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Oberbayerische Seenplatte (Etappe 6)

Es ist wieder einmal früh morgens, als ich aufwache, ohne schon halbwegs ausgeschlafen zu sein. Der ganze Platz schläft noch. Und plötzlich fällt mir ein, dass es doch eigentlich toll wäre, noch kurz in den See nebenan zu springen, an dem ich gestern noch kurz spazieren war. Nicht immer nur schauen, auch mal fühlen. Der Forggensee ruht noch sanft in einem niedrigen Bett, der Strand ist ausgelegt mit spitzen Steinen, doch das Wasser ist warm.

Ich bin nicht all zu lange drin, mir lieber, ich komme früh los. Ich treffe meinen Nebenzelter an der Rezeption, der mich fragt, ob das zufällig meine Trinkflasche sei, die er da im Waschraum erspäht habe. Tatsächlich. Erst aufgefüllt und dann dort vergessen. Früh morgens ist selten meine Sternstunde. Tausend Dank, lieber Nebenzelter!

Aus dem diesem Zeltplatz muss man auschecken. Während ich dafür an der Rezeption stehe, kommt eine Camperin dazu, die einen leichten Akzent hat, um sich zu beschweren. Aus ihrer Vorratstruhe im Zelt habe jemand etwas zu essen entwendet. „Das war der Fuchs“, sagen die beiden Rezeptionistinnen gleichzeitig. Ach wirklich? Jaja, der sei erfinderisch und komme auch in Zelte und wühle darin herum. „Ein Fuchs, der den Reißverschluss vom Zelt öffnet, hereinkommt und dann den Reißverschluss der Vorratstruhe öffnet. Das muss ein sehr intelligentes Tier sein“, argumentiert die Frau. Achselzucken bei den Rezeptionistinnen. Die Frau dreht sich um, schüttelt den Kopf und geht.

Ich erwarte heute eine Königsetappe. Und auch wenn es am Ende keine wird: es wird heiß an diesem Tag mit Temperaturen weit über 30 Grad.

Von Füssen nach München ist es überraschend einfach zu fahren, mit mehr Gefälle als Steigungen, auch wenn die App etwas anderes suggeriert hat.

Was aber nicht nur Vorteile hat. Am Ende einer längeren Abfahrt höre ich plötzlich metallische Geräusche am Hinterrad. Es krächzt und klirrt. Da stimmt was absolut nicht. Ich halte sofort an.

Um den Fehler zu finden, brauche ich einen kleinen Moment: Die Klammer um meine Bremsbeläge hat sich gelöst und ein Pin davon ragt direkt jetzt in die Scheibenbremse rein. Dabei hat er sich außerdem so verzogen, dass ich ihn mit einem Inbus nur noch zurückbiegen kann. Aber den Bremsbelag kann die Klammer nicht mehr halten. So ein Mist, die hatte ich neulich erst ausgetauscht.

Aber ich habe riesiges Glück, ich befinde mich gerade in einer kleinen Stadt, und in der gibt es eine Radwerkstatt, die in einer halben Stunde öffnet. Mit Hilfe von Google Maps fahre ich direkt dorthin.

Als der Mechaniker erscheint und den Laden aufschließt, bin ich als erster dran. Er kommt mit raus, wirft einen Blick auf die Bremsbeläge und dann lacht er: „Ja, das stimmt, die sollten neu, aber da hat sowieso einer die falschen eingebaut, haha. Wer war das denn?“ Äh ja, wer war das bloß… ?

Er verkauft mir zwei Paar neue für einen – wie ich finde – stolzen Preis von 40 Euro. Aber ich bin froh über die Hilfe und zahle, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Und dann frage ich ihn, ob er mir kurz eine Kneifzange ausleihen könnte.

Er zögert. Was, warum das denn? Na ja, damit ich die Beläge gleich auswechseln kann. Er zögert weiter: „Du willst die Beläge gleich hier auswechseln?“ – „Ja klar, warum nicht.“ Das scheint er für keine gute Idee zu halten. Ist es vermutlich auch nicht. Aber ich sehe keine Alternative. „Eigentlich leihe ich niemals Werkzeug aus“, sagt er. „Aber gut.“ Am Ende gibt er mit die Kneifzange, mit der ich die Spinde der Bremshalterungen öffnen will, und verspreche hoch und heilig, ihm sie sofort wiederzugeben.

Als ich mit der Zange draußen bin, merke ich: Das ist alles gar nicht so einfach, zumal in der Sonne, die bereits jetzt am Vormittag gnadenlos herunterbremmt. Und ohne die Möglichkeit, die Bremse irgendwie vorher sauber zu machen, das Fahrrad irgendwo abzustellen und mich in Ruhe dazu hinzusetzen. Ich werfe noch einmal einen Blick auf den Belag: Die Klammer ist zwar verbogen, aber den Pin habe ich aus der Scheibe herausgedreht, der Bremsbelag scheint trotzdem zu halten. Es schleift auch nichts.

Und so vertraue ich auf mein Glück, schiebe den Spint wieder rein, packe die gerade gekauften Bremsbeläge in meine Reisetasche und lasse die alten Beläge drin. Mal sehen, wie lange die jetzt noch halten. Dem Mechaniker gebe ich noch schnell seine Zange zurück, dann fahre ich weiter.

Die Strecke ist arm an Sehenswertem. Das Allgäu hat mich umgehauen. Oberbayern ist – zumindest auf meiner Stecke – im Vergleich dazu fad:

Bis auf die Seen natürlich. Gegen Mittag erreiche ich bei großer Hitze den Ammersee. Mir ist eigentlich danach, an einer schönen Uferpromenade im Schatten zu dinieren und auf die Weiten des Meeres (er ist echt groß) heraus zu schauen, aber viel mehr noch: einfach reinzuspringen. Und das tue ich dann einfach spontan, als ich vom Radweg aus einen kleinen Kieselstrand erspähe. Nachdem ich mein Zelt noch einmal aufbaue, damit es vom Morgentau trocknen kann, schnappe ich mir die Luma und paddele aufs Wasser raus.

Zum Trocknen lasse ich mich auf meinen Campingstuhl fallen. Zu essen gibt es eine Oliven-Nuss-Mischung. Nicht das gehaltvollste Essen, aber viel näher dran am Naturalismus, der mir eigentlich viel besser gefällt.

Während Zelt und Luma trocknen und ich kurz im Schatten entspanne, kommt ein niedlicher Hund auf mich zu gesprintet. Er erinnert mich an Lucy (Nickys und Juans leider inzwischen verstorbenes Schaf im Wolfspelz). Er stupst mich ungefragt erst von links, dann von rechts an – und seine Besitzer sind außer sich: „Whisky, kommt da weg, aber echt jetzt mal!“. Nur der Hund und ich sind erstaunlich gelassen: „Schätze, er mag mich halt“, sage ich zum Besitzer, der sich vielmals entschuldigt. Immerhin das, andere Hundebesitzer kriegen es ja gar nicht in ihren Schädel, dass manch einer nicht von ihren Hunden angesprungen werden will.

Bevor es Lucy gab, habe ich Hunde gehasst und als dumme, störende und irgendwie überflüssige Hindernisse angesehen. Dann hat dieser unverstellte niedliche Wolfshund irgend einen Schalter in mir gedrückt. Und mittlerweile freue ich mich zumindest über Begegnungen mit Hunden, die nicht aus dem Mund raustriefen. Es gibt sehr viele, sehr sehr hässliche Kläffer, die in meinen Augen wirklich die Welt nicht braucht (jaja, neinein, sicher sicher, jedes Lebewesen ist ein Lebewesen usw. Aber könnte man nicht einfach nur niedliche Hunde züchten?). Aber mittlerweile sehe ich Hunde mit anderen Augen.

Es ist so heiß an diesem Tag, dass ich mir wenig später am Schiffsanleger am Ammersee noch ein Eis gönne. Als ich direkt dahinter die S-Bahn-Station Herrsching erspähe, weiß ich immerhin: es kann nicht mehr so furchtbar weit sein bis München. Ich muss allerdings noch bis Unterschleißheim im Norden, die Sonne brennt und vor allem im Asphaltdschungel wird es später besonders heiß. Alle paar hundert Meter der Stopp vor einer Ampel ohne Schatten. Wieder los, an anderen Radfahrern vorbei, wieder eine Ampel, wieder kein Schatten.

Als ich am späten Nachmittag endlich am Ziel bin, werde ich sehr herzlich begrüßt von Caro und ihrem jüngsten Sohn. Caro kenne ich noch aus Bonner Zeiten; nach dem Studium ist sie zurück nach Unterschleißheim gezogen und hat eine Familie gegründet. Ich habe Zeit für eine Dusche und darf eine Maschien anschmeißen. Danach gehen wir an den Unterschleißheimer See, dessen Uferlinie deutlich gesunken ist. Und das schon seit Jahren, sagt Caro. Ironischerweise kündigt sich im gleichen Moment ein Unwetter an. Es wird die ganze Nacht hindurch gewittern.

Dabei weiß ich noch gar nicht genau, wohin es morgen weiter gehen soll. Regensburg wäre in einem Tag machbar, Nürnberg für einen Tag zu weit. Die eigentliche Königsetappe kommt aber ohnehin erst dann: denn da scheint noch ein Mittelgebirge zu sein, von dessen Existenz ich nichts wusste und das sich auf dem Weg nach Norden nur schwer umfahren lässt. Wo kommt das jetzt plötzlich her! ? Das ist dann wohl der Nachteil der „Strategie“, einfach mal ins Blaue hinein zu fahren.

Caros zwei Jungs sind 7 und 11 und beide gut geraten. Und mit beiden scheine ich mich recht gut zu verstehen. Ich glaube, denke, behaupte, ich könnte das jetzt auch, wenn ich wollte oder müsste. Also so ein Kind großziehen… ?

Bin nebenbei sehr dankbar, dass ich heute bei Caro in einem Haus übernachten und etwas Schlaf nachholen darf.

Notizen

Nicht alle mir entgegen kommende Radreise-Pärchen, aber sehr, sehr viele:

Ich: ??

Mann (fährt vorneweg): ???

Frau (eine Radlänge dahinter): ??

Ob die wohl eine glückliche Beziehung führen?

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