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Babel (Etappe 17)

Ich wache früh auf und habe alle Zeit der Welt. Es hat nicht noch einmal geregnet, es war auch nicht zu kalt auf dem Sand und ich habe gut geschlafen. Heute habe ich kein klares Ziel vor Augen. Ich weiß nur: in zwei Tagen sollte ich dann mal auf Sylt ankommen.

Drum lasse ich meine Sachen noch ein bisschen trocknen, packe langsam zusammen, bestelle mir einen Kaffee im schon geöffneten Bistro und unterhalte mich mit dem Mann, der mir am Tisch gegenüber sitzt. Er ist mit seiner Familie mit dem 9-Euro-Ticket angereist ist und findet, dass das Anspruchsdenken der Leute zu groß geworden sei. Das 9-Euro-Ticket sei ein Stück Freiheit, das es der ärmeren Bevölkerung zum ersten Mal ermögliche, diese Freiheit auch zu erleben. Nebenbei: Lindner sei ein Idiot.

Ich vermute, weil der das 9-Euro-Ticket wegen schwieriger Finanzierung nicht weiterlaufen lassen will. So rolle ich zumindest auch dank Lindner erst um 1030 los.

Unterwegs passiert nicht viel, aber kein echtes Ziel und es auch nicht so eilig zu haben, macht entspannt. Zu entspannt? Ich unterhalte mich mit einigen anderen Reisenden. Unter anderem dem älteren Ehepaar auf den E-Bikes, das diesen Sommer Inselhopping in Nordfriesland gemacht hat. „Welche Insel war am schönsten?“, frage ich. „Amrum“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sylt sei eine reine Geldinsel geworden, Föhr wie eine Hallig, Amrum habe die schönsten Strände.

Ich fahre ein Stück an den Deichen entlang. Es ist irgendwie superheiß, am Himmel steht nachmittags keine Wolke mehr, dazu weht ein kühler, aber auch sehr frischer Wind, der mich irgendwie austrocknet. Ich saufe wie ein Loch. Fülle meine Trinkflasche insgesamt dreimal wieder auf und kaufe mir zusätzlich noch eine Flasche Gerolsteiner Medium im Supermarkt (das wird mein Lieblings-Mineralwasser).

Und so bin ich froh, als ich dann endlich meinen geplanten Zeltplatz nahe Büsum erreiche, und noch froher, dass es sich ein gesprächiger Niederländer da schon bequem gemacht hat. So wirklich lange währt die Freude dann allerdings nicht.

Denn nachdem ich Robert aus Amsterdam mit meinen paar Niederländisch-Floskeln zu beeindrucken versuche, springt er voll drauf an. Er verlangt von mir, jetzt nur noch Niederländisch zu sprechen, lässt es sich dabei aber auch nicht nehmen, jeden kleinsten meiner Fehler direkt zu korrigieren. Und das wird mir schon bald unangenehm. Ich saß 7 Stunden auf dem Rad, bin todmüde und eigentlich habe ich gar keine Lust, jetzt noch eine Niederländisch-Lektion der alten Schule zu bekommen.

Zum Glück habe ich noch genug zu tun, um danach zu verschwinden: E-Bike-Akku aufladen, duschen, Wäsche waschen und mir schließlich auch das Meer anschauen, zumindest das, was davon gerade da ist:

Als ich zurück komme und mir einen Platz zum Bloggen weit weg von Robert suche, kommt auf einmal ein kleines Mädchen angelaufen. Sie versucht, die Tür der Gaststätte zu öffnen, sagt etwas von Bonbon und kommt dann strahlend zu mir, um mit mir zu reden und sich in den Arm nehmen zu lassen.

Das einzige Problem dabei: Sie spricht nur Französisch und denkt trotzdem, dass jeder sie verstehen kann. Mein Schulfranzösisch ist mittlerweile aber so weit vergessen, dass ich sie nicht einmal fragen kann, wie sie heißt. Ich bekomme es gerade noch zusammen zu sagen, dass ich kein Französisch spreche (danke, Namika ?) und sie leider nicht verstehen kann.

Sie versteht nicht, was Französisch ist und dass ich sie nicht verstehen kann. Aber das macht eigentlich gar nichts, denn sie weicht mir trotzdem nicht von der Seite. Weil ich nicht weiß, was ich sonst noch machen soll, mache ich ein Foto von ihr, für das sie bereitwillig posiert – und was ich hier nicht veröffentlichen werde, weil man Bilder kleiner Kinder nicht einfach so ins Netz stellt. Sorry.

Ihre Mutter kommt schließlich dazu, spricht fließend Deutsch (ist Deutschlehrerin) und wir unterhalten uns auch noch ein wenig. Meine Güte, wie niedlich, also beide. 🙂

Ja. Und gleich gehe ich mal zurück zum Zeltplatz und rede noch ein wenig mit Robert aus Amsterdam. Aufgeschlossen ist er ja eigentlich. Man muss solche Menschen dosieren, denke ich. Es muss dieses Abgrenzen sein, von dem Johannes neulich in einem Kommentar sprach. Interessanterweise fand ich den anderen Mitzelter, der fast gar nichts gesagt hat, am Ende interessanter. Vielleicht hat er auch deswegen nichts gesagt, weil er mit Robert schon durch war. Aber mehr reden = mehr sympathisch? Hier zeigt sich also noch einmal, dass die Rechnung nicht aufgeht.

Und wie vielen eigentlich ruhigeren Zeitgenöss:innen bin ich wohl schon auf die Nerven gegangen, indem ich einfach nur gesmalltalkt habe (was ich ja früher auch nicht mochte)? Es ist gar nicht so einfach, da das für jeden erträgliche Maß zu finden.

Heute kam ich an Schafen, Kühen, Enten vorbei – und habe ein sonderbares Verhalten an ihnen bemerkt. Die Schafe wirkten unglücklich, standen teilweise in ihrem eigenen Kot. Enten sammelten sich im Schatten, wie auch Kühe längst dahin geflüchtet sind. Einen guten Eindruck haben die alle nicht auf mich gemacht. Klar, die leiden auch unter der Dürre und der Hitze. Aber es wirkt fast, als wäre da etwas Größeres im Gange, als wäre das Nutzvieh müde, dem Menschen noch nützlich zu sein.

Morgen geht es weiter Richtung Norden. Peter und Beate aus Husum (die ich auf einem Campingplatz in Bayern traf, ihr errinert euch) haben mich zu sich eingeladen. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mir das nicht sogar zu nah von hier ist. Würde am liebsten noch ein Stück weiter kommen – und hier langsam mal fertig werden… Mir geht es wie dem Nutzvieh – ich mag irgendwie nicht mehr. Die Reise war schön, aber es ist dann auch gut, wenn sie jetzt bald zu Ende ist.

Robert und ich gehen noch ein wenig auf dem Deich spazieren. Er raucht sich einen, wir reden ein wenig über unsere Touren auf Niederländisch und Deutsch. Und er korrigiert mich weiter. Er ist ein echter Charismatiker, der halbe Campingplatz sprach schon mit ihm, er nennt oft meinen Namen, was sympathisch wirkt. Aber es bleibt auch dabei: schon nach ein paar Minuten geht er mir auf die Nerven und ich will wieder weg von ihm. Charismatisch und sympathisch ist nicht dasselbe.

Notizen

Der Penny-Markt von Glückstadt. Well played!

Nebenbei: eine schöne Stadt!

Ich hab es jetzt schon von mehreren Campern an mehreren Orten gehört: Auf Campingplätzen geht nachts der Power(bank)klau um. Offenbar auch in Hamburg am Elbstrand:

Lass deine Powerbank also nicht zu sorglos über Nacht an der allgemein zugänglichen Steckdose hängen, sonst sind am nächsten Tag zwei da. Äh, ja, sind da…

Da hat also jemand die genau gleiche, drei Jahre alte Samsung-Powerbank neben meiner aufgeladen. Schon schräg.

Und hier noch ein paar schöne Schleswig-Holstein-Klischeeimpressionen: ?

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