Kategorien
Allgemein

.52: Koblenz

Ich wache völlig energielos auf. Oha, und jetzt auf Tour? Eigentlich alles ist gepackt, aber es ist verdammt viel, verdammt schwer, wo lade ich bloß mein E-Bike auf unterwegs und wie soll das eigentlich alles…

Wo ist die Euphorie vom Vortag hin? Ich schwanke den ganzen Morgen zwischen „gleich alles fertig“ und „ich komme hier nie mehr weg“. Was noch unbedingt mitnehmen, was dalassen, was improvisieren?

Irgendwann resigniere ich und gehe unten beim Caféroller einen Milchkaffee trinken, mich sortieren. Jetzt bin ich wach, jetzt kann es gleich losgehen.

Wieder zuhause wird das Aussortieren konkreter. Reicht das kleine Handtuch, muss ein schickes T-Shirt, die Hängematte, ein zweites Paar Schuhe?

Erstmal zum Tuscolo mittagessen. Vielleicht sorgt das ja für Urlaubsfeeling.

Zurück um 1230 fällt mir ein, dass ich nebenbei ein paar Folgen The Handmaid’s Tale für unterwegs herunterladen sollte. Staffel 3 ist leider nur noch bei MagentaTV zu haben. Die App hat eine 2,8 im Schnitt. Was soll schon passieren…

Die Hängematte bleibt da 🙁 Socken und Waschmittel verstaue ich im zweiten Paar Schuhe. Die MagentaTV-App schickt mich zur Anmeldung auf die Telekom-Startseite, wo ich angeblich schon ein Konto hätte. Die Passwortwiederherstellung will den Beruf meines Großvaters wissen.

Ich habe alles zusammen, sogar für die Solarzelle ist noch Platz, zwei volle Taschen trage ich schonmal runter. Ich merke, ich muss noch was für den Nacken tun, sonst hole ich mir bei dem Fahrtwind den Tod. Nichts hat einen wirklichen Kragen, ein Schal ist zu groß. Ich entscheide mich für Kinesio-Tape. Der nächste dm ist bestimmt einen Kilometer entfernt. Und wie da jetzt schnell hinkommen? Das E-Bike hat schon beladene Taschen.

Nach geschaffter Anmeldung darf ich in der MagentaTV-App erneut nach The Handmaid’s Tale suchen, jetzt ist neben jeder Folge sogar ein Download-Button zu sehen. Klicke ich darauf, beginnt die Folge zu laden. Dann die Aufforderung, eine Jugendschutz-Pin einzugeben. Öhö. 0000, wie immer? Nö, leider nicht. Hätte ich noch gar nicht festgelegt. Aber ganz einfach: Kannst du unter Jugendschutz-Pin anlegen. Aha, und wo?

Die Suche am Rechner, den ich eigentlich längst runtergefahren hatte, gibt mir Zeit, nach Kinesio-Tape zu googeln. Soll es auch beim Penny geben. Also los! Finde ich dort tatsächlich. Jetzt wird alles gut!

Mittlerweile ist es 1400 Uhr. Ich finde in den Einstellungen die Möglichkeit, eine Jugendschutz-Pin festzulegen. Möglichkeit 1: Klarna, gib deine Online-Banking-Logindaten ein. (Am Arsch!). Möglichkeit 2: Video-Ident-Verfahren. Na gut, was soll’s. Auf dem Handy passiert: nichts. Und nochmal: nichts. Ich krame den Rechner wieder raus, gebe alles, inklusive Geburtsdatum wieder ein. „Deine Internetverbindung ist zu langsam.“

What the shit? Aber tatsächlich. Auch andere Seiten laden langsam. Es hilft nichts, ich starte den Router neu, warte, packe nebenbei weiter, gehe runter zum Bike und bringe schonmal die Lenkertasche an, starte Ident noch einmal, gebe alles neu ein, ärgere mich schwarz. Da endlich, eine norddeutsche Stimme meldet sich: „Ist da Jürgen?“

Ich hatte eigentlich vor, ihn anzuraunzen, ihm betont sachlich meinen ganzen Frust über die blöde Magenta-App mit auf den Weg zu geben (mit dem Hinweis dass er persönlich nichts dafür kann). Aber keine Chance. Der Mann ist mir auf Anhieb sympathisch. „Ah, Bonn, da war ich neulich auch noch?“ – „Bei der Telekom?“ – „Nein, vor dem Arbeitsgericht, um die Telekom zu verklagen.“ <3

Er schaltet mich frei. Na endlich. Mittlerweile ist es 1430 Uhr. Ich kann eine Pin festlegen. 0000, 1111 oder 1234 gehen nicht. Wie immer, wenn Sicherheit vor Usability geht (Deutschland). Ich gehe wieder in die App, suche wieder nach The Handmaid’s Tale. „Du hast keine Pin vergeben“.

!@#$%^&!!!

Egal, los jetzt. Drei Folgen hat die App rubtergeladen, vielleicht kennt sie die Pin später. Ich bringe die schwere, orange Tasche runter. Vielleicht hätte ich vorher mal ausprobieren sollen, ob sie auch passt und hält. Aber, ja, sie tut es. Sie wird nur später ein wenig verrutschen.

Das Gepäck wiegt gut und gerne 15, das E-Bike an die 20 Kilo. Es ist ein halbes Motorrad, das ich da die Außentreppe hochwuchte. Vielleicht hätte ich vorher… Egal jetzt. Ich schiebe das ganze Paket Stufe für Stufe hoch und übe schonmal für eventuelle Bahnfahrten. Ein letztes Foto noch, dann los. Es ist 1450 Uhr.

Vor dem Römerkran kommt ein LKW den viel zu kleinen Weg hinauf. Ihm folgen drei (!) weitere Sprinter. „Was ist das denn jetzt?“, murmel ich vor mich hin. Was ist da los, was ist das für eine mysteriöse Kraft, die mich unbedingt in Bonn behalten will? Ein Typ, der nebenan mit einer Flasche Bier auf der Bank sitzt, klärt mich auf: „Der Biergarten da unten kann nur so beliefert werden. Dat Schänzchen, kennsse?“

Kenne ich. Und jetzt endlich geht es los. Ich bin am Rhein und die Tour beginnt. Und wenn et eeinmol lööf, dann lööf et. Nach fünf Minuten am Rhein bin ich die Ruhe selbst. Und alle Sorgen (welche Sorgen?) sind vergessen.

65 km später in Koblenz bin ich am Deutschen Eck. Es ist mittlerweile 1830. Ich muss ja noch Zelt und Co. aufbauen und die Muskeln meinen auch: Für den Anfang reicht das.

„1 Mann, 1 Nacht, 1 Zelt“, sagt die Dame am Empfang wissend, ohne dass ich etwas gesagt hätte. Ich nicke nur. „Sollen wir auch Ihren E-Bike-Akku hier aufladen?“ Sie tippt was an ihrem Computer rum, brummt und schüttelt den Kopf. „Ein ganzes Netz von Campingplätzen, aber nur 4 Server, mitten in der Hauptsaison. In Deutschland kriegen sie das mit der IT einfach nicht hin.“

Ich nicke, heftig.

Die Solarzelle lädt das Handy in der Abendsonne gar noch einmal voll. Ich baue nebenbei mein Nachtlager auf und mache mich anschließend in den Waschraum zum Duschen und Klamottenwaschen. Das wird die nächsten Wochen mein Alltag sein.

Egal, das Wetter ist gut, der Typ neben mir könnte auch ich sein: Alleinreisend, E-Bike, 1-Mann-Zelt, Klamotten zum Trocknen aufgehängt. Die Leute hier grüßen freundlich, hinter ein paar Wohnwagen sieht man das Deutsche Eck. Es ist das reinste Spießertum und ich muss gestehen: Ich mag das hier.

Ihr wollt es was kitschiger? Kein Problem!

Gefahrene Kilometer: 65, Akkuladestand: 73%. Persönliches Energielevel, morgens: 1/10, abends: 8/10.

Km 0:

Km 10:

Km 20:

Km 30:

Km 40:

Km 50:

Km 60:

5 Antworten auf „.52: Koblenz“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.