Als ich heute Morgen in die Küche kam, saß ich da schon und las die Zeitung. Auch eine Tasse Tee stand neben mir.
„Ja, wie?!“, rief ich. „Was mache ich denn hier? Ich hab doch bis eben noch geschlafen!“
„Hm-mh“, murmelte das andere Ich, tief in seine Zeitungslektüre verstrickt. „Hast du gewusst, dass fünf von zehn Menschen Frühaufsteher sind? Steht hier.“
„Und das bedeutet?“
„Das bedeutet, dass ich es satt habe, immer bis fast mittags in den Seilen zu hängen. Und deswegen bin ich heute einfach schon mal um 5 Uhr raus.“
„Und die Zeitung?“
„Habe ich mir beim Bäcker gekauft. Sind auch noch Brötchen da. Möchtest du eins?“
„Das mit Körnern sieht nicht schlecht aus. Vielen Dank!“
„Gibt auch Aufschnitt und bisschen Marmelade.“
„Ich mag keine Marmelade, und du, also ich, dann doch eigentlich auch nicht.“
„Eigentlich nicht, nein“, sagte das andere Ich und lugte mich herausfordernd an.
Ich setzte mich erst einmal. Diese ungeahnte Begegnung hatte mich verwirrt, und ich schlief ja auch noch halb. Der Andere hatte einen zweiten Teller und ein Messer da stehen, noch unbenutzt. Ich zog beides zu mir rüber und schnitt erst einmal das Brötchen auf, murmelte dabei leise vor mich hin. Ich2 sagte nichts, aber ob er nun Zeitung las oder nicht – ich merkte seinen lauernden Blick auf mir. Er sah meinem Spiegelbild schon ähnlich, so ist es nicht. Aber dieser Gesichtsausdruck! Viel forscher, freier.
„Ump“, fragte ich mit vollem Mund, „woll daf jetf häufiger paffieren?“
„Dass ich Dinge einfach anders mache als du, dass ich aus dem engen Konstrukt ausbreche, dass du dir selbst angezogen hast, dass ich zum Freigeist werde und ab jetzt häufiger hier sitze? Ja, das soll passieren.“
Dieser Story Opener entstand im Rahmen einer fünfzehnminütigen Schreibübung in einem Seminar für kreatives Schreiben. Beim Transkribieren leicht abgeändert. Die anderen Kursteilnehmerinnen (ja, ausnahmslos Frauen) fanden es ganz gut, sagten höchstens, ich könnte noch mehr mit Ichs arbeiten, mit den Ebenen spielen, und eigentlich wäre das doch auch der ziemliche Horror, sich morgens selbst in der Küche zu treffen und das könnte ein solcher Text alternativ darstellen.
Was meint’s ihr? Und wie könnte es weitergehen?
*
Hrhr…

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Antworten abbrechen