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Köln-Bonn

Jetzt bin ich zum zweiten Mal von der gleichen Strecke überrascht worden. ?? Dabei bin ich die vor knapp drei Jahren schon einmal gefahren und hab darüber gebloggt. Diesmal immerhin offenbar fast eine halbe Stunde schneller:

Es ist hochinteressant, wenn man von Bonn nach Köln und zurück fährt. Je nachdem, wie man Bonn und Köln definiert, können da ganz verschiedene Strecken bei rauskommen:

  • Bonn-Siegaue bis Köln-Libur (rechtsrheinisch): ca. 11 km
  • Bonn-Buschdorf bis Köln-Godorf (linksrheinisch): ca. 12 km
  • Von mir zu Hause bis Köln-Godorf: ca. 17 km
  • Von mir zu Hause bis zum Kölner Dom: ca. 29 km
  • Bonn-Mehlem bis Köln-Worringen: ca. 58 km

Reingefallen bin ich so gesehen, dass die Strecke rechtsrheinisch einfach länger ist. Heute nachgemessen: 35km vs. 25 km. Das nächste Mal weiß ich Bescheid…

Schön ist’s da auf jeden Fall schon:

*

Ach, ChatGPT…

Ich wollte heute Nachmittag wissen, was der südlichste Kölner Stadtteil ist und wusste nicht, ob das Godorf auf der linken Rheinseite oder Libur auf der rechten ist. Mal gefragt, Antwort erhalten – und die angezweifelt. Und ChatGPT dann so…

ChatGPT wirkt auf mich immer wie ein emsiger Kollege, der gerade frisch von der Uni kommt, hochmotiviert ist, viel Energie in seine Arbeit steckt, sie selbstsicher präsentiert, dem aber die Erfahrung fehlt und der deswegen Fehler macht.

Ist die KI wenigstens in der Lage zu lernen? Heute Abend habe ich die Frage noch einmal gestellt…

Seufz…

Ich will gar nicht wissen, was passiert, wenn ich noch einmal nachfrage.

Rondorf stimmt übrigens nicht, das habe ich da reingeschmuggelt und ChatGPT ist der Fehler nicht aufgefallen, hat mir sogar Recht gegeben. Godorf und Libur liegen südlicher als Rodenkirchen (Libur ist der südlichste), Rondorf aber nicht…

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Nasi Goreng

Ich arbeite am perfekten Nasi Goreng, und ich glaube, ich bin jetzt immerhin so weit, dass der eine oder andere Malaysier das schon essen würde. Will keep practising!

Reis, Grüngemüse, Fisch oder Krabben, Currypulver, Erdnussöl, Knoblauch, Rührei, Sambal Oelek, Ketjap Manis, Sojasauce, Pfeffer. Mehr ist es eigentlich nicht.

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Frankreichs Fußballerinnen

… haben Brasilien geschlagen. Und was um alles in der Welt machen die da auf dem Bild?! ?

Screenshot

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Adam Green – Emily:

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Packliste für 3 Wochen Bikepacking

Der Beitrag hier ist mehr eine Erinnerung an mein Future-Self, wenn ich noch einmal auf Bikepacking-Tour gehen und dann schnell packen möchte. Sie kann natürlich auch jedem/r als Grundlage dienen, der/die das Gleiche vorhat – wobei die Ansprüche und Vorlieben natürlich völlig individuell sind, weiß ich auch. Alors, Folgendes habe ich eingepackt (oder beim Start getragen) und benutzt:

  • 1 E-Bike mit Stangentasche, Handyhalterung und Kettenschloss
  • 1 E-Bike-Akku-Ladegerät (+ Akkuschlüssel)
  • 1 Schlüsselbund
  • 1 Zwei-Personen-Zelt
  • 1 Luftmatratze
  • 1 Schlafsack
  • 1 Campingstuhl
  • 2 wasserfeste Radtaschen
  • 1 Reisetasche als Gepäck
  • 2 Spanngurte, um sie zu befestigen
  • 7 Funktions-Unterhosen
  • 7 Paar Socken (5 lange und 2 kurze)
  • 3 kurze Radlerhosen
  • 1 lange Radlerhose
  • 1 lange, schwarze Multifunktionshose
  • 2 kurze Merino-Shirts
  • 1 langes Merino-Shirt
  • 1 langes Multifunktions-Shirt
  • 2 FFP2-Masken
  • 1 Hand-Desinfektionsgel
  • 2 Packungen Papiertaschentücher (3 wären besser gewesen)
  • 1 Rolle kleiner Müllbeutel
  • 1 Powerbank (10.000 mAh mit Schnelllademodus)
  • 1 Ladekabel USB-C zu USB-C
  • 1 Ladestecker USB-C
  • 1 Solarladegerät (28W)
  • 1 Portemonnaie
  • 1 Smartphone
  • 1 Sportarmband
  • 1 Helm
  • 1 Radfahrerbrille
  • 1 Trinkflasche
  • 1 Mini-Werkzeugset fürs Fahrrad
  • 1 Schlauch
  • 5 Mantelheber (4 hätten gereicht)
  • 2 Paar Multifunktionsschuhe (+ 1 Schuhsack)
  • 1 Mikrofaserhandtuch
  • 1 Turnbeutel als Daypack
  • 1 Paar kabellose Kopfhörer
  • 1 Kulturtasche mit Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Aufbissschiene, Duschgel, Shampoo, Sonnencreme (LSF 50), Franzbranntwein, Lippenbalsam, Gesichtscreme (geht auch für andere trockene Körperstellen), Deocreme, Anti-Histaminikum, Magnesium-Granulat, Vitamin-Kapseln, Nagelknipser, normales Flüssigwaschmittel (umgefüllt, kein Rei in der Tube!)

Ich habe Kleidung nach Komfort eingepackt: Mehr bedeutet: weniger oft waschen und damit mehr Urlaub – obwohl erstaunlich viele Campingplätze auch eine Waschmaschine haben. Das Zauberwort heißt: Merino. Mit den beiden Shirts kam ich wunderbar für mehrere Tage aus. Riechen nicht, halten warm, halten kühl. Eventuell macht ein Drittes noch Sinn. Das Smartphone dient als Navi, Kamera, Computer, Jukebox und als Taschenlampe.

Unterwegs gekauft:

  • 1 Anti-Mücken-Spray
  • 1 Notizblock und Stift (1x benutzt)
  • 2 zusätzliche FFP2-Masken
  • 1 weiteres Ladekabel mit USB-A zu USB-C
  • 1 Rolle großer Mülltüten als Regenschutz für die Reisetasche
  • 2 Mikrofasertücher
  • 1 Bremsenreiniger
  • 1 Doppelhub-Mini-Luftpumpe
  • 1 Reifendicht-Notfallschaum
  • 1 Packung Fisherman’s Friends
  • 1 Weitere Tube Sonnencreme (braucht man sehr viel von!)
  • 1 Halstuch
  • Zu essen und zu trinken

Man kann nicht an alles denken. Aber fährt man durch ein dicht besiedeltes, reiches Land, findet man viele Supermärkte, in denen man alles kaufen kann. Supermärkte sind ohnehin unterschätzte Errungenschaften der Zivilisation, wenn ihr mich fragt.

Würde ich beim nächsten Mal noch mitnehmen:

  • Akku-Luftpumpe für Rad und Luftmatratze
  • Anti-Mücken-Kerze im Glas (gegen die Blutsauger UND für ein wenig Romantik vor dem Zelt)
  • Feuerzeug
  • Tigerbalsam
  • Evtl. Mini-Campingkocher mit integriertem Kaffeeaufsatz + Kaffee (nur für das Caminggefühl)
  • Regenschirm

Mitgenommen und nicht benutzt:

  • Regenjacke
  • Regenponcho
  • Regen-Überschuhe
  • Heringe
  • Reise-Wäscheleine
  • Reise-Wäscheklammern
  • First Aid Kit (Mini)

Muss aber vermutlich alles für den Notfall doch wieder mit.

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Epilog

Ich packe recht früh zusammen, heute muss ja alles nur noch zusammengestopft werden. Die Verkäuferin im Campingplatzkiosk erkennt mit geübtem Auge, dass ich mein Schokobrötchen vor Ort essen möchte und hat noch ein Lächeln dabei auf dem Lippen. Das unterstreicht zwei Erkenntnisse meiner Reise: Servicepersonal leistet Unglaubliches für dieses Land, und: ich habe mich abscheulich schlecht ernährt, die letzten drei Wochen. Aber jetzt wieder Gemüse.

In Westerland komme ich überraschend problemlos mit dem Rad in die gut besetzte Bahn nach Hamburg. Dort angekommen, kaufe ich ein Brötchen, um Wechselgeld für ein Schließfach zu bekommen. Sie habe kaum noch Münzgeld, bedauert die Verkäuferin. Jeder wolle welches für das uralte Bahnschließfach. „Oh“, sage ich, und wir schauen uns eine Weile lauernd und mit verschmitztem Lächeln an. „Ich bekomme vielleicht doch noch was zusammen“, antwortet sie dann nach einem Blick in die Kasse.

Servicepersonal. Unglaubliches!

Als ich das Brötchen für später wegpacke und dann erst einmal beim Inder was esse, belausche ich ein Gespräch am Nachbartisch. Er sei Journalist, sagt der Wortführer, und der Journalismus in diesem Land werde eigentlich nur noch von Idealismus getragen. Das Gehaltsgefälle wäre die typische Schere zwischen Arm und Reich. Er hatte bei einem öffentlich-rechtlichen Sender für Drei gearbeitet, damit es mit dem Geld reiche. Die Kostenschubser im Sender hätten dann nur gesehen: der verdient zu viel und muss eingespart werden. Auf der anderen Seite lief der Fall der mittlerweile zurückgetretenen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger die letzten Wochen durch die – nun ja – Medien. Ihre 300.000 im Jahr hatten ihr offenbar immer noch nicht gereicht. Wird der Mensch gierig, sobald er viel hat?

Weil ich nichts Besseres vorhabe, trinke ich danach einen Kaffee und gehe an der Reeperbahn ein Set Craftbeer testen. Ich müsste an einem Tisch alleine sitzen, aber Gesellschaft wäre mir lieber. Ich frage ein Pärchen aus Berlin, ob ich mich dazu setzen darf. Darf ich. Das Bier wirkt dann derart stark, dass ich mein Fahrrad erst einmal runter zum Wasser schiebe. Ich lande vor einem Museums-Uboot, interessiere mich dafür, wie es darin aussieht, buche eine Tour, nehme sie, fahre zurück zum Bahnhof Altona und kaufe mir noch ein Filet-o-Fish beim McDonalds. In Hamburg muss Fischbrötchen! Aber es gibt dort im Bahnhof tatsächlich keine Fischbude. Ich hole mein Gepäck wieder aus dem Schließfach und schiebe mein Fahrrad in den IC.

In Bremen kommt die Durchsage, dass wir 100 (!) Minuten auf neues Zugpersonal warten müssten. Alle um mich herum sind verärgert. Ich bin völlig ruhig – ist das die Urlaubsentspannung? Ich steige nach einer Weile aus, genieße die maskenfreie Frischluft am Gleis, spaziere durch den Bremer Bahnhof und setze mich eine Weile vor die Messe am Hinterausgang.

Als ich wiederkomme, ist Chaos am Gleis. Zusätzlich zum verspäteten Zugpersonal gibt es jetzt auch noch eine Gleisstörung; alle Regionalzüge sind gestrichen. Ich versuche, Infos bei einem Bahnmitarbeiter am Gleis einzuholen, aber der weiß auch nichts. Ein Mann, der nur gebrochen Deutsch spricht, fragt mich nach seinem Zug. Ich kann ihm nur auf Deutsch und Englisch das Dilemma erklären.

Ein Anderer in einem Liegefahrrad muss noch ins Rheinland. Er hat nur einen Schwerbehinderten-Ticket. Wir kommen ins Gespräch. Er hat auch Zelt und Luma dabei, ist auf Tour, campt manchmal wild. Der Bahnmitarbeiter hat keine neuen Infos.

Wir fragen ihn, ob es in Ordnung wäre, mit dem Schwerbehindertenausweis ausnahmsweise einen IC zu benutzen. Der Bahnmitarbeiter ist unsicher, sagt, das läge im Ermessen des neuen Zugpersonals. Aber das sei noch nicht eingetroffen.

Als es da ist, fangen wir den Zugchef ab, aber der stellt sich quer. „Mit dem Fahrrad? Ausgeschlossen!“ Das wäre viel zu groß und passe nicht in den Stellplatz. Aber das Abteil wäre noch fast leer und das Rad ließe sich anders sichern, argumentieren wir. Nein, nichts zu machen, sagt der Zugchef.

Im gleichen Moment spricht mich eine Afrikanerin an, ob der ICE gegenüber nach Köln fahre. Warum fragen alle mich? Ich helfe. Wir kriegen sie gerade noch rechtzeitig in den richtigen Zug. Den Rest des Gesprächs zwischen dem Mann im Liegefahrrad und dem Zugchef bekomme ich deswegen nicht mehr mit. Aber er ist offenbar bei seinem Nein geblieben. Dem sei es darum gegangen, dass alles seine Ordnung habe, sagt der Mann im Liegefahrrad resigniert.

Ich ärgere mich, mir fällt nichts ein, wie ich ihn noch helfen könnte. Wäre schon okay, sagt er, er würde schon irgendwas finden zum wild Campen. Es klingt wie: unter der Brücke schlafen. Er bedankt sich bei mir und nennt mich einen guten Menschen. Er sei in der Partei „Die Basis“ und habe da unheimlich nette Leute kennengelernt. Dass es Menschen wie mich gäbe, helfe ihm auch darüber hinaus, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Seine politische Gesinnung ist mir in dem Moment egal. Er ist mir sympathisch, und ich hätte gerne mehr für ihn getan. Vielleicht darf man sich auch nicht wundern, wenn der eine oder andere, der „wild campen“ muss, damit die Ordnung aufrecht erhalten wird, in eine ungute politische Ecke abdriftet.

Aber ich ein guter Mensch? Ich habe unterwegs viele getroffen, die mir und anderen vorbehaltlos geholfen haben, selbst als sie eigentlich gerade etwas Dringenderes zu tun hatten. Die würde ich als solche bezeichnen. Für mich selbst ist es dahin noch ein weiter Weg.

Drei Wochen lang war ich unterwegs. Die Nachrichten habe ich in dieser Zeit nur am Rande verfolgt. Immer wenn ich doch mal tagesschau.de besucht oder in einem Kiosk die Titelseiten der Zeitungen gesehen habe, ging es um Gaspreise. Und wenig bis gar nicht um den grausamen Krieg, der die Ursache dafür ist. So ist der Deutsche eben auch: er kreist in erster Linie um sich selbst – und kann unendlich hilfsbereit, reflektiert und freundlich sein, wenn man es dann doch aus ihm herauskitzelt.

Wir stehen vor einer ungewissen Zukunft und leben in einem Land, das seine Rolle in der Welt immer noch nicht ganz gefunden hat. Es könnte schlimmer sein, es könnte besser. Sollte es hart auf hart kommen, wird Deutschland wohl als eins der letzten Länder untergehen.

Als ich nachts um 0200 endlich Bonn erreiche und mein Rad aus dem Fahrstuhl schiebe, glaube ich meinen Augen kaum zu trauen: Es regnet leicht. So werde ich auf den letzten Metern meiner Tour zum ersten Mal ein wenig nass.

Ich lasse die Regenjacke in der Tasche und fahre los.

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Liebe (Etappe 20)

Nackt plansche ich auf dem einsamen Strand, hüpfe wie ein kleines Kind im Wasser herum. Zum Glück muss sich das unwürdige Schauspiel niemand anssehen. Die Game-of-Thrones-mäßige Stadt in Bayern und jetzt dieser einsame Strand auf Sylt. Es gibt sie also doch noch, die Orte, die von der Instacommunity noch nicht überrannt werden.

Ich bin mutterseelenallein an diesem Strand – bis ich es plötzlich nicht mehr bin. Ein anderer Typ kommt durch die Dünen und sucht etwas, vermutlich auch den nördlichsten Punkt Deutschlands. Nachdem er eine Weile gesucht hat, sieht er ihn, läuft dorthin und tanzt wie ein Irrer darum herum. So ähnlich wie das, was ich auch gerade gemacht habe. Ich bin zwar nicht alleine, aber irgendwie sind wir doch alle verbunden.

So, wie ich es viele Jahre nicht war. Immer auf der Suche nach etwas, meistens einem Seelenpartner, den ich, nach langer Suche gefunden, dann meist ebenso schnell wieder in die Wüste geschickt habe. Nicht die Richtige, passt irgendwie doch nicht, nicht die, mit der ich gerne alt werden würde oder irgendwelche anderen vorgeschobenen Gründe. Und am Ende beiderseits gebrochene Herzen, weil man verliebter war, als man es sich eingestanden hatte.

Beziehungsvermeider nennen Psychologen so etwas. Solche Menschen sehnen sich mehr als andere nach einer glücklichen Beziehung, finden lange keine und wenn dann doch endlich, dann fürchten sie um ihre Freiheit, beginnen, der Sache nicht zu trauen und tun schließlich alles dafür, die Beziehung zu sabotieren. Bis es schließlich gelingt, man sich einsam fühlt, dazu ein gebrochenes Herz hat, der Sache hinterhertrauert und der ganze Mist wieder von vorne beginnt.

Was ist die Lösung da raus? Mir hilft es zu wandern, radzufahren, meine Gedanken dabei zu sortieren, ganz bei mir zu sein, hin und wieder mit fremden Menschen zu reden und dabei einfach nur mal zuzuhören. Mich nicht darum zu kümmern, was irgendjemand von mir denkt, öfter mal einfach zu tun, wonach mir gerade ist und alles ein Stück weit weniger zu durchdenken.

Vielleicht hat mir die Reise mir ein wenig dabei geholfen, unvoreingenommener und liebevoller zu sein, mir selbst, aber auch anderen gegenüber.

Ich ziehe mich wieder an, schiebe mein Rad durch den Sand und bin schon bald wieder in den Dünen, in denen die Heide blüht. Das Allgäu und Sylt – die südlichste und die nördlichste Region sind auch gleichzeitig die beiden schönsten Gegenden, die ich auf meiner Reise gesehen habe. Aber all das hätte ich nicht erkannt, hätte ich nicht auch das Land dazwischen gesehen und tolle Menschen unterwegs getroffen.

Bei dem Wind ist mir in kurzer Hose und T-Shirt langsam bitterkalt. Aber die Aussicht auf ein letztes Abendessen und ein leckeres Bier in Westerland helfen mir durchzuhalten. Ich muss mich nicht unter die Reichen und Schönen dort mischen; die sollen ihr Ding machen, ich meins. Aber ein kleiner Abschluss der Reise wäre toll.

Ich habe Glück. Der Gosch am Strand verkauft mir noch ein Schollenfilet und ein Pils. Dicht in eine Decke gehüllt, schreibe ich die Gedanken des Tages nieder, packe dann aber bald zusammen, spende mein restliches Münzgeld einer Gruppe der Westerland-Punks, die nebenan zu „Griechischer Wein“ eine Tanzparodie auf den Asphalt bringen. Sie glauben, sie wären frei, aber sie sind es auch nicht.

Zurück am Zelt ziehe ich mich warm an, setze mich auf meinen Campingstuhl und blicke für eine Zeit nur in den milchigen Nachthimmel, und es ist richtig schön. Es ist weit nach Mitternacht. In dem einen oder anderen Zelt brennt noch Licht, jemand schnarcht. Ich bin alleine und bin es doch nicht. Endlich ein wenig Zeit für Gedanken, schöne Gedanken.

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Am Ziel? (Etappe 19)

Es regnet tatsächlich die halbe Nacht durch, aber dann ist es auch gut. Mein Zelt hat dicht gehalten. Am Abend, als einige Tropfen auf meinen Kopf fielen, hatte ich da noch so meine Zweifel.

Meine Zeltnachbarn im Wohnmobil machen sich schon um 0700 lautstark auf den Weg und wecken mich damit. Ich drehe mich nochmal um, starte eine Meditation, stehe dann ganz langsam auf, mache mich fertig, packe das nasse Zelt ein, checke aus, und es ist dann trotzdem erst 0900.

Nasse Zelte sind ein Thema für sich. Idealerweise würde man so bis 1200 Uhr warten, bis im Sonnenschein alles getrocknet ist, aber dann wäre der halbe Tag rum. Deswegen packt man morgens doch lieber das nasse, allenfalls grob getrocknete Zelt ein. Ist nicht hübsch, muss aber irgendwie gehen. Es entglorifiziert allenfalls das etwas romantisierte „Im Frühtau zu Berge“. Das ist als Pilger oder Radwanderer mit Zelt einfach nur fies und unangenehm und sonst nichts.

Ich habe gestern gar nicht groß geschaut, wo ich eigentlich genau bin, und stelle dann morgens fest, dass es direkt neben dem Hafen ist, von wo die Fähren nach Föhr und Amrum abfahren. Den Anleger schaue ich mir noch an, und ein Teil von mir würde am liebsten direkt mitfahren. Aber das wäre nicht das Ziel dieser Reise.

Was ist eigentlich das Ziel dieser Reise? Neben dem Unterwegssein, dem Abbauen von Ängsten und dem Kennenlernen von Menschen ein wenig noch herauszufinden, wo es in diesem Land schön ist, wo man vielleicht das nächste Mal hinfährt, um es sich noch etwas genauer anzuschauen. Der reflexartige Gedanke an ein Flugzeug, wenn es in den Urlaub gehen soll – Zukunft hat der eh nicht.

Nach einem schwarzen Kaffee im Café nebenan (mir fehlt beim Intervallfasten in letzter Zeit immer nur eine halbe Stunde) ist es immer noch erst 0930. Ich habe noch ein wenig Lust auf Bewegung und beschließe, meinen optionalen letzten Abstecher doch noch zu machen.

Ich fahre nach Dänemark. Ein chinesisches Sprichwort, das ich nicht mehr ganz zusammen bekomme, lautet sinngemäß: du weißt erst, wie es bei dir aussieht, wenn du dein Haus vom Anwesen deines Nachbarn aus gesehen hast. Und so möchte ich zumindest kurz über die Grenze hüpfen, um mir die Unterschiede anzuschauen, in die Kleinstadt Tønder.

Schon kurz vor der Grenze reiht sich dänischer Supermarkt an dänischen Supermarkt. Ich schaue rein, würde Brötchen kaufen, aber finde keine und shoppe statt dessen ein paar Haribo. Die Verkäuferin wechselt von akzentfreiem Dänisch auf akzentfreies Deutsch. Bemerkenswert.

Direkt hinter der Grenze wird der Radweg besser, die Häuser haben noch eine ganz andere Form, die Leute hissen mehr Nationalflaggen. Eine Blechlawine schiebt sich aber auch hier über die Hauptstraße, ein paar Transporter haben sogar fulminante Oldtimer geladen. Aber an den Nebenstraßen ist es gespenstisch still. Kurz vor dem Ort komme ich an Brombeersträuchern vorbei und pflücke mir ein paar.

Bromberen zu pflücken scheint in der Gegend weniger bekannt zu sein als in Deutschland. Vorbeifahrende Radfahrer gucken mich komisch an, sagen aber nichts. Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Der Grund, warum ich manchmal sehr lange für Dinge brauche und manchmal gar nicht, ist mein inneres Versteckspiel. Ich versuche, bloß nicht aufzufallen, um mir keinen blöden Spruch einzufangen, weil das in meiner Jugend und meiner depressiven Phase oft passiert ist. Andere meinen, unsicher wirkenden Menschen eher mal einen blöden Spruch stecken zu können.

Heute ist das aber längst nicht mehr der Fall – außer, wenn ich auf Campingplätzen meine Luftmatratze aufpuste, da kommt meist gleich einer mit einer Pumpe angelaufen. Das ist aber eigentlich immer nett gemeint. Ich könnte diese innere Abwehr mal zum Schweigen bringen, denn ich bin längst aus dem Alter raus, in dem ich mir noch blöde Sprüche drücken lasse.

Nebenbei: Ich habe mich noch nie an Brombeeren satt gegessen. Ob ich das einfach mal versuche? Ich pflücke Dutzende und esse sie sofort. Aber es reicht nicht: Als ich kurz darauf in Tønder einen Hotdog-Stand sehe, also etwas typisch Dänisches, greife ich zu – und habe danach noch mehr Hunger als vorher.

Tønder ist klein, aber hat eine hübsche Fußgängerzone. Auf dem Weg raus komme ich an einem Kleingartenverein vorbei (sowas gibt es also da auch) und wieder durch ein Wohngebiet, das gespenstisch ruhig da liegt. Warum ist hier niemand?! In jedem deutschen Wohngebiet spielen auch tagsüber irgendwelche Kinder. Rentner und halbtags Arbeitende machen was an ihren Gärten. Hier ist niemand. Ich bin froh, als ich da wieder raus bin.

Aber für ein paar Erkenntnisse hat sich der kleine Umweg gelohnt. Und irgendwie wollte ich auch die wegen meiner Panne versäumten 40 Kilometer von Peine nach Hannover insgeheim noch irgendwie nachholen.

Es dauert nicht lange danach, und ich stehe am Bahnhof Klanxbüll. Wird das wohl klappen mit dem Fahrradtransport? Neben einigen Passagieren steht mit mir nur noch ein weiterer Typ mit einem Rennrad am Gleis. Aber Klanxbüll ist die letzte Station vor dem Damm. Niemand kann sagen, wie voll der Waggon schon ist. Als die Bahn kommt, ist das hintere Fahrradabteil völlig verwaist. Watt’n Glück.

Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Schon weit vor Westerland macht sich der Typ mit dem Rennrad wieder bereit. Und tatsächlich: es gibt einen Stopp direkt hinter dem Damm, an dem ich dann auch mit raus gehe: Morsum.

Die Überfahrt ist also geglückt, ich bin auf Sylt! Yeah! Das Wetter ist okay. Es ist wolkenverhangen, die ganze Zeit sieht es so aus, als würde es bald regnen, was dann aber nie passiert. Ich hatte unfassbares Glück und bin tatsächlich kein einziges Mal auf meiner Tour in einen Regenschauer geraten. Dabei hätte ich mir manchmal in der elendigen Hitze sogar einen herbei gewünscht.

Jetzt kommt aber langsam die Sonne raus und ich esse erstmal was, noch am Gleis stehend. Nach ein paar Minuten kommt ein älterer aber stabiler Herr schnellen Schrittes in meine Richtung. Was der wohl will. Ich rufe freundlich „moin“, als er auf meiner Höhe ist. Er aber geht an mir vorbei zu den Brombeerströuchern weiter hinten am Gleis und murmelt im Vorbeigehen: „E-Bike-Fahrer grüße ich grundsätzlich nicht.“

Das darf doch nicht wahr sein. ? Der erste Mensch, dem ich auf Sylt begegne, und er kommt mir gleich so. Ich hoffe mal, das ist Zufall und kein Vorgeschmack auf die Gepflogenheiten auf der Insel.

Die übrigens superschön ist. Küsten, Strände, zerklüftete Buchten, wunderbar erhaltene oder restaurierte Landhäuser, Dünen. Und just gerade blüht die Heide – beinahe schöner als in der Lüneburger Heide. Und noch dazu gibt es Strandkörbe, Restaurants, Partymöglichkeiten. Ja, ich kann den Hype um diese Insel verstehen!

Und was den E-Bike-Hasser von gerade angeht: ich zähle mit: die nächsten acht Radfahrer grüßen freundlich zurück. Im Gedächtnis bleibt natürlich trotzdem der frotzelige Kerl. Was mich kurzzeitig sogar veranlasst zu denken: „Wenn das hier so läuft, soll ich dann die Anderen überhaupt noch grüßen?“

Ich glaube, in der Kindheit und Jugend begeht man den Fehler nur all zu oft. Man fragt die Böckerei-Fachverkäuferin freundlich um eine Serviette. Die hat einen schlechten Tag oder mag keine Kinder, raunzt dich an, du schrickst zurück und speicherst völlig übertrieben die Generalisierung in deinem Kopf: „Verkäuferinnen nie um einen Gefallen bitten, die mögen das nicht.“ Später bekommst du bei jedem Besuch einer Bäckerei ein mulmiges Gefühl. Solche Glaubenssätze sollte man nach und nach überschreiben. Danke, mürrischer E-Bike-Hasser für diesen Anstoß!

Gegen 1500 schlage ich am Zeltplatz auf und bekomme von der sehr hübschen, sehr netten und sehr hilfsbereiten (und leider schon einen Ring tragenden 😉 Rezeptionistin mitgeteilt, dass auf dem Platz 4 Übernachtungen Minimum vorgeschrieben wären. Vier?!

Aber ich bin so gut drauf heute, dass nichts das ehrliche Lächeln auf meinem Gesicht wegzaubern kann. Ich sage schon „danke“ und wende mich zum Gehen, als die Rezeptionistin mich noch aufhält: warten Sie mal bitte kurz. Sie redet dann mit ihrer Kollegin, ich lasse mein charmantestes Lächeln aufgesetzt. Und das Ende vom Lied ist: ich darf doch nur für einen Tag bleiben. Zum zweiten Mal heute: Yeah!

Der Zeltplatz liegt in den Dünen. Es ist so windig, dass mein noch nass eingepacktes Zelt, einmal aufgebaut, schon 15 Minuten später getrocknet ist. Ich mache einen kurzen Nachmittagsschlaf, dann packe ich ein paar Sachen zusammen, denn es wartet noch die finale Tour: in den äußersten Norden zum nördlichsten Punkt Deutschlands.

Gegen 1700 komme ich los und merke unterwegs erst, wie schön die Insel wirklich ist. Nicht nur, weil die Heide blüht. Die Landschaft verändert sich auch alle paar Kilometer. Plötzlich meine ich, auf Island zu sein. Die Gegend erinnert mich stark daran.

Ich fahre das letzte Stück ohne Motor. Und es ist noch einmal richtig anstrengend. Ich habe Gegenwind, es geht bergauf, die Wegstrecke in den Lister Ellenbogen ist richtig mies, gleicht einem Flickenteppich. Das Navi leitet mich völlig fehl, und am Ende fahre ich deswegen fast 5 km zu viel. Und dann am Schluss endet der befestigte Weg ganz und wird zu Sand.

Ich könnte mein Fahrrad stehen lassen und den Rest zu Fuß gehen. Aber ich schiebe es durch die Dünen. Wir haben diesen Weg gemeinsam zurückgelegt. Jetzt gehen wir auch den Rest zusammen. Drei Dünen später sehe ich das Meer und in etwa dreihundert Metern Entfernung: der nördlichste Punkt Deutschlands! Ich bin am Ziel meiner langen Reise:

Und wie Beate gestern (war es wirklich erst gestern?!) prophezeite, ist der Strand menschenleer. Soll ich…?!

Davor warnt ein Schild: hier wegen nicht geräumter Braken, gefährlicher Strömungen und keinerlei Rettungsaufsicht auf keinen Fall schwimmen gehen. Aber mich halten sie nicht davon ab, ein wenig in den Wellen zu planschen.

Ich ziehe mich aus, dann hüpfe ich rein.

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Almost there (Etappe 18)

Ich wache mit einem Brummschädel auf, und alles ist nass von Nebel, Morgentau und Schwitzwasser. Dazu begrüßt mich Robert aus Amsterdam mit einem lauten „goedemorgen!“ und noch etwas Unverständlichem auf Niederländisch, kaum habe ich das Zelt zum Lüften aufgemacht. Ich erwidere schwach seinen Gruß, dann lege ich mich einfach wieder hin, um eine Meditation zu starten. Auf Robert habe ich jetzt keine Lust. Richtig andächtig kann ich der Meditation dann aber nicht lauschen, denn Robert hat sich statt meiner den Franzosen geschnappt, der mit uns zeltet. Und ihr Smalltalk wird laut.

Der Franzose ist anfangs clever und antwortet auf Roberts streng platonische Annäherungsversuche auf Französisch nur mit einem „Ok“. Später wechseln sie auf Englisch und ab da hat Robert ihn so weit, dass er da so schnell nicht mehr raus kommt. Ich nutze die Chance und baue schnell mein Zelt ab. Eins muss man Robert natürlich lassen.: Er spricht mindestens drei Fremdsprachen fließend. Respekt!

Ganz komme ich um ein paar niederländische Abschiedsgrüße – die prompt korrigiert werden – natürlich nicht herum. Robert sagt, ich erinnere ihn an Nico Hülkenberg. Der frühere Formel-1-Rennfahrer wuchs in Emmerich auf, spricht fließend Niederländisch mit deutschem Akzent und gab schon Interviews auf Niederländisch für das dortige Fernsehen. Wenn ein Deutscher Niederländisch spricht, scheint das genauso ulkig – oder sogar niedlich – zu klingen wie umgekehrt. Mal sehen, ob und wie ich das noch zu meinem Vorteil nutzen kann. 😉

Als ich mich dann mit einem „tot ziens“ verabschiede und losrolle, bin ich guter Dinge. Etwa 120 km sind es noch bis Klanxbüll, von wo die Bahn rüberfährt. Theoretisch könnte ich also schon heute Abend auf Sylt sein.

Büsum

Praktisch mache ich erst einmal einen Umweg über Büsum (sehr hübsch) und dann nach Husum (auch), wo ich einen Kaffee trinke und kurz einkaufen gehe. Ich kaufe in einem Blumengeschäft einen Topf Chrysanthemen (aha, ausgerechnet da funktionierst du mal nicht, du ansonsten völlig übermotivierte Autokorrektur… ?) und im Aldi ein wenig Verpflegung für später.

An der Nachbarkasse gibt es Stunk. Ein Kunde aus Somalia (das wiederholt er mehrmals) behauptet, für seine Bierdosen nicht genug Wechselgeld bekommen zu haben, beschwert sich lautstark auf Englisch, will sich nicht beruhigen und vor allem: keinen Meter von der Kasse fortbewegen. Die Kassiererin und der Kunde hinter ihm reden mit ihm. Die Filialleiterin kommt hinzu, versucht den Konflikt zu lösen, schafft es nicht, droht, die Polizei zu rufen und tut es dann.

Es wirkt surreal. An der Nachbarkasse, an der ich stehe, geht der Verkauf einfach weiter als wäre nichts. Und die übrigen Kunden stehen vor dem klassischen Was-tun-Dilemma. Man hat hinten am Band oder auf der anderen Seite der Kasse gar nicht richtig mitbekommen, was genau passiert ist und wer hier wohl im Recht ist. Ich höre nur ein „don’t touch me“, „calm down“, „yeah, call the police!“ und „you’re ruining my life“.

Weil ich jetzt auch nicht der Fünfte sein will, der sich noch einmischt, weiß ich nichts Besseres zu tun als einfach zu gehen. Draußen packe ich meine Sachen ein und sehe den Polizeiwagen vorfahren. Als ich so weit bin, sehe ich, wie zwei Polizisten und eine Polizistin den Mann mit nach draußen genommen haben und ihn dort befragen. Es wirkt friedlich. Ein Polizist redet mit dem Mann, der noch recht aufgebracht wirkt. Seine Bierdosen hat er bei sich. Ich schaue mir das Ganze noch eine kurze Weile an, dann fahre ich weiter.

Die Blumen sind für Beate und Peter. Die älteren Leser:innen unter euch erinnern sich noch: Ich habe die beiden recht früh am Anfang meiner Tour in Nordbayern auf einem Campingplatz getroffen. Sie haben mir geholfen, meine Wäsche aus der Maschine zu befreien und mich dann nach einem kurzen Plausch zu sich nach Hattstedt bei Husum eingeladen. „Wenn du da vorbei kommst, kannst du gerne bei uns übernachten.“

Das fand ich etwas zu viel der Nettigkeit – ich will ja keine Umstände machen. Außerdem will ich es ganz ehrlich heute noch etwas weiter schaffen als Hattstedt. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, wenigstens eben zu klingeln und hallo zu sagen, wenn ich durch den Ort komme. Wir haben gestern noch telefoniert. Sie sagten, sie wären nachmittags wahrscheinlich noch auf Arbeit, und ich komme gegen 1530 dort vorbei. Also beschließe ich, die Blumen vor der Eingangstür zu drapieren und eine kleine Notiz mit einem Gruß dazulassen. Doch als ich das Haus erreiche, steht Beate im Garten und werkelt am Efeu. Na sowas!

Ich werde in die Gartenlaube gebeten. Wir trinken was und unterhalten uns über unsere Reisen. Wenig später kommt auch Peter dazu, wir trinken Kaffee und reden über die Arbeit und das Leben. Beide wirken auf mich entspannt und lebenslustig. Neben ihrem Camper steht auch ein Sportwagen im Carport. Peter arbeitet tatsächlich für einen Hersteller für Wohnmobile in der Produktion, Beate im Krankenhaus. Sie fahren gerne Rad, wandern oder gehen an den Strand. Sie wohnen da, wo andere Urlaub machen – sagen sie selbst. Und sie scheinen das Leben zu genießen.

Es wird Fünf und es ist sehr nett. Beate schlägt vor, dass wir uns etwas zu essen bestellen. Aber ich weiß, so schön es gerade ist: wenn ich noch zum Essen bleibe, komme ich da heute nicht mehr weg. Was ich eigentlich gar nicht zwingend müsste, sagt mein Herz. Aber diesmal beschließe ich, auf den Kopf zu hören, der „weiterfahren“ sagt. Sonst wird es knapp mit Sylt.

Und heute bin ich zwar lange, aber eigentlich mal ganz fit unterwegs. Dabei habe ich am Morgen sogar beschlossen, den Motor heute nur dann anzuschalten, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nicht immer den bequemen Weg gehen! Was ist denn das auch für eine Einstellung!

Die Strecke führt viel hinter den Dünen entlang, was angenehm ist und die Fahrt auch ohne Akku trotz des Windes möglich macht. Und dann sehe ich auch endlich mal das Meer:

Bisher war immer nur Ebbe gewesen. Schön dass sich das noch ändert.

Auf dem Weg zu meinem heutigen Tagesziel Dagebüll komme ich auch an der Hamburger Hallig vorbei (eine ehemalige Hallig, heute fast dauerhaft mit dem Festland verbunden) und mache einen kurzen Abstecher dahin:

Und noch etwas fällt mit auf: die Natur ist hier oben in einem deutlich besseren Zustand, dem besten, den ich auf meiner ganzen Tour gesehen habe. Alles ist deutlich grüner, das Gras ist saftig, das Vieh sieht glücklicher aus. Peter hatte das bei unserem Plausch schon kurz eingeworfen: „Hier hat es eigentlich sehr viel geregnet, die letzten Monate. Zum Beispiel den ganzen Februar hindurch.“ Die Eider etwas südlich von Husum wäre eine Art Wasserscheide und regnen würde es immer nur auf einer Seite davon, meist der nördlichen.

Heute zum Glück nicht. Ich komme trockenen Fußes nach Dagebüll. Und bin tatsächlich die ganze Strecke gegen den Wind ohne Motor gefahren. Yeah!

20 km sind es von hier noch bis Klanxbüll. Das ist die letzte Station, in die man in eine Bahn nach Westerland auf Sylt einsteigen kann. Und wenn meine Informationen stimmen, kommt man als Radfahrer zumindest ganz hier oben nicht mehr anders auf die Insel.

Also Klanxbüll mit dem Rad (wenn ich nicht vorher doch noch einen kleinen Abstecher mache), nach Westerland mit der Bahn, dort die fünf Campingplätze nach freien Plätzen abgrasen und vielleicht schon dabei einmal die Insel erkunden. Alle, die ich dazu fragte, sagten mir, man käme ganz einfach mit dem Rad in eine der Bahnen, weil da kaum jemand sein Fahrrad mitnähme. Das kann ich irgendwie nicht so ganz glauben…

Regnen soll es heute angeblich die halbe Nacht durch, wofür dann morgen wieder gutes Wetter ist. Machen wir so!

Notizen

Gleich zum Start meiner Tour in Bayern dachte ich: „Du musst dir unbedingt ein Halstuch kaufen!“ Ich schwitze viel am Hals, bekomme schnell Nackenprobleme durch den Fahrtwind, wenn auch immer nur links.

Dann fand ich ewig keinen Laden und gab die Idee irgendwann dran. Mein Mikrofaser-Handtuch musste als Ersatz herhalten, was einerseits natürlich fies war und anderseits auch bisschen komisch ausgesehen haben muss. Na jedenfalls heute in Büsum habe ich einen Laden gesehen, der so etwas verkauft, mich sofort in eins verguckt und dann schnell geshoppt. Was sagt ihr: da haben sich doch zwei gefunden, oder? Wenn auch spät…

Kurzgeschichten. Okay, viele schaffe ich noch nicht am Tag, da fehlt mir jetzt einfach die Zeit für. Aber mal richtig cool fand ich (heute beim 1. Kaffee gelesen) „Vorsicht Steinschlag“ von Thea Dorn. Googelt mal danach und lest das! Geht schnell, ist toll!

Noch paar Impressionen von heute:

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Babel (Etappe 17)

Ich wache früh auf und habe alle Zeit der Welt. Es hat nicht noch einmal geregnet, es war auch nicht zu kalt auf dem Sand und ich habe gut geschlafen. Heute habe ich kein klares Ziel vor Augen. Ich weiß nur: in zwei Tagen sollte ich dann mal auf Sylt ankommen.

Drum lasse ich meine Sachen noch ein bisschen trocknen, packe langsam zusammen, bestelle mir einen Kaffee im schon geöffneten Bistro und unterhalte mich mit dem Mann, der mir am Tisch gegenüber sitzt. Er ist mit seiner Familie mit dem 9-Euro-Ticket angereist ist und findet, dass das Anspruchsdenken der Leute zu groß geworden sei. Das 9-Euro-Ticket sei ein Stück Freiheit, das es der ärmeren Bevölkerung zum ersten Mal ermögliche, diese Freiheit auch zu erleben. Nebenbei: Lindner sei ein Idiot.

Ich vermute, weil der das 9-Euro-Ticket wegen schwieriger Finanzierung nicht weiterlaufen lassen will. So rolle ich zumindest auch dank Lindner erst um 1030 los.

Unterwegs passiert nicht viel, aber kein echtes Ziel und es auch nicht so eilig zu haben, macht entspannt. Zu entspannt? Ich unterhalte mich mit einigen anderen Reisenden. Unter anderem dem älteren Ehepaar auf den E-Bikes, das diesen Sommer Inselhopping in Nordfriesland gemacht hat. „Welche Insel war am schönsten?“, frage ich. „Amrum“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sylt sei eine reine Geldinsel geworden, Föhr wie eine Hallig, Amrum habe die schönsten Strände.

Ich fahre ein Stück an den Deichen entlang. Es ist irgendwie superheiß, am Himmel steht nachmittags keine Wolke mehr, dazu weht ein kühler, aber auch sehr frischer Wind, der mich irgendwie austrocknet. Ich saufe wie ein Loch. Fülle meine Trinkflasche insgesamt dreimal wieder auf und kaufe mir zusätzlich noch eine Flasche Gerolsteiner Medium im Supermarkt (das wird mein Lieblings-Mineralwasser).

Und so bin ich froh, als ich dann endlich meinen geplanten Zeltplatz nahe Büsum erreiche, und noch froher, dass es sich ein gesprächiger Niederländer da schon bequem gemacht hat. So wirklich lange währt die Freude dann allerdings nicht.

Denn nachdem ich Robert aus Amsterdam mit meinen paar Niederländisch-Floskeln zu beeindrucken versuche, springt er voll drauf an. Er verlangt von mir, jetzt nur noch Niederländisch zu sprechen, lässt es sich dabei aber auch nicht nehmen, jeden kleinsten meiner Fehler direkt zu korrigieren. Und das wird mir schon bald unangenehm. Ich saß 7 Stunden auf dem Rad, bin todmüde und eigentlich habe ich gar keine Lust, jetzt noch eine Niederländisch-Lektion der alten Schule zu bekommen.

Zum Glück habe ich noch genug zu tun, um danach zu verschwinden: E-Bike-Akku aufladen, duschen, Wäsche waschen und mir schließlich auch das Meer anschauen, zumindest das, was davon gerade da ist:

Als ich zurück komme und mir einen Platz zum Bloggen weit weg von Robert suche, kommt auf einmal ein kleines Mädchen angelaufen. Sie versucht, die Tür der Gaststätte zu öffnen, sagt etwas von Bonbon und kommt dann strahlend zu mir, um mit mir zu reden und sich in den Arm nehmen zu lassen.

Das einzige Problem dabei: Sie spricht nur Französisch und denkt trotzdem, dass jeder sie verstehen kann. Mein Schulfranzösisch ist mittlerweile aber so weit vergessen, dass ich sie nicht einmal fragen kann, wie sie heißt. Ich bekomme es gerade noch zusammen zu sagen, dass ich kein Französisch spreche (danke, Namika ?) und sie leider nicht verstehen kann.

Sie versteht nicht, was Französisch ist und dass ich sie nicht verstehen kann. Aber das macht eigentlich gar nichts, denn sie weicht mir trotzdem nicht von der Seite. Weil ich nicht weiß, was ich sonst noch machen soll, mache ich ein Foto von ihr, für das sie bereitwillig posiert – und was ich hier nicht veröffentlichen werde, weil man Bilder kleiner Kinder nicht einfach so ins Netz stellt. Sorry.

Ihre Mutter kommt schließlich dazu, spricht fließend Deutsch (ist Deutschlehrerin) und wir unterhalten uns auch noch ein wenig. Meine Güte, wie niedlich, also beide. 🙂

Ja. Und gleich gehe ich mal zurück zum Zeltplatz und rede noch ein wenig mit Robert aus Amsterdam. Aufgeschlossen ist er ja eigentlich. Man muss solche Menschen dosieren, denke ich. Es muss dieses Abgrenzen sein, von dem Johannes neulich in einem Kommentar sprach. Interessanterweise fand ich den anderen Mitzelter, der fast gar nichts gesagt hat, am Ende interessanter. Vielleicht hat er auch deswegen nichts gesagt, weil er mit Robert schon durch war. Aber mehr reden = mehr sympathisch? Hier zeigt sich also noch einmal, dass die Rechnung nicht aufgeht.

Und wie vielen eigentlich ruhigeren Zeitgenöss:innen bin ich wohl schon auf die Nerven gegangen, indem ich einfach nur gesmalltalkt habe (was ich ja früher auch nicht mochte)? Es ist gar nicht so einfach, da das für jeden erträgliche Maß zu finden.

Heute kam ich an Schafen, Kühen, Enten vorbei – und habe ein sonderbares Verhalten an ihnen bemerkt. Die Schafe wirkten unglücklich, standen teilweise in ihrem eigenen Kot. Enten sammelten sich im Schatten, wie auch Kühe längst dahin geflüchtet sind. Einen guten Eindruck haben die alle nicht auf mich gemacht. Klar, die leiden auch unter der Dürre und der Hitze. Aber es wirkt fast, als wäre da etwas Größeres im Gange, als wäre das Nutzvieh müde, dem Menschen noch nützlich zu sein.

Morgen geht es weiter Richtung Norden. Peter und Beate aus Husum (die ich auf einem Campingplatz in Bayern traf, ihr errinert euch) haben mich zu sich eingeladen. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mir das nicht sogar zu nah von hier ist. Würde am liebsten noch ein Stück weiter kommen – und hier langsam mal fertig werden… Mir geht es wie dem Nutzvieh – ich mag irgendwie nicht mehr. Die Reise war schön, aber es ist dann auch gut, wenn sie jetzt bald zu Ende ist.

Robert und ich gehen noch ein wenig auf dem Deich spazieren. Er raucht sich einen, wir reden ein wenig über unsere Touren auf Niederländisch und Deutsch. Und er korrigiert mich weiter. Er ist ein echter Charismatiker, der halbe Campingplatz sprach schon mit ihm, er nennt oft meinen Namen, was sympathisch wirkt. Aber es bleibt auch dabei: schon nach ein paar Minuten geht er mir auf die Nerven und ich will wieder weg von ihm. Charismatisch und sympathisch ist nicht dasselbe.

Notizen

Der Penny-Markt von Glückstadt. Well played!

Nebenbei: eine schöne Stadt!

Ich hab es jetzt schon von mehreren Campern an mehreren Orten gehört: Auf Campingplätzen geht nachts der Power(bank)klau um. Offenbar auch in Hamburg am Elbstrand:

Lass deine Powerbank also nicht zu sorglos über Nacht an der allgemein zugänglichen Steckdose hängen, sonst sind am nächsten Tag zwei da. Äh, ja, sind da…

Da hat also jemand die genau gleiche, drei Jahre alte Samsung-Powerbank neben meiner aufgeladen. Schon schräg.

Und hier noch ein paar schöne Schleswig-Holstein-Klischeeimpressionen: ?

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Perspektive (Etappe 16)

Wir haben noch gar nicht über Juan gesprochen, und das ist schade, denn Juan ist cool. Als Nicky, Juan und ich am Abend vor meiner Abfahrt zusammen sitzen, nachdem wir unser selbst gebrautes Bier in Flaschen gefüllt haben, sprechen wir auch von unseren Perspekiven auf das Leben.

Nach einer Weile sage ich, ich würde mich im Alltag mit zahlreichen Dingen ablenken. Denn wenn ich mal wirklich zum Nachdenken käme, würde ich feststellen, dass mein Leben ganz schön trostlos sei.

Das könnte man aber auch umdrehen, sagte Juan. Einfach sehen, was man schon alles hat und im Leben erreicht hat, wo man lebt, welche Chancen man hat, welche Freunde, welche Familie. Und dann würde man vielleicht feststellen, dass man eigentlich ein tolles Leben hat.

Manchmal nickt Juan auf seinem Stuhl ein, wenn wir uns treffen, ein bisschen was trinken und es später wird. So auch an jenem Abend. Wir scherzen vorher, dass ich noch nie jemand Betrunkenem einen Penis auf die Stirn gemalt hätte. Ich fände sowas eigentlich unangebracht, aber beide finden, dass es sich lohnt, das mal gemacht zu haben. Nicky holt mir einen Kayalstift, ich warte auf eine günstige Gelegenheit, und dann schreibe ich zur Tat.

Als Juan davon wach wird, ist er nicht etwa sauer oder schimpft, sondern lässt mich ein Foto davon aufnehmen und es ihm zuschicken. Er lobt meine Zeichenkünste und die Aktion an sich. Er rennt auch nicht gleich ins Bad, um sich das Gemälde abzuwaschen, sondern hält den Rest des Abends damit durch.

Juan ist toll!

Ich selbst bin leider noch lange nicht so gelassen, auch wenn es besser wird. Und heute ist ein Tag, wo es ohne Gelassenheit auch gar nicht gegangen wäre.

Hier einmal etwas Interaktives für euch: zwei Möglichkeiten zur Auswahl und die Frage, was ihr getan hättet. Anschließend die Auflösung, für was ich mich entschieden habe.

Gegen 0800 wache ich auf, fange schon im Zelt an, zusammenzupacken. Die frühe Morgensonne knalllt drauf, und es ist bereits so heiß, dass ich verschwitzt aus dem Zelt komme.

a) Du würdest dich ärgern, so früh schon verschwitzt zu sein und nicht vorher schonmal die Zeltwände aufgemacht zu haben, damit Luft reinkommen kann.
b) Du wolltest eh in den Waschraum und machst dich da noch mal frisch.

Was ich getan habe: b) Ich musste noch in den Waschraum, um Sonnencreme aufzutragen. Dabei spritze ich mir noch etwas Wasser ins Gesicht. Alles halb so wild.

Danach packe ich zusammen, zahle an der Rezeption, bekomme noch einen schwarzen Kaffee ausgehändigt und mag nicht so recht losfahren. Mir fehlt der Antrieb.

Die Gegend ist toll, aber der Weg ist schlecht. Sand, Kopfsteinpflaster, leichte Steigungen – manchmal auch alles gleichzeitig. Ich komme kaum voran.

a) Was für ein Ärger. Ich drehe durch!
b) Ach, alles nicht so schlimm. Brauche ich halt was länger und kann mehr Gegend sehen.

Was ich getan habe: a). Ich habe mich tatsächlich aufgeregt. Ich bin schlecht drauf und mir geht beinahe jeder auf den Sack, den ich sehe. Ich wollte heute eigentlich über Liebe bloggen, aber das Thema ist zu traurig. Deswegen doch erstmal über Perspektive und Gelassenheit.

Irgendwann erreiche ich Hamburg-Harburg. Es ist heiß, ich muss an vielen Ampeln ohne Schatten warten, ich werde überholt, ich fahre Ewigkeiten durch die Stadt. Als ich beim Elbtunnel im Aufzug kurz warten muss, tropft mir die Soße von der Stirn.

a) Es nervt, diese Hitze! Und wie ich dabei aussehe. Ich schäme mich zu Tode.
b) Ach, was soll’s. Ich sehe aus wie ein Radreisender, da ist das gesellschaftlich akzeptiert.

Ich mache mir tatsächlich wenig draus und fahre einfach weiter.

Als ich dann endlich nach 70 km Fahrt den geplanten Zeltplatz in Hamburg-Zentrum erreiche, ist der voll. Der Besitzer weist mich freundlich zum nächsten.

a) Ich könnte alles zusammentreten. Der Arsch!
b) Ach, was soll der Ärger. Damit war zu rechnen.

War es in der Tat. Der Platz hat keine Zeltwiese, sondern nur Parzellen und die sind alle weg. Zudem ist der Betreiber nett. Nur kurz bekomme ich aber ein wenig Angst, keine Unterkunft mehr zu bekommen, zumal es auf Booking.com kaum noch ein Zimmer unter 80 Euro als Alternative gäbe.

Ich rufe den nöchsten Zeltplatz an – es geht niemand ans Telefon. Ich rufe einen anderen am Elbstrand an. Nach 3 Minuten in der Warteschlange: „Klar, ich nehme Sie auf. Aber wir haben einen Strand, keine Wiese.“

Und diese Information hätte ich mir besser genau durch den Kopf gehen lassen, denn sie wird spöter noch wichtig werden.

Es sind noch einmal 16 (!) km quer durch Hamburg zu fahren. Und wie jede Großstadt auf der Tour überfordert sie mich im Moment der Durchreise. Viele Menschen, heißer Asphalt, lange Rotphasen ohne Schatten. Immerhin sehe ich durch den Umweg heute mehr von der Stadt als jemals zuvor. Auf dem Weg brauen sich Wolken zusammen. Es könnte bald regnen.

Ich erreiche gegen 1620 Uhr endlich die Rezeption, und es donnert schon im Hintergrund. Meine Pläne, heute mal ein wenig gechillt durch Hamburg zu flanieren, sind längst zerschellt. Und zu allem Überfluss haben der Vater und sein adoleszierender Sohn vor mir am Schalter alle Zeit der Welt. Sie sind mit einem Camper da, flachsen, scherzen und flachsimpeln mit dem Betreiber.

a) Diese Wichser! Keine Empathie!
b) Ach, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.

Ich kann mir nicht helfen: ich bin genervt. Als ich dann endlich dran bin, gibt mir der Mitarbeiter noch als Rat: besser schnell Zelt aufbauen, da kommt jetzt was!

Dem würde ich ja gerne Folge leisten, aber ich bekomme mein schwer beladenes Rad kaum durch den Sand geschoben. Meine smarte Armbanduhr verabschiedet sich mit einem Piepen (Akku leer). Und als ich mir schnell einen Platz ausgesucht habe, geht es auch sofort los. Es kommen Sturzbäche vom Himmel. Und alles über mir ist ein kleiner Baum, der kaum Regen abhält.

Jetzt schnell handeln! Das Zelt aus den Satteltaschen geholt, aufgemacht, auf den Schlamm gestellt, der sich längst gebildet hat. Das Aluminiumgestänge hat diesen Schlamm längst abbekommen. Ich muss eigentlich höllisch aufpassen, dass da kein Sand zwischen die einzelnen Glieder kommt, sonst ist das Gestänge hin. Aber ich muss so schnell machen wie ich kann, damit das Innenzelt nicht nass wird.

Und der Plan geht vollkommen schief. Am Ende ist das Innenzelt durchnässt, es bilden sich Pfützen auf dem Boden. Das Gestänge und die Enden sind verdreckt und versandet. Ich bin nass, mein Handy ist nass, mein Handtuch ist nass – alles ist nass. Meine Schuhe: total verschlammt.

a) Cool bleiben, Nerven bewahren, produktiv handeln!
b) FUUUUUUÜUUUUCK!

Es wird b). Ich schimpfe, fluche, weine beinahe vor mich hin. Aber es nützt nichts. Es bleibt mir nur die Flucht nach vorne. Ich schnappe schnell meine Waschtasche, mein Handy, mein nasses Handtuch und eine noch trockene Unterhose und springe in den Waschraum und da unter die Dusche. Nass bin ich ja schon.

Als ich wieder ins Zelt komme, tröpfelt es zum Glück nur noch ein wenig. Ich nehme einen Lappen, wische die größten Pfützen weg, passe auf, dass kein weiterer Sand ins Zelt kommt, ziehe mich schnell an und nutze die Regenpause, um alles dicht zu machen und zum Bus zu laufen. Und immerhin das gelingt. Eine Stunde später bin ich in Hamburg-City und gehe mit Mario Fisch essen.

Es wird ein tolles Wiedersehen. Und auch der Fisch ist klasse. 😉

Nach dem Treffen nehme ich die S-Bahn zurück in Richtung Campingplatz. Aber weil kein Bus mehr fährt, soll ich zu Fuß gehen. 30 Minuten!

a) Bodenlose Frechheit! Eine 2-Millionen-Stadt und dann so ein Nahverkehr!
b) Endlich mal wieder ein bisschen Spazierengehen.

Es wird b). Denn so paradox es klingt, da ich täglich draußen bin und viel Zeit zum Nachdenken habe: mir fehlt das Spazierengehen und das Gedankensortieren dabei. Es ist eine himmlich angenehm-warme Luft, und es wird ein wunderschöner Abendspaziergang.

Morgen geht es Richtung Husum. Ob schon ganz dahin (140km) muss ich mir noch überlegen. 😉 Ich komme in den letzten Tagen kaum noch vorwärts. So schön die Tour ist: ich bin dann auch ganz froh, wenn ich bald am Ziel bin und dann mal ein paar Tage kein Rad fahren muss.

Notizen

Kurzgeschichten aus der Schule, hier wiederholt:

„Nachts schlafen die Ratten doch“ (Wolfgang Borchert) -> schon nice, sehr subtil und mehrdeutig.

„Jenö war mein Freund“ (Wolfdietrich Schnurre): deutlich direkter – und herzergreifend, glänzende, kurze Erzählung.

Lese gleich zum Einschlafen mal „Die Nacht im Hotel“ von Siegfried Lenz.

Die Ladestation auf dem Campingplatz und 1 ziemlich nices Ladekabel!

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Zufällige Gespräche (Etappe 15)

Britta und Markus kredenzen ein tolles Frühstück, und ich lasse mir extra viel Zeit damit, so, als würde sich dann der Fahrradschlauch von selbst auswechseln.

Das passiert natürlich nicht, dafür schaffen wir es mit vereinten Kräften. Die ganze Familie, Britta, Markus und Mika, hilft, und der Nachbar ist so nett, uns seinen Fahrradhalter auszuleihen. Das E-Bike befestigen wir daran. Einer muss aber trotzdem noch festhalten, denn das E-Bike ist zu schwer, ein anderer den Reifen, den wir dazu auf einen Stuhl ablegen, bei dem wieder einer gegenhalten muss.

Der Vierte, ich, friemelt schließlich den alten Schlauch heraus und den neuen wieder rein. Dann wieder mit vereinten Kräften das Rad dranmoniertieren, nochmal neu justieren, weil es sich in der Bremse verfangen hat, anschrauben, gucken, ob es sich gerade dreht, festschrauben, aufpumpen, ablassen. Puh! Was ein Act!

Alleine hätte ich das ganz sicher nicht geschafft. Als Kind sollte ich mein Fahrrad immer selbst reparieren, und sehr oft ging das auch. Fahrräder heute sind hochkomplexe Maschinen geworden, bei denen du haargenau wissen musst, was du da tust, sonst machst du es alles nur noch schlimmer.

Als ich das Ventil herausoperiere, kommt es mir übrigens fast schon entgegen. Scheint, als wäre der Riss gleich da unten gewesen, und wir hatten den Schlauch gestern Morgen bei unserer Aufpumpaktion unsanft geköpft:

Als Belohnung gehen wir hinterher auf meine Kosten noch ein Eis essen. Dann muss ich auch los. Wieder ein Ort, an dem ich gerne länger geblieben wäre.

Die Fahrt wird dann wenig ereignisreich. Es geht kilometerweit am Truppenübungsplatz Munster/Bergen vorbei:

Und an der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Aber mir ist einfach irgendwie nicht danach, da reinzugehen. Hab heute einfach mal keine Lust auf Betroffenheit:

Die Landschaft ist aber schön. Sie erinnert mich an meine Heimat. Bewaldet, viel Grün, kaum Steigungen, aber durchaus windig. Ich bin heute nicht so richtig munter, mache einige Pausen und benutze viel den Motor.

Als ich an einer Tankstelle mit eingebautem Café vorbeikomme, gönne ich mir noch einen Kaffee und setze mich draußen hin, wo gerade noch eine andere Dame verweilt, die mich anspricht.

Sie käme aus der Nordheide, aber wäre durch Zufälle hier gelandet (auf halbem Wege zwischen Hannover und der Lüneburger Heide), 48 Jahre alt, seit einigen Jahren dort im Altersheim – und es wäre dort furchtbar.

Ich bin überrascht: „Das geht? Sie sind doch kaum älter als ich!“ Genauer geht sie nicht auf die Gründe ein, aber sie sagt, dass ein Altersheimaufenthalt ab 40 möglich sei. Sie kenne dort aber niemanden, die Pflege sei schlecht, die Bewohner hätten zwar immerhin Internet, aber würden alles alleine machen, sich gegenseitig misstrauen und sich regelmäßig anschreien.

Ich frage sie, warum sie da bleibe, wenn es ihr nicht gefalle und es ihr in der Nordheide kurz vor Hamburg – wie ich heraushöre – besser gefallen habe. Das wäre nicht so einfach sagt sie. Das habe mit Geld, Verträgen und der Frührente zu tun. Aber hier wären die Menschen schon sehr verschlossen.

Es entwickelt sich noch ein sehr nettes Gespräch. Sie fragt, wohin ich reise, wie das Wetter in den nächsten Tagen noch werde (gar nicht mal so gut!) und dass sie sich Sorgen um die Zukunft der Gesellschaft mache.

Das haben mir schon viele Menschen auf meiner Reise gesagt. Man sorgt sich um die Zukunft, und man spürt ein tiefes Misstrauen gegenüber den Anderen. Die meisten, mit denen ich sprach, waren aber eigentlich sehr nett und aufgeschlossen. Es muss die schweigende Masse sein, die zu Hause sitzt, auf Facebook andere Menschen anhasst, die Deutschland-Flagge hisst und AfD wählt.

Solche Gespräche mit Wildfremden sind auf meiner Reise mittlerweile das Salz in der Suppe. Es soll ja Leute geben, die nur wegen so etwas Journalisten werden. Ich habe lange Zeit genau dieses Reden-mit-Menschen immer vermeiden wollen. Aber ich spüre, dass das langsam ein Ende hat.

Meine Tour heute endet nach 95 km in Bispingen am Fuße der Lüneburger Heide am Zeltplatz. Mein Nebenzelter arbeitet zufällig als Vertriebler für E-Bike-Motor-Teile und plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen. Er schlägt mir einen Ölwechsel der Nabe vor. Der wäre notwendig und könnte bei meiner vermurksten Schaltung noch was retten. Ja, da wäre tatsächlich Öl drin.

Ölwechsel der Nabe… Was kommt als Nächstes? Bordentertainment-Konsole im Tacho? Wie oben schon erwähnt: die Zeiten, in denen man alles mit ein paar Handgriffen selbst reparieren konnte, sind dann wohl auch vorbei.

Was seid ihr?

Habe irgendwie das Bedürfnis., nochmal alle deutschen Kurzgeschichten zu lesen, die ich damals im Deutschunterricht nicht verstanden habe. Also alle. Passt ja irgendwie auch zu einer Deutschlandreise. Lese gleich im Zelt mal „Nachts schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert.

Morgen dann Hamburg via die Lüneburger Heide, die gerade blühen soll. Wird bestimmt schön.

Notizen

Note to self: Merino-T-Shirt nicht mehr von Hand im Waschbecken waschen. Das stinkt jetzt irgendwie wie Hulle und das hat es vorher nicht.

Übrigens stimmt es nicht, dass nasse T-Shirts am Körper in einer Stunde von selbst trocknen. Das dauert viel länger. Abends zumindest. Ich probiere es gerade aus (und stinke 20 Meter gegen den Wind).

Mika (9) hat ein Fußballspiel mit Lego authentisch nachgestellt. Inklusive selbst geklebten Werbebanden, selbst gemachter Spielfeldmarkierung, Pressefotografen, Spielertunnel, Fallrückzieher und und und. Sehr, sehr geil!

In Bispingen steht ein Haus verkehrt herum:

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Hilfsbereitschaft (Etappe 14)

Gottfried fragt mich noch einmal, was ich eigentlich genau beruflich mache und wie das eigentlich alles genau funktioniere und nennt mich danach einen „Aussteiger“. Sowas hätte er sich nicht getraut, er sei ja nur Beamter gewesen. „Ja warte mal“, sage ich: „DU hast doch ein paar Jahre in einer Kommune gewohnt – wie passt das eigentlich zusammen?“ – „Das hat wunderbar gepasst.“

Die Kommune in dem Dorf in der Nähe bestand von 1978 bis 1987, war mehr Legende als tatsächlicher Sündenpfuhl – und am Ende ziemlich harmlos. Während meine Großeltern Stoßgebete gen Himmel schickten und die Leute im Dorf sich in ihrer Fantasie wilde Orgien ausmalten, lebten am Ende nur vier Paare länger zusammen. Jedes Paar für sich in einem Flügel des gemeinsam genutzten Bio-Bauernhofs, und viel mehr eigentlich auch nicht. Auf die Kinder passte man gegenseitig auf, den Hof bewirtschaftete man gemeinsam. Tagsüber gingen einige aus der Kommune ganz normalen Jobs nach. Gottfried und noch ein anderer waren Gymnasiallehrer. Ein paar wilde Partys, eine offene Sexualmoral? Sicher, aber offenbar auch nicht mehr, als zur gleichen Zeit drüben in Chemnitz. Keine freie Liebe, keine ausgehängten Klotüren, nur ein Miteinander in einer verlängerten Familie und dazu ehrlich verdientes Geld. Eigentlich ein erstaunlich bodenständiges Konzept, seiner Zeit ein wenig voraus und heute wieder modern.

Bevor ich heute los komme, möchte ich noch einmal meinen Hinterreifen aufpumpen. Da war ohnehin schon was wenig Luft drin, und die vergeblichen Versuche, mit einer von Gottfrieds Pumpen da gestern Luft reinzukriegen, haben das alles noch verschlimmbessert (französische Ventile… ?). Aber was tun in einem kleinen Ort, in dem es kein Fahrradgeschäft gibt?

Gottfried kennt einen Kramladen ein paar Straßen weiter. Der hätte bestimmt was da. Gottls Idee ist, langsam mit dem Auto voraus zu fahren, während ich ihm mit dem Fahrrad folgen solle. Warum er eigentlich nicht selbst mit dem Fahrrad gefahren wäre, frage ich ihn hinterher. „Keine Lust gehabt.“ ??‍♂️

Die Szene hat etwas Absurdes. Im dichten Samstagsvormittagsverkehr fährt Gottl mit etwa 20 km/h vorneweg – es geht leicht bergauf, ich komme mit dem Rad kaum schneller hinterher. Aus dem Fahrerfenster gibt er mir Handzeichen für die richtige Richtung. Andere Autos überholen uns oder warten geduldig.

Am Kramladen angekommen, hat dieser natürlich Betriebsurlaub. Also weiter zur letzten Bastion: der örtlichen Tankstelle. Wir haben sogar an den richtigen Adapter gedacht. Aber der Luftdruckregler pumpt keine Luft in den Reifen.

Im gleichen Moment kommt ein älterer Tankstellenmitarbeiter vorbei und bietet uns spontan seine Hilfe an. Er organisiert eine Verlängerung, aber auch die kann nichts ausrichten. Doch aufgeben ist nicht. Der Mann bittet uns, ihm in die Werkstatt zu folgen, wo er einen alten Kompressor stehen hat.

Mit Adapter, Verlängerung und Kompressor hantieren zwei von uns schließlich an meinem Hinterreifen herum, während der Dritte das Rad festhält, weil es ja keinen Ständer mehr hat. Aber das Manometer bleibt auf null. Wir probieren es noch einmal: wieder null. Erst dann fühlt mal einer von uns den Druck am Reifen selbst: er ist voll aufgepumpt!

Oha, ob das wohl zu viel war? Wie viel Luft ist da jetzt drin? Es sieht so ganz in Ordnung aus. Wir lassen es also dabei, verabschieden uns dankend und rollen von dannen.

Nachdem ich noch ein letztes Mal kurz in den Pool gehüpft bin und wir noch einen Kaffee zusammen getrunken haben, verabschiede ich mich sehr herzlich und fahre los. Was für ein toller Onkel!

Es ist schon 1340 Uhr. Und die 24 Stunden ohne in eine Pedale zu treten, haben mir gut getan. Es geht anfangs noch ein paar steile Hügel hinauf, aber es macht mir nichts aus. Und danach geht es bis Braunschweig und danach die 50 km bis Hannover nur noch bergab.

Gegen 1600 Uhr erreiche ich Peine und gönne mir in einem Lokal ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Ich schreibe Markus und Britta, dass ich schon im Endspurt wäre, und plötzlich beginnt es sogar leicht zu regnen. Und dann passiert etwas.

Als ich zu meinem Fahrrad zurückkehre und losfahren will, merke ich: da stimmt was nicht. Der Reifen hinten hat kaum noch Luft. Och nein, das ist jetzt irgendwie schlecht.

Schon morgens hatten sich die beiden Nachbarn meines Onkels im Spaß über mich amüsiert – nicht ganz zu Unrecht, wie ich gestehen muss. Fährt da einer einmal quer durch Deutschland und hat keine Luftpumpe dabei.

Dabei habe ich sogar extra mal eine handliche Reiseluftpumpe mit Akku gekauft, die auf Knopfdruck Luft aufpumpt. Ich habe sie zu Hause gelassen, weil ich in meiner unendlichen Weisheit dachte: ein Fahrradgeschäft mit Luftpumpe draußen findest du doch an jeder Straßenecke.

Ja, genau…

Ich frage den Besitzer des Cafés, ob er ein solches Fahrradgeschäft in der Nähe kenne. Ja, sagt der, da sei gleich eins um die Ecke. Aber es sei Samstagnachmittag und ob das jetzt noch geöffnet habe… Hat es natürlich nicht. Und eine Luftpumpe hat es draußen auch nicht stehen, als ich dort ankomme. Was nun, was jetzt tun? Ich sehe akut keine bessere Lösung als: andere Menschen um Hilfe bitten.

Und so versuche ich es zunächst bei einem älteren Ehepaar, das gerade seine genau gleich aussehenden E-Mountainbikes aufschließt. Nein, täte ihnen Leid, eine Luftpumpe hätten sie nicht dabei. Aber sie sehen unzufrieden aus darüber, dass sie mir nicht helfen konnten. Ich bedanke mich und spreche direkt die nächsten an. Ein Typ etwa Mitte 30 mit seiner Freundin, beide auf einem E-Bike. Ja, sagt der, er hätte eine kleine Notfallpumpe dabei. Müsse man zwar 200-mal pumpen. Aber immerhin. Ich nehme sein großzügiges Angebot an und sattele meine Taschen ab. In der Not frisst der Teufel Fliegen. In der Zwischenzeit kommt auch das ältere Ehepaar wieder dazu. Sie haben ein Repair-Notfallspray in der Satteltasche gefunden.

Am Ende probieren wir beides. Das Spray spuckt einen weißen Schaum aus, der Typ mit der Pumpe ist all in und pumpt selbst mindestens 150-mal, bis der Reifen sich langsam hebt und ich ihn ablöse. Seine Freundin steht abwartend abseits. Sie hatten etwas Besseres vor, das sehe ich ihr an. Dass sie mir trotzdem helfen: unbeschreiblich!

„Ich würde jetzt direkt zum Bahnhof fahren“, sagt der hilfsbereite Mann mit der Pumpe. „Das hält bestimmt nicht lange, und beim nächsten Mal stehst du irgendwo in der Pampa“. Ich weiß, dass er natürlich Recht hat. Aber ich will so schnell noch nicht aufgeben. Ich bedanke mich bei allen von Herzen und gebe dem älteren Ehepaar 10 Euro als Ersatz für Ihr Notfallspray. Dann lade ich mein Zeug wieder auf und suche auf Google Maps nach Geschäften.

Ich weiß, dass Kaufland eine Fahrradabteilung hat, und siehe da: in 3 km Entfernung gibt es eine Filiale. Ob der Reifen wohl so lange noch hält? Auf dem Weg dahin komme ich an einem weiteren Fahrradgeschäft vorbei, das natürlich auch geschlossen hat.

Bei Kaufland angekommen, sehe ich, dass der Reifen beinahe schon wieder platt ist. Aber die Luft hat gerade noch gereicht. Im Laden shoppe ich eine Doppelhub-Luftpumpe und ein weiteres Notfallspray. Draußen sprühe ich den Rest in den Reifen und pumpe mit mindestens 200 Stößen den Reifen noch einmal auf – und bin guter Dinge: das könnte mit etwas Glück die 40km bis Hannover halten. Ich kündige mich bei Markus und Britta an und fahre los.

Genau 2 km später muss ich einsehen: es geht nicht. Der Reifen ist schon wieder platt. Und das Ventil nimmt jetzt gar keine Luft mehr an. Ob wir das am Morgen in der Tanke mit unseren zahlreichen Versuchen geschrottet haben? ???

Jetzt bleibt mir nur noch als Option, den Schlauch zu wechseln. Einen solchen habe ich tatsächlich eingepackt, Notfall-Schlüsselset und Mantelheber auch. Also eigentlich alles dabei. Aber verflucht: ich bekomme mit dem kurzen Hebel des Notfallwerkzeugs die Reifenmutter nicht gelöst. Und ich erinnere mich: die hatten die Jungs in dem Fahrradladen in Karlsruhe extra fest angezogen, damit sich der Bremsschlitten nicht mehr mitbewegt. Na klasse.

Ich gebe auf und beschließe, dann doch den Zug zu nehmen – wohl wissend, dass ab jetzt Murphys Law greift. Alles was schief gehen kann, geht jetzt auch schief: Der Bahnhof ist 2,5 km entfernt. Ich muss schieben und so verpasse ich die erste mögliche Bahn. Die zweite würde eine halbe Stunde später fahren, aber fällt aus. Nächste Fahrt erst eine Stunde nach der ersten. Und so schiebe ich zum Bahnhof, komme wie zum Hohn noch einmal an einem längst geschlossenen Radgeschäft vorbei und dann 50 Minuten vor dem nächsten Zug am Bahnhof von Peine an. Es fallen mehr Züge aus als noch kommen, also ist klar: den nächsten muss ich erwischen:

Aber was soll ich mich da jetzt aufregen, denke ich. Ändern kann man ja eh nichts. Ich beschließe, die Wartezeit schon einmal mit einem Bier zu verkürzen und mit Markus schon einmal fernzuzuprosten. Und so schiebe ich mein Rad vor eine Bahnhofskaschemme der Art, in die ich normal niemals gehen würde, und gehe rein:

Es gibt Spielautomaten, zwielichtige Gestalten, eine tätowierte Mutter Oberin, Volbeat aus der Lautsprecheranlage – und regionales Bier für gerade mal 1,50 Euro die Flasche. Na also, gar nicht schlimm da! Zumal es eine Terrasse gibt, auf die ich mich setzen und die ähnliche Zusammensetzung im Laden gegenüber studieren kann:

Wenig später auf dem Bahnsteig geselle ich mich zu dem einzigen Ehepaar, das außer mir noch mit Fahrrädern unterwegs ist, und wir smalltalken kurz, etwa darüber, wo wohl das Fahrradabteil sein wird (note to my future self: meist am Anfang und Ende eines RE). Klar ist auch: ich muss in den Zug jetzt irgendwie rein. Denn der nächste kommt erst in zwei Stunden – vielleicht.

Und es kommt, wie es kommen muss: die Bahn rollt ein, wir stehen vorne, und vor dem Fahrradabteil ist die Tür defekt. Wir wollen es über die Nebentür versuchen, doch die Schaffnerin hält uns auf: nein, leider nicht erlaubt. „Aber wir könnten doch da eben durch…“ Nein, leider nicht erlaubt. Ich beginne zu diskutieren. Dass dies der einzige Zug in drei Stunden sei, der nach Hannover fährt und dass die Deutsche Bahn ein Sau… Ja, täte ihr Leid, aber nichts zu machen. Ich könne es nur am anderen Ende des Zuges noch versuchen.

Das Ehepaar ist längst auf dem Weg dorthin, und ich sprinte hinterher – so gut das mit einem schwer beladenen E-Bike mit einem Platten eben geht. Das Paar hilft mir. Der Mann fährt vor und öffnet, die Frau stellt sich in die Tür, damit ich es noch hinein schaffe. Die Menschen in diesem komischen Land können unfassbar hilfsbereit sein, wenn man sie nur mal lässt – und wenn man dabei nicht wie ein Penner aussieht.

Und wir haben Glück. Das hintere Fahrradabteil ist noch fast leer. Wir finden alle einen Platz für unsere Räder.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Denn ich komme mit dem etwa gleichaltrigen Typen ins Gespräch, der mir gegenüber sitzt und dem Ehepaar und mir ein Fisherman’s Friend Lemon anbietet. Sie lehnen ab – ich nehme an. Die Dinger mag ich zufällig. 😉

Und der Typ ist schräg.. Auch er hat ein Fahrrad hinten stehen. Auf meinen Hinweis, dass das gerade umgefallen sei, winkt er ab: „Ist ja nur ein Gegenstand, weißt du, und da wird sich schon einer drum kümmern.“ Und so ist es dann auch. Ein weiterer Radfahrer, der als letzter kam und daneben sitzt, nimmt sich das Fixierseil und befestigt das Rad meines Gesprächspartners an der Zugwand. Problem tatsächlich gelöst.

Aber weiter geht’s. Er würde nur nach Hannover fahren, weil er da abends gut nackt baden und sich einen durchziehen könne. Aha. Nein, kein Gras, nur Haschisch, eine bestimmte Sorte, die sie in Holland für 8 Euro das Gramm verkauften, den Bauern in Marokko aber nur 8 Cent dafür zahlen würden. Deswegen hätten die auch alle einen solchen Hass auf uns. Und auf die Schweiz sollte man ein paar Wasserstoffbomben werfen. Hätten die verdient.

Das alles klingt mir halb im Scherz gesagt, und irgendwie mag ich den Typen. Und so tue ich, was ich mir ein paar Tage zuvor als Grundsatz notiert habe, und lasse ihn einfach weiter reden ohne zu werten. Dadurch erfahre ich noch, wie er es sich als Fünfjähriger – angeblich – einmal eine Stunde lang in Schloss Neuschwanstein im Königlichen Schlafgemach auf der Matratze bequem gemacht hatte. Seine Eltern hätte er erst angeblich später auf dem Parkplatz wiedergetroffen, gemerkt hätte es keiner. Und wie er seine Eltern auf der gleichen Reise in Bern einmal verloren habe. Sonderbare Eltern, denke ich. Rührt daher sein Hass auf die Schweiz?

Das Ehepaar neben uns denkt sich seinen Teil und sagt nichts. Der Typ und ich amüsieren uns die 25 Minuten Fahrt nach Hannover köstlich.

Markus holt mich schließlich am Bahnhof ab, und wir schieben zusammen Richtung List. Markus, Britta und Mika haben mir noch reichlich zu essen übrig gelassen, und es wird noch ein gemütlicher Abend auf dem Balkon.

Wir reden über die Schulzeit. Markus und ich waren in der Oberstufe dicke Freunde und sind es eigentlich noch immer, aber ansonsten war ich damals sehr froh, das Abi geschafft zu haben und aus dem Ganzen herauszukommen. A propos: In ein paar Wochen wäre 25-jähriges Jahrgangsnachtreffen, sagt er. Und ich weiß das sogar. Würde ich kommen? Nein, sage ich, zu viele unliebsame Erinnerungen. Er nickt. Das könne er gut verstehen.

Morgen gilt es, irgendwie den Schlauch auszuwechseln und ein Stück weiter in Richtung Hamburg zu fahren. Sollte doch eigentlich möglich sein, hoffentlich. Passenderweise haben auch sie ein Fahrradgeschäft direkt gegenüber, aber morgen ist ja Sonntag…

Was für ein Tag! Eigentlich ist es mir immer am liebsten, wenn alles reibungslos funktioniert. Aber dann hätte ich nicht einmal die Hälfte zu erzählen…

Notizen

In Braunschweig ist CSD:

Und paar hübsche Ecken gibt es da auch:

Und dann sogar auch in Hannover:

Seriously, Deutsche Bahn? Klar, jeder hat gerade das 9-Euro-Ticket, aber der reguläre Preis von Peine nach Hannover wären wirklich über 100 Euro?! Für 25 Minuten Fahrt im RE?!