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79: An einem Wochenende nach Rotterdam?

So der Plan. Die letzten 300 Kilometer auf der Veloroute 15 von Bonn bis Hoek van Holland kurz hinter Rotterdam. Das sollte doch an drei Tagen schaffbar sein, denke ich, im Campingmodus bin ich eh noch. Also los.

Am ersten Tag breche ich nach Feierabend auf. Die Strecke zwischen Wesseling und Köln kenne ich fast schon auswendig. Macht aber nichts, hübsch ist sie eh nicht, und heute möchte ich wegen der späten Startzeit vor allem Kilometer abreißen. Es läuft aber eher so schleppend. Der Weg führt mich am Kölner Rheinufer vorbei, mitten durch die flanierenden Menschenmassen. Ein paar Fahrradaktivisten bieten mir an, auf der Straße zu fahren, sie haben eine Spur abgeklebt, irgendwas Politisches. Leider nur für etwa einen halben Kilometer.

Schöner als gedacht und definitiv mal etwas für einen Kurztrip: Zons am Rhein, und auch das, was ich von Neuss gesehen habe, sieht nicht schlecht aus. Als es Abend wird, suche ich auf Google Maps einen Campingplatz, finde einen mit einer Bewertung von 4,7, klingle durch und erwische nur den Anrufbeantworter: Sorry, aber nach einer ausgedehnten Mittagspause ist unsere Rezeption nur bis 1830 geöffnet. In der Hauptsaison?! Nicht euer Ernst! Ich rufe die nächstbesten anderen an, Google-Bewertung 3,4. Tenor der Rezensionen: Platz okay, Leute nett, das mit den Ratten war was doof. Aber, come on, eine Nacht? Ich will es riskieren und kann auch noch vorbei kommen, kein Problem, auch um 2100 Uhr noch.

Und siehe da: Ein schöner, ruhiger Platz direkt gegenüber der Düsseldorfer City, eine Dusche ist gerade frei, nachts kommen keinerlei Nagetiere zu Besuch. Dafür Regen und Gewitter. Im Morgengrauen um 0600 rolle ich bei gefühlten 24 Grad das Zelt zusammen, das diesmal nass vom Regen ist, nicht vom Morgentau.

Weil es gestern nur 80km waren, plane ich für heute eine „Gewaltetappe“. Möglichst früh los, möglichst weit kommen. Was ich da noch nicht ahne: Dass es wahrscheinlich auch die für mich schönste Etappe der ganzen Rheinroute wird. Und das überrascht mich. Fast den ganzen Morgen nieselt und regnet es. Und es geht an dem vorbei, was Landschaftsarchitekten nicht gerade als malerisch beschreiben würden. Fabriken, alte Hochöfen und Destillerien im Duisburger Umland (wusstet ihr, dass Dujardin aus einem baufälligen Backsteinbau in Krefeld-Uerdingen stammt?). Aber diese Industrie-Kultur ist ebenso ehrlich wie atemberaubend. Wer einen Einblick darüber will, wie die industrialisierte, westliche Welt im Jahr 2020 mit all ihren Licht- und Schattenseiten funktioniert, der sollte diese Etappe mal gefahren sein.

Gegen Mittag hinter Moers wird die Gegend plötzlich unerwartet hübsch und auch das Wetter bessert sich. Orte wie Homberg, Baerl und Rheinberg sagen mir zwar nichts, aber gefallen mir mit ihren traditionellen Häuschen und weiten Wiesen erstaunlich gut. Xanten! Ein Ort, in den die Lateiner in der Mittelstufe unfreiwillig einen Exkurs machen mussten: eine richtig hübsche Altstadt mit angrenzender Nord- und Südsee (jaja!).

Der Plan, direkt an diesem Tag noch nach Arnheim zu fahren und dabei noch ein paar Mini-Umwege in Orte einzulegen, an dem Freunde und Bekannte aufgewachsen sind, erscheint mir zunehmend ambitioniert. Zumal ich mich mehrmals verfahre. Die Beschilderung ist schlecht und nichts kostet mehr Zeit und Kraft, als immer wieder in die falsche Richtung zu fahren. Aber so bekomme ich wenigstens mal Rees, Emmerich und Elten zu sehen. Wirklich keine schlechte Gegend.

Es wird langsam später und Arnheim ist immer noch 30-40 Kilometer entfernt. Ich spare mir Kleve und fahre direkt von Elten nach Arnheim. Nicht der hübscheste Weg an der Hauptstraße entlang, und seit Rees ist der Gegenwind auch mächtig aufgefrischt. Aber als deutscher Radfahrer kommt man sich in den Niederländern sofort vor wie in der Zukunft. Klar gekennzeichnete Fahrradwege, Fahrradampeln, Verkehrsverlangsamungen für Autos, viele Schilder, die Radwege top in Schuss. Alle Macht dem Fiets. Wow!

Nur eins vermisse ich: die offiziellen Schilder für die Eurovelo 15. Tatsächlich finde ich sie hier und am nächsten Tag trotz Ankündigung kein einziges Mal vor.

Schon die kurze Fahrt durch das Zentrum von Arnheim ist schön. Leider habe ich auf diesem Trip nicht mehr die Zeit, mir sie genau anzuschauen. Aber ich werde garantiert mal wiederkommen und das nachholen!

Aber es ist spät und ich möchte zum Zeltplatz. Meine Kräfte sind am Ende, der Akku ist leergefahren und ausgerechnet jetzt wird die Gegend erstaunlich hügelig (hallo, Niederlande?!).

Am Campingplatz das übliche Spiel: nichts mehr frei, aber irgendwas geht noch. Eigentlich sei man voll besetzt, heißt es meist von den Betreibern, die was von modernem Marketing (Stichwort: Overperforming ) verstehen. Mit traurigen Kulleraugen beschreibe ich dann meist, dass mein kleines, (wirklich!) schmales Zelt noch in jede Ecke passe und dass ich ja am nächsten Morgen schon wieder weg wäre. Und so ist es auch diesmal. Die Betreiberin telefoniert kurz mit ihrem Mann am anderen Ende des Platzes und lächelt mich dann an: ja, wir haben doch noch einen Platz frei. Na sowas… 😉

Ihren Mann treffe ich dann am anderen Ende des Zeltplatzes. Er erklärt mir alles. Toll sage ich, und echt nur 13 Euro? Ja, voll günstig, ne? Ach so, es gibt da einen kleinen Haken. Über uns steht ein Birnenbaum, der gerade Früchte abwirft. Das lockt die Wespen an. Ich mach’s dann immer so, dass ich sie mit Fallobst anlocke und dann einfach totschlage. Zur Demonstration schnappt er sich eine Schaufel und hämmert wie verrückt ein paarmal auf den Wespen am Boden herum, die sonderbarerweise daraufhin nicht über ihn herfallen und ihn allemachen. Hier die Schaufel, wenn du es nachher selbst einmal versuchen willst? Äh, danke, gerne, mal sehen.

Ich behalte die Schaufel, aber lasse die Wespen danach lieber Wespen sein. Live and let live und so. Freue mich aber auch darüber, dass mein kleines, schmales Zelt erstaunlich insektendicht und das Obst schon reif ist.

170km bin ich an diesem einen Tag gefahren. Was für Strecke! Ein wenig ruhte meine die Hoffnung darauf, dass ich es am nächsten Tag dafür halbwegs ruhig angehen könnte, mit den restlichen, geplanten 100 km nach Rotterdam. Doch mein Nebenzelter, ein Engländer aus Plymouth, mit dem ich danach ein Bier trinke, ist in den letzten zwei Tagen die Gegenrichtung gefahren. No way, dude, das seien mehr so 200km gewesen und ganz schön anstrengend, selbst mit Rückenwind.

200? Woher kommt denn meine Info, dass es nur 100 seien? Ich checke Komoot, Google Maps, die offizielle Website der Eurovelo. Und ja, tatsächlich. Alles deutet auf eher 200km hin. Ich könnte eine eigene Route fahren, das ganze abkürzen, aber dann wären es immer noch etwa 150km. Bisschen viel, um einen Lauen zu machen. Die Eurovelo-Website ernüchtert mich noch obendrein. Denkt bitte daran: Aktuell könnt ihr in der niederländischen Bahn keine Fahrräder mitnehmen. Ouha. Vergiss nicht den Gegenwind!, gibt der Engländer mir noch einen mit. Oh ja, richtig. Und was das heißt, die ganze Zeit, heftigsten Gegenwind zu haben, habe ich schon auf der Strecke Eltern-Emmerich gelernt. Es kostet dich 5-10 km/h und massenweise Akku.

Ziemlich konsterniert gehe ich früh schlafen in der Hoffnung, dass mir dabei die goldene Idee für den nächsten Tag kommt. Die letzte Etappe an einem Tag durchzuziehen, halte ich für beinahe unmöglich. Aventurer hin oder her. 150-200km, und das mit Gegenwind, nachdem ich mich am Vortag schon voll verausgabt habe? Ich könnte ein Stück in die Richtung fahren, aber wie soll ich dann ohne Bahn nach Hause kommen? Ich entscheide mich dafür, zurück bis Wesel zu fahren. Denn eine kleine Tour möchte ich schon noch machen, und von dort fährt der Regionalexpress direkt bis Bonn durch.

Diesmal ist es schon fast 0800 Uhr, als ich alles zusammgepackt habe. Mein anderer Nebenzelter, den ich bis dahin noch gar nicht gesehen habe, überholt mich beim Zusammenpacken, spaziert an mir vorbei, grüßt, deutet auf den Himmel und dann auf seine Wetter-App, die einen heftigen Ausschlag nach oben zeigt. Das da kommt in 5 Minuten auf uns runter, ich hab mich nur deswegen beeilt. Ich packe daraufhin etwas schneller zusammen, und tatsächlich: Nicht 5 aber 10 Minuten später setzt recht starker Regen ein. Ich geselle mich zu meinem Lebensretter unter die überdachte Terrasse der Rezeption. Und er bietet mir freundlicherweise einen Kaffee aus seinem Campingkocher an. Wir kommen ins Gespräch. Wohin er reise, wohin ich. Und ach ja, frage ich beiläufig. Warum ist denn der Fahrradtransport in niederländischen Bahnen nicht erlaubt, nur wegen Corona. Das ist doch Quatsch. Ach so das, erwidert er, das war vor ein paar Wochen noch so, aber Fahrrad kannst du längst wieder mitnehmen. Aha!

Er wird es nicht mehr erfahren, aber damit hat er meine letzte Etappe für mich geplant. Ich möchte nun einfach so weit Richtung Westen fahren, wie ich schaffe, und mich dann in den Zug Richtung Heimat setzen.

Und es geht schwerlich voran. Wieder einmal ist nichts mit Schildern für die Eurovelo, und selbst mit der auf Komoot geladenen GPX-Strecke verfahre ich mich. Anfangs ist der Weg noch bewaldet und immer noch erstaunlich hügelig (was ist denn da bitte los, Niederlande?). Die Gegend ist hübsch, aber als ich endlich am Rhein ankomme, ist der Spaß denn auch begrenzt. Der schon erwartete Gegenwind ist da, und er weht heftig aus westlicher Richtung. Selbst mit Stufe 2/4 auf dem E-Bike schaffe ich nur knapp 20 km/h. Der Akku leert sich zusehends und langsam vergeht mir auch die Lust, zumal ich immer wieder in Regenschauer gerate.

Gegen Mittag steht mein Entschluss fest: Ich fahre noch bis ’s-Hertogenbosch, wo ein Zug direkt nach Venlo durchfährt. Und das reicht mir dann. Dort umsteigen nach Düsseldorf und dann noch einmal umsteigen nach Bonn. 3x Zugfahrt insgesamt mit extra für den Trip gekauften, diesmal ventilfreien FPP2-Masken. Sollte halbwegs sicher sein.

Und so kommt es dann auch. Mit massivem Gegenwind und einem Platzregen am Ende der Etappe schleppe ich mich zum Bahnhof von ’s-Hertogenbosch, kaufe mir ein Ticket und einen heißen Kaffee und verschiffe mich über drei Etappen nach Bonn. Was erstaunlich problemarm funktioniert, von einer sehr kurzen Umsteigezeit in Venlo, defekten Fahrstühlen und nervigen deutschen Fahrgästen einmal abgesehen. Aber das war ja zu erwarten.

Laut Karte fehlen mir jetzt noch 110km bis zum Ende der Rheinroute. Das dürfte mit Gegenwind in 2 Etappen zu schaffen sein. Ich könnte es mir auch leicht machen und in die Gegenrichtung fahren. 😉 Aber ein schöneres Gefühl wäre es natürlich, wenn sich nach all den Strapazen zu guter Letzt die Nordsee vor dir auftut und du weißt, dass du am Ende des Films bist. Mal sehen, wie am nächsten oder übernächsten Wochenende das Wetter wird…

Danke fürs Lesen. 🙂

3 Antworten auf „79: An einem Wochenende nach Rotterdam?“

Danke fürs Schreiben! ?
Wieder sehr zum Mitfiebern…

Das heißt, beim nächsten Mal mit dem Zug bis ’s-Hertogenbosch von da an die Küste und dann wieder mit dem Zug zurück ?!?

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