür zu leicht sind. Da kommste nicht in die EU, weil du kein Auto fährst. Ich finde das höchstamüsant, aber die Engländerin will sich lieber beschweren. Das kommt nicht gut an. „If you don’t elike it“, antwortet ein französischer Grenzbeamte, „you can drive in your country, non?“
Übernachtung nahe Oostende auf einem Campingplatz am Strand. Wunderbare Lichtstimmung zum Sonnenuntergang am Meer. Abends klaut man mir meine Powerbank und mein Ladegerät im Waschraum. Kurz hinter Brügge steuere ich am nächsten Tag ein Einkaufszentrum an, um mir beides neu zu kaufen. Kurz davor sehe ich einen älteren Radfahrer mit blutendem Bein am Boden liegen, eine Frau daneben mit ihm im Zwist. Sie spricht nur Flämisch, er nur Französisch. Sie war auf der Gegenfahrbahn, aber er hatte sie nicht gesehen, sie beteuert ihre Unschuld. Ich operiere mein Mini-Verbandsset aus meiner Tasche heraus. Als ich fertig bin, hat sich der Alte schon fluchend verabschiedet. Bekomme die letzte Powerbank in einem Fachgeschäft für Waschmaschinen. Die seien grundsätzlich leider nicht vorgeladen, sagt der Verkäufer. Ist sie dann aber doch.
Besuch bei Sven und Sarah in Dendermonde. Ich bin zum Abendessen eingeladen, und Sven gibt mir eine Stadtführung (<3). Seine Tochter zeigt mir, wie man einen Zauberwürfel löst (bestelle mir noch unterwegs einen) und spielt mir „Despacito“ auf ihrer Ukulele vor. Ich revanchiere mit mich „Kiss me“ von Sixpence None the Richer.
Noch mehr Fritten unterwegs, auf dem vorletzten Camingplatz treffe ich Ruben, 25, einen Klempner aus Brüssel. Er sei froh über seine Arbeit, sagt er, habe seit kurzem eine Freundin und baue sich gerade ein Haus. „Was? Mit 25 schon?“, frage ich. Ja, sagt er, teuer sei das immer, also warum nicht gleich jetzt eins bauen? Bis er mit seiner Freundin zusammengekommen war, seien drei Jahre vergangen, seit er. Das Haus baue er aber nicht für sie.
Regen, Hitze, der höchste Punkt der Niederlande, der gleich neben dem Dreiländerpunkt liegt, noch ein paar tolle Smalltalks unterwegs mit Radfahrern mit Rückenproblemen, einer Bikepackerin aus Amsterdam und einem Eisdielenbesitzer in Düren, der mir immer freundschaftlich auf die Schulter klopft. Und dann, plötzlich, bin ich wieder in Bonn.
Und, klar, man hätte auch zu Hause eine schöne Zeit haben können. Dann hätte ich meine alte Powerbank jetzt immer noch. 😉
Macht man auch nicht oft. Sich mitten ins Nadelöhr der Innenstadt setzen und dort ein Buch lesen. Habe ich heute Abend aber für eine halbe Stunde gemacht.
Weil ich im öffentlichen Bücherschrank am Stadthaus „Modern English Short Stories“ sah und es erst mitnehmen wollte, und dann dachte: Warum nicht gleich hier jetzt spontan on spot eine Kurzgeschichte lesen und das Buch dann wieder zurücklegen? Das tat ich dann.
Leute gingen vorbei, ich sah nur Beine und Füße, hörte vorbeisausende Fahrräder, Gesprächsfetzen, Busse, Straßenbahnen. Anfangs fiel es mir schwer, mich deswegen auf die Geschichte zu konzentrieren, eine von John Steinbeck. Je mehr ich las, desto besser gelang es mir aber.
Ich kam mir komisch vor, ein bisschen unkonventionell. Normal sitzt an der Stelle keiner, außer wenn er um Geld bettelt oder Crepes verkaufen will. Oder wenn da einer sitzt, schaut er aufs Handy, aber nicht in ein Buch. Nach einiger Zeit war es mir aber egal, was die Leute denken.
Ein Bekannter hielt an, grüßte und gab mir die Hand, erzählte von seinem geplanten Urlaub, und dass er jetzt zum ersten Mal im Leben fliegen würde. „Tatsächlich?“, fragte ich. „Ja“, sagte er, und er wäre ein bisschen aufgeregt. Müsse er aber nicht sein, sagte ich, da passiert nichts, aber das erste Mal ist wirklich ein wenig aufregend.
Ein Typ sprach uns beide an, er sah nicht aus wie jemand, der um Geld bettelt, zu gut gekleidet, zu gepflegt der Bart, zu cool die Sonnenbrille. Ob er uns was fragen dürfe. Was denn, fragte mein Kumpel. Kokain, sagte er. Nee, wir hätten keins, sagte ich. Erst später dämmerte mir, dass er vermutlich keins schnorren, sondern uns eher etwas anbieten wollte. Ist mir auch noch nicht passiert. Wobei, einmal doch. Vor Jahren im Nyx kam ich mit meinem Thekennachbarn ins Gespräch und irgendwann fragte er mich unverblümt, ob ich „was da“ hätte, ich wäre da der Typ für. Vielleicht eine neue Karrierechance, aber was mit Internet ist ja auch nicht schlecht und weniger gefährlich.
Der Typ jedenfalls verabschiedete sich, mein Kumpel wenig später auch. Ich las die Geschichte noch fertig – am Ende wird geschossen! – und ging dann auch. Hat sich beinahe wie ein Sozialexperiment angefühlt. Dabei hatte ich einfach nur öffentlich ein paar Seiten im Buch gelesen.
*
Geschichten erzählen
Das ist bisher das, was ich mit meiner Betreuungsperson mache. Ich frage ihn über sein Leben – er hat einiges erlebt – und hab die beiden Male, die wir uns bisher trafen, erstmal ein bisschen was von mir erzählt, um das Eis zu brechen. Und das ging. Ich dachte immer, ich könnte keine Geschichten erzählen. Aber oft liegt’s daran, dass mir die Ideen erst beim Erzählen kommen – oder vielleicht, dass nie einer zuhört, wenn ich was Spannendes zu erzählen hätte.
Zum Beispiel, wie ich damals vom Nordkap kam, nach Russland reinfuhr, alle 20km kontrolliert wurde, aber nichts verstand und den bewaffneten Streckenposten deswegen immer nur meinen Pass mit Visum unter die Nase hielt, wie ich Fotos von einem Panzerfriedhof machte und plötzlich ein grimmiger Soldat angelaufen kam, wie ich mit einem 100.000-Rubel-Schein die Supermarktkasse sprengte, weil ich mit dem Geld durcheinander kam und in Russland alle längst bargeldlos bezahlen. Oder wie mich in Singapur, in dem Wohnblock, wo ich mit meiner damaligen Freundin und ihren Eltern wohnte, die Leute für einen Mönch hielten.
Aber ja, angestachelt durch meine Geschichten kam er dann auch ins Erzählen von Kenia, von Portugal, von Spanien, von seinen zwei Ehen. Ich musste immer mal wieder nachhaken, weil er seit seinem Schlaganfall schnell abdriftet. Aber das soll man als Journalist ja. Jetzt muss ich noch bisschen was erleben, um noch mehr erzählen zu können – und so auch ihn zum Reden zu bekommen.
*
Urban Chicken Aventure
Montags mache ich Bodypump im Fitnessstudio und danach war ich jetzt schon ein paarmal in einem Grill am Bahnhof ein halbes Hähnchen essen. Weil man nach dem Kraftsport ja Eiweiß und ein halbes Hähnchen davon ganz viel…
Der Grill, in dem ich das immer tat, ist jetzt umgezogen, dahin, wo bis vor ein paar Wochen noch ein erstaunlich ähnlicher Laden mit erstaunlich ähnlichen Leuten war. Egal, ohnehin eine etwas zwielichtige Gegend – aber dat Hähnsche war top! Nur dass sie jetzt die Preise angezogen haben: 12,50 Euro statt vorher 8,50.
Ich frag den Kellner, ob Salat dabei wäre, er sagt nein, nur Pommes und Brot. Ich sage, okay, dann bitte halbes Hähnchen mit Brot und Salat statt Pommes. Er sagt: okay, und wenig später stellt er mir einen Teller Pommes und einen großen Teller Salat dahin. Ich so: Aber ich wollte doch ein halbes Hähnchen. „Halbes Hähnchen! Ist okay, bestelle ich noch.“ Wenig später kommt das halbe Hähnchen, eingepackt in Brot und mit Pommes. Hm. Da ist offenbar was schief gelaufen.
Als die Rechnung kommt, steht da: 24,50. Ich sag dem Kellner, ich wollte doch nur ein halbes Hähnchen. Ja, aber ich hätte noch Pommes und Salat bestellt. Nee, hätte ich nicht, ich wollte Salat statt den Pommes. Hätte ich aber nicht gesagt. Der Typ bleibt stur, sagt: Das ist die Rechnung. Ich sag: nee, war ein Missverständnis, bleibe auch stur, sehe unzufrieden aus. Der Typ beschwichtigt, sagt: okay, und holt seinen Chef.
Chef sieht aus wie ein Türsteher, volltätowiert und Stiernacken. Sie mussten ihn ein paar Minuten vorher zurückhalten, damit er nicht auf einen aus der Szene losgeht, der sich aufs Klo geschlichen hatte. (Vielleicht war auch bisschen Show dabei, nein Chef, nicht schon wieder…). Chef kommt an meinen Tisch, schaut grimmig und ich erinnere mich gerade noch: Lächeln kann helfen. Ich erklär ihm die Angelegenheit, lächle dabei. Er, supernett: „Kein Problem, nehmen wir den Salat raus! ❤️“
Dass ich den ganz aufgegessen hatte, habe ich da nicht noch mal erwähnt…
Der Kellner bringt die neue Rechnung. Da stehen nun 16,50 (wir einigten uns drauf, dass ich die Extra-Pommes übernehme). Ich schiebe ihm einen 20-Euro-Schein rüber. Er, begeistert. „Stimmt so?“ und zwinkert mir zu. Ich verdrehe die Augen, muss dann aber auch lachen. „Ja, stimmt so.“
Ich hab mich in Porto und Madrid sehr wohl gefühlt, kenne sogar ein paar tolle Leute jetzt da. Komme dann wieder und erfahre als erstes, dass meine Lieblingsnachbarn im Haus wahrscheinlich eine Wohnung gefunden haben. Meine anderen Lieblingsnachbarn wollen auch nicht mehr lange bleiben, weil ihre Wohnung auch wirklich in einem katastrophalen Zustand ist. Dann gibt es Tage, in denen ich mich selbst in meinen sozialen Zirkeln unverstanden fühle. Ich hab hier keine Beziehung, meine besten Freunde sind weggezogen, und so richtig zum Rheinländer geworden bin ich all die Jahre auch nicht.
An dem Punkt stand ich schon einmal, und immer mal wieder kommt der Gedanke, doch einfach wegzuziehen. Aber wohin. In Deutschland könnte ich mir eigentlich nur Berlin oder Hamburg vorstellen – na toll, noch anonymere Städte. Und Porto? Ist schon ein teures Pflaster, ich komme nicht darüber hinweg, dass der melancholische Portugiese kein lebenslustiger Spanier ist, auf die Bürokratie habe ich wenig Lust, und so schön es da ist: meine Traumstadt ist es trotz allem nicht.
Ich hab’s genau genommen ja sogar versucht mit Singapur und Berlin. Aber das hat nicht geklappt, weil die Beziehungen dort nicht geklappt haben.
Bleibt mir doch erstmal „nur“ die Selbstfindung (wobei ich da kurz vor dem Ende bin, vieles gefunden habe, was mir nicht gefällt, und damit wohl leben muss) und die anschließende Weltreise, bis ich meine Traumstadt (und -frau) gefunden habe.
So schlimm wäre das fei scho nicht. Hoffe nur, es findet sich da auch was.
Zum Beispiel…
*
Indien
Ich spielte heute Tischtennis mit einem Kumpel aus Indien, und wir kamen ein bisschen ins Gespräch:
„Das Leben in Indien ist viel umkämpfter als in Deutschland. Deswegen kam ich auch hierher.“
„Aber hier sind die Leute nicht gerade nett zueinander.“
„Aber es gibt hier viel mehr gute Jobs für alle. In Indien gibt es Millionen junger Leute, die zwei Jahre lang nur dafür lernen, um den Aufnahmetest an einer der großen Universitäten zu bestehen. Und qualifizierte Jobs gibt es dann nur für einige von denen. Das ist auch der Grund, warum so viele hochqualifizierte Inder auswandern.“
Das mal wieder zur Erinnerung daran, dass wir es hier eigentlich ziemlich gut haben. Warum nur sind dann alle so mies drauf?
Vielleicht weil…
*
Schwul
„SO’N BISSCHEN SCHWUL BIST DU SCHON AUCH!!“, brüllte mein schwuler Kumpel gerade durchs Haus, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich in Porto bei der Pride Parade mitmarschiert bin.
Ganz ehrlich? Manchmal wollte ich, ich wär’s. Bei Schwulen weißt du wenigstens sofort, wie du dran bist. Die sagen dir, ob sie dich sexy oder cute finden. Frauen machen sowas nicht. Die gucken dich geringschätzig an und denken dann, sie haben dir doch Signale gesendet, warum reagiert der Typ denn nicht?
Dann allerdings ist er genauso Single wie ich, hat genauso Schwierigkeiten, jemanden kennenzulernen. Außer Frauen, die würden ihn oft ziemlich aggressiv anbaggern.
Das billige Hostel, das einen WhatsApp-Kontakt empfahl, damit der wunderbare Concierge dich kurz vor Mitternacht noch ins Taxi lotste, direkt am Eingang empfing und selbst dann noch auf der Touri-Karte alle Places of Interest für dich einkreiste, also quasi alle, damit du eine tolle Zeit vor Ort hast. Wieder einmal gemerkt, wie nett die Spanier sein können (und dass du auch deswegen damit leben könntest, wenn sie das Viertelfinale gewännen).
Den illegalen Flüchtling aus Gambia, dem du eventuell – vielleicht aber auch nicht, aber das ist egal – mit einer kleinen Geste eine neue Chance gegeben hast. Prima Churros und Tapas, auch wenn das ein Klischee ist, fantastische Paläste und Bauten, richtig heißes Wetter, Typen, die bei 35 Grad im Gorilla-Kostüm Geld verdienen müssen und sich herzlich bedanken, wenn du ihnen 1 Euro in den Topf schmeißt, schön verzierte Heißgertränke in einem koreanisch-kitschigen Plüschcafé.
Porto
Vielviel wunderbaren Deep Talk mit Nicky und Juan, Spaziergänge am Strand, Sonnenuntergänge in Gaia, ins kalte Wasser gehüpft, Porto Tonico getrunken, lecker Bifanha gegessen, mit wunderbaren Menschen Fußball geguckt, die gar kein Fußball mögen, aber den weiten Weg auf sich nehmen, nur weil sie dich vor einem Jahr mal kurz getroffen haben und unbedingt wiedersehen wollen. Mit besonderen Leuten und buntem Kranz um den Hals auf der Pride Parade mitmarschiert, weil du direkt nach Ankunft drei bekannte Schwule von Nicky getroffen hast, die dich herzlich begrüßt und dich beiläufig gefragt haben, ob du am Samstag mitläufst. Tat ich.
Menschen, die dir Komplimente machen und nachts Nachrichten schicken wie „Bleib doch hier“ oder „Es war sooo toll, dich nochmal zu sehen“, dass du fast meinen könntest, sie meinten das ernst (und sie tun es wahrscheinlich auch). Barbesitzer, die dir auch nachts um drei noch aufmerksam zuhören, den Laden schließen und fragen: Sollen wir noch einen zusammen rauchen?
Es war nicht alles krisenfrei, aber das hauptsächlich mal wieder dadurch begründet, dass es an beiden Orten viel zu viele schöne Frauen gibt, als dass du auch nur technisch dazu in der Lage wärst, einen Bruchteil davon zu daten.
Weil das alles in deinem Spatzenhirn irgendwie nicht gespeichert bleibt, hier noch einmal die Reassurance to Your Future Self:
DAS ALLES WAR EINE GUTE SACHE. ES TUT DIR RICHTIG GUT, HAB DA VIEL MEHR VON. SCHAU DIR DIE WELT AN!
Ich mag es, die Romanvorlagen von Serien zu lesen und dann die Unterschiede zu studieren. In „The Handmaid’s Tale“ sind diese gar nicht einmal so groß. Das Buch ist klasse, Margaret Atwood erschafft mit wenigen Worten die Welt, die man so ähnlich in der Serie erleben kann. Auch wenn die Beschreibungen der Hauptpersonen maßgeblich auf Dialogen basieren, hat man ein gutes Bild von ihnen und ihren Eigenschaften im Kopf. Hat ein bisschen gedauert, um reinzukommen, aber habe ich dann zum Ende hin weitestgehend verschlungen.
*
Heute habe ich offiziell ein Ehrenamt übernommen. Ich betreue für die Malteser alte Menschen und verbringe einfach nur ein wenig Zeit mit ihnen. Mein Klient ist Anfang 60, hatte einen Schlaganfall, ist bettlägerig und hat einen so unglaublich warmen Gesichtsausdruck, dass mir fast die Tränen kamen, ihn da so zu sehen. Vor dem Haus steht noch sein Motorrad, mit dem er bis zu seinem Schlaganfall unterwegs war. Jetzt will er sich zurück ins Leben kämpfen. Mir war es heute fast, als hätte er mit meiner Koordinatorin, die zur Vorstellung dabei war, nur mit Blicken ein wenig geflirtet. Und mir später tolle Geschichten von seiner großen Liebe erzählt. Ich dachte lange: Für so etwas habe ich nicht auch noch Zeit und Kraft. Aber ich glaube, ihm wird es gut tun, und ich werde einiges von ihm lernen können.
*
Es hat gedauert, aber das EM-Fieber hat jetzt auch mich gepackt. Schätze, das Viertelfinale wird der Knackpunkt oder sogar das vorgezogene Finale, weil dort die Spanier warten werden, also die beiden dann bis dahin besten Turniermannschaften aufeinandertreffen. Ich weiß noch nicht, wie wir die schlagen sollten. Tun wir das, gewinnen wir auch das Turnier, da bin ich mir fast sicher.
*
Werde nächste Woche einmal das Land verlassen. Urlaub ist es noch nicht wirklich. Sommer ist aber auch noch nicht da. Es sind höchst sonderbare Tage derzeit.
Cookies
Diese Website verwendet Cookies. Ich gehe davon aus, dass du mit der Nutzung einverstanden bist. Wenn nicht, kannst du sie in den Cookie Settings unten deaktivieren.
This website uses cookies to improve your experience. We'll assume you're ok with this, but you can opt-out if you wish. Cookie settingsACCEPT
Privacy & Cookies Policy
Privacy Overview
This website uses cookies to improve your experience while you navigate through the website. Out of these cookies, the cookies that are categorized as necessary are stored on your browser as they are essential for the working of basic functionalities of the website. We also use third-party cookies that help us analyze and understand how you use this website. These cookies will be stored in your browser only with your consent. You also have the option to opt-out of these cookies. But opting out of some of these cookies may have an effect on your browsing experience.
Necessary cookies are absolutely essential for the website to function properly. This category only includes cookies that ensures basic functionalities and security features of the website. These cookies do not store any personal information.
Any cookies that may not be particularly necessary for the website to function and is used specifically to collect user personal data via analytics, ads, other embedded contents are termed as non-necessary cookies. It is mandatory to procure user consent prior to running these cookies on your website.