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Almost there (Etappe 18)

Ich wache mit einem Brummschädel auf, und alles ist nass von Nebel, Morgentau und Schwitzwasser. Dazu begrüßt mich Robert aus Amsterdam mit einem lauten „goedemorgen!“ und noch etwas Unverständlichem auf Niederländisch, kaum habe ich das Zelt zum Lüften aufgemacht. Ich erwidere schwach seinen Gruß, dann lege ich mich einfach wieder hin, um eine Meditation zu starten. Auf Robert habe ich jetzt keine Lust. Richtig andächtig kann ich der Meditation dann aber nicht lauschen, denn Robert hat sich statt meiner den Franzosen geschnappt, der mit uns zeltet. Und ihr Smalltalk wird laut.

Der Franzose ist anfangs clever und antwortet auf Roberts streng platonische Annäherungsversuche auf Französisch nur mit einem „Ok“. Später wechseln sie auf Englisch und ab da hat Robert ihn so weit, dass er da so schnell nicht mehr raus kommt. Ich nutze die Chance und baue schnell mein Zelt ab. Eins muss man Robert natürlich lassen.: Er spricht mindestens drei Fremdsprachen fließend. Respekt!

Ganz komme ich um ein paar niederländische Abschiedsgrüße – die prompt korrigiert werden – natürlich nicht herum. Robert sagt, ich erinnere ihn an Nico Hülkenberg. Der frühere Formel-1-Rennfahrer wuchs in Emmerich auf, spricht fließend Niederländisch mit deutschem Akzent und gab schon Interviews auf Niederländisch für das dortige Fernsehen. Wenn ein Deutscher Niederländisch spricht, scheint das genauso ulkig – oder sogar niedlich – zu klingen wie umgekehrt. Mal sehen, ob und wie ich das noch zu meinem Vorteil nutzen kann. 😉

Als ich mich dann mit einem „tot ziens“ verabschiede und losrolle, bin ich guter Dinge. Etwa 120 km sind es noch bis Klanxbüll, von wo die Bahn rüberfährt. Theoretisch könnte ich also schon heute Abend auf Sylt sein.

Büsum

Praktisch mache ich erst einmal einen Umweg über Büsum (sehr hübsch) und dann nach Husum (auch), wo ich einen Kaffee trinke und kurz einkaufen gehe. Ich kaufe in einem Blumengeschäft einen Topf Chrysanthemen (aha, ausgerechnet da funktionierst du mal nicht, du ansonsten völlig übermotivierte Autokorrektur… ?) und im Aldi ein wenig Verpflegung für später.

An der Nachbarkasse gibt es Stunk. Ein Kunde aus Somalia (das wiederholt er mehrmals) behauptet, für seine Bierdosen nicht genug Wechselgeld bekommen zu haben, beschwert sich lautstark auf Englisch, will sich nicht beruhigen und vor allem: keinen Meter von der Kasse fortbewegen. Die Kassiererin und der Kunde hinter ihm reden mit ihm. Die Filialleiterin kommt hinzu, versucht den Konflikt zu lösen, schafft es nicht, droht, die Polizei zu rufen und tut es dann.

Es wirkt surreal. An der Nachbarkasse, an der ich stehe, geht der Verkauf einfach weiter als wäre nichts. Und die übrigen Kunden stehen vor dem klassischen Was-tun-Dilemma. Man hat hinten am Band oder auf der anderen Seite der Kasse gar nicht richtig mitbekommen, was genau passiert ist und wer hier wohl im Recht ist. Ich höre nur ein „don’t touch me“, „calm down“, „yeah, call the police!“ und „you’re ruining my life“.

Weil ich jetzt auch nicht der Fünfte sein will, der sich noch einmischt, weiß ich nichts Besseres zu tun als einfach zu gehen. Draußen packe ich meine Sachen ein und sehe den Polizeiwagen vorfahren. Als ich so weit bin, sehe ich, wie zwei Polizisten und eine Polizistin den Mann mit nach draußen genommen haben und ihn dort befragen. Es wirkt friedlich. Ein Polizist redet mit dem Mann, der noch recht aufgebracht wirkt. Seine Bierdosen hat er bei sich. Ich schaue mir das Ganze noch eine kurze Weile an, dann fahre ich weiter.

Die Blumen sind für Beate und Peter. Die älteren Leser:innen unter euch erinnern sich noch: Ich habe die beiden recht früh am Anfang meiner Tour in Nordbayern auf einem Campingplatz getroffen. Sie haben mir geholfen, meine Wäsche aus der Maschine zu befreien und mich dann nach einem kurzen Plausch zu sich nach Hattstedt bei Husum eingeladen. „Wenn du da vorbei kommst, kannst du gerne bei uns übernachten.“

Das fand ich etwas zu viel der Nettigkeit – ich will ja keine Umstände machen. Außerdem will ich es ganz ehrlich heute noch etwas weiter schaffen als Hattstedt. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, wenigstens eben zu klingeln und hallo zu sagen, wenn ich durch den Ort komme. Wir haben gestern noch telefoniert. Sie sagten, sie wären nachmittags wahrscheinlich noch auf Arbeit, und ich komme gegen 1530 dort vorbei. Also beschließe ich, die Blumen vor der Eingangstür zu drapieren und eine kleine Notiz mit einem Gruß dazulassen. Doch als ich das Haus erreiche, steht Beate im Garten und werkelt am Efeu. Na sowas!

Ich werde in die Gartenlaube gebeten. Wir trinken was und unterhalten uns über unsere Reisen. Wenig später kommt auch Peter dazu, wir trinken Kaffee und reden über die Arbeit und das Leben. Beide wirken auf mich entspannt und lebenslustig. Neben ihrem Camper steht auch ein Sportwagen im Carport. Peter arbeitet tatsächlich für einen Hersteller für Wohnmobile in der Produktion, Beate im Krankenhaus. Sie fahren gerne Rad, wandern oder gehen an den Strand. Sie wohnen da, wo andere Urlaub machen – sagen sie selbst. Und sie scheinen das Leben zu genießen.

Es wird Fünf und es ist sehr nett. Beate schlägt vor, dass wir uns etwas zu essen bestellen. Aber ich weiß, so schön es gerade ist: wenn ich noch zum Essen bleibe, komme ich da heute nicht mehr weg. Was ich eigentlich gar nicht zwingend müsste, sagt mein Herz. Aber diesmal beschließe ich, auf den Kopf zu hören, der „weiterfahren“ sagt. Sonst wird es knapp mit Sylt.

Und heute bin ich zwar lange, aber eigentlich mal ganz fit unterwegs. Dabei habe ich am Morgen sogar beschlossen, den Motor heute nur dann anzuschalten, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nicht immer den bequemen Weg gehen! Was ist denn das auch für eine Einstellung!

Die Strecke führt viel hinter den Dünen entlang, was angenehm ist und die Fahrt auch ohne Akku trotz des Windes möglich macht. Und dann sehe ich auch endlich mal das Meer:

Bisher war immer nur Ebbe gewesen. Schön dass sich das noch ändert.

Auf dem Weg zu meinem heutigen Tagesziel Dagebüll komme ich auch an der Hamburger Hallig vorbei (eine ehemalige Hallig, heute fast dauerhaft mit dem Festland verbunden) und mache einen kurzen Abstecher dahin:

Und noch etwas fällt mit auf: die Natur ist hier oben in einem deutlich besseren Zustand, dem besten, den ich auf meiner ganzen Tour gesehen habe. Alles ist deutlich grüner, das Gras ist saftig, das Vieh sieht glücklicher aus. Peter hatte das bei unserem Plausch schon kurz eingeworfen: „Hier hat es eigentlich sehr viel geregnet, die letzten Monate. Zum Beispiel den ganzen Februar hindurch.“ Die Eider etwas südlich von Husum wäre eine Art Wasserscheide und regnen würde es immer nur auf einer Seite davon, meist der nördlichen.

Heute zum Glück nicht. Ich komme trockenen Fußes nach Dagebüll. Und bin tatsächlich die ganze Strecke gegen den Wind ohne Motor gefahren. Yeah!

20 km sind es von hier noch bis Klanxbüll. Das ist die letzte Station, in die man in eine Bahn nach Westerland auf Sylt einsteigen kann. Und wenn meine Informationen stimmen, kommt man als Radfahrer zumindest ganz hier oben nicht mehr anders auf die Insel.

Also Klanxbüll mit dem Rad (wenn ich nicht vorher doch noch einen kleinen Abstecher mache), nach Westerland mit der Bahn, dort die fünf Campingplätze nach freien Plätzen abgrasen und vielleicht schon dabei einmal die Insel erkunden. Alle, die ich dazu fragte, sagten mir, man käme ganz einfach mit dem Rad in eine der Bahnen, weil da kaum jemand sein Fahrrad mitnähme. Das kann ich irgendwie nicht so ganz glauben…

Regnen soll es heute angeblich die halbe Nacht durch, wofür dann morgen wieder gutes Wetter ist. Machen wir so!

Notizen

Gleich zum Start meiner Tour in Bayern dachte ich: „Du musst dir unbedingt ein Halstuch kaufen!“ Ich schwitze viel am Hals, bekomme schnell Nackenprobleme durch den Fahrtwind, wenn auch immer nur links.

Dann fand ich ewig keinen Laden und gab die Idee irgendwann dran. Mein Mikrofaser-Handtuch musste als Ersatz herhalten, was einerseits natürlich fies war und anderseits auch bisschen komisch ausgesehen haben muss. Na jedenfalls heute in Büsum habe ich einen Laden gesehen, der so etwas verkauft, mich sofort in eins verguckt und dann schnell geshoppt. Was sagt ihr: da haben sich doch zwei gefunden, oder? Wenn auch spät…

Kurzgeschichten. Okay, viele schaffe ich noch nicht am Tag, da fehlt mir jetzt einfach die Zeit für. Aber mal richtig cool fand ich (heute beim 1. Kaffee gelesen) „Vorsicht Steinschlag“ von Thea Dorn. Googelt mal danach und lest das! Geht schnell, ist toll!

Noch paar Impressionen von heute:

3 Antworten auf „Almost there (Etappe 18)“

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