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Andere Menschen (Etappe 7)

Ich habe das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Und das ist gut. Wo ich bin, welcher Tag ist und wohin ich eigentlich als nächstes fahre. Wenn heute Etappe 7 ist, dann bin ich also schon 1 Woche unterwegs und heute muss Samstag sein. Aber irgendwie ist das alles auch egal. 🙂

Der Tag beginnt wenig heroisch. Caro hatte mich gefragt, wann ich frühstücken wolle und ich hatte „8 Uhr“ gesagt. Um 0830 komme ich zu mir und hätte auch problemlos noch drei Stunden länger schlafen können. Caro steht tatsächlich schon mit allem bereit. Ihre beiden Jungs sind ähnlich unfit wie ich und kommen nach und nach an den Tisch geschlurft.

Es hat die ganze Nacht geregnet, ist morgens nur noch halb so warm wie am Vortag, und ich bummele vor mich hin. Mir fehlt die Motivation loszufahren. Ich weiß auch noch immer nicht recht, wohin ich eigentlich fahren soll. Weiter nach Norden, klar. Aber wohin genau?

Caro und ich analysieren zusammen die Karte und finden einen Weg mit einer nicht ganz so hohen Steigung durch den Thüringer Wald. Es gibt sogar einen offiziellen Radweg von Oberbayern bis an die Ostsee. Der ist insgesamt viel zu lang. Aber einen Teil davon könnte ich nehmen.

Wir lassen uns Zeit mit dem Frühstücken, quatschen danach noch ein wenig auf der Terrasse über die alten Zeiten. Direkt gegenüber ist ein Drogerie-Markt, bei dem ich mir zwei Lappen, neue Sonnencreme und zwei feste Mülltüten kaufe, in die ich bei weiterem Regen meine Reisetasche stecken könnte. Weiß ja noch niemand, wie das hier weitergeht mit dem Wetter.

Erst um kurz vor eins fahre ich schließlich los. Heute werde ich nicht weit kommen, das weiß ich schon. Und das ist okay. Erstmal einfach nur ca. 100 km weiter nach Norden und dann irgendwo auf einem Zeltplatz unterkommen. Eine entspannte Tour auf dem Rad. Als ich losfahre, fühle ich mich direkt pudelwohl. Ich bin glücklich, wenn ich fahren kann.

Und Niederbayern gefällt mir irgendwie. Es ist sehr löndlich, die Leute grüßen freundlich, in einem kleinen Ort ist ein Volksfest mit Biergarten und traditioneller Band. Es klingt fast zu klischeehaft. Ich komme durch das Hopfenanbaugebiet Hallertau, und langsam wird es wieder etwas hügeliger.

Ich lasse mir extrem viel Zeit, fahre meistens mit Akku, mache viele Pausen, Fotos, kaufe mir Brötchen und Kekse in Supermärkten und tanke Energie. Am Nachmittag kommt plötzlich doch noch die Sonne raus und es werden noch fast 30 Grad. Vor einer alten Kirche esse ich zu Abend.

Und kaum später als sonst komme ich nach 95 gefahrenen km an einem Campingplatz nahe der Donau vorbei, obwohl ich mir eigentlich einen anderen ausgeguckt habe. Mein Kopf sagt: „Weiterfahren! Die 100 voll machen!“ Mein Bauch sagt: „Steig hier ab!“

Ich höre zur Abwechslung mal auf den Bauch, erklimme den letzten Hügel vor dem Campingplatz, und so treffe ich sie dann…

  • Die Besitzerin, die mir zu einer Schiffstour zum Kloster Weltenburg rät. Aber dann auch wieder abrät, weil die Boote gerade wegen Niedrigwasser gar nicht fahren würden.
  • Der junge Vater einer Familie vom Chiemsee, die mit Rädern unterwegs ist, mit einem Aufblassack (ja, sowas gibt es!) das Aufpusten meiner Luftmatratze beschleunigen will (es dauert länger) und sich dann eine Viertelstunde Zeit nimmt, um in aller Ruhe mit mir über Belangloses zu reden.
  • Den Mann aus dem Schwarzwald, der mit seinem Sohn auf dem Rad unterwegs ist und der noch zwei Wochen lang immer weiter entlang der Donau gen Osten fahren will.
  • Das Ehepaar, das hier in Kelheim Urlaub macht, und mir zum Besuch des Hundertwasser-Dorfs, zur Jahrhunderthalle und zu diversen Brauereien rät. (Hach ja, hätte ich nur mehr Zeit…) Mit der Frau unterhalte ich mich eine Viertelstunde lang im Waschraum (der hier irgendwie unisex ist) über Ernährung, Toten-Hosen-Konzerte und Radreisen.
  • Das Pärchen aus Nürnberg gleich neben meinem Zelt, das einen eigenen Kanuverleih hat und hier zum Ausspannen hinkommt.

Sie alle haben Zeit und Lust zum Reden. Und ich irgendwie auch. ? Unterwegs hatte ich mir überlegt, dass ich heute Abend eigentlich am liebsten mit einem guten Buch im Liegestuhl sitzen würde (woraus aufgrund der vielen guten Gespräche nichts wird). Zwei klare Indizien dafür, dass ich endgültig im Urlaub angekommen bin.

Ich glaube, ich kann das jetzt, ich kann mit Leuten reden. Zumindest wenn die das auch wollen und ich selber auch Lust dazu habe. Negativbeispiel war vielleicht der etwa gleichaltrige Typ, der mir vorgestern im Biergarten unterhalb von Neuschwanstein gegenüber saß und der auch alleine war. In der Zeit, in der ich sanft an meiner Hax’n g’zupferlt und vier, fünf Bissen genommen hatte, hatte er schon seinen ganzen Schweinebraten weginhaliert. Und irgendwie wollte ich mich gar nicht mit dem unterhalten…

Angesprochen habe ich ihn dann trotzdem, und wir haben bisschen gesmalltalkt. Ich hab ihn dann sogar noch gefragt, ob er auf ein Bier rüberkommen mag, war dann aber tatsächlich eher froh, als er verneinte. Er hätte noch eine weite Fahrt vor sich.

Aber sonst sind die mir sympathischen Menschen bisher eindeutig in der Überzahl. Im Alltag rede ich auch selten mit anderen Menschen, aber ich glaube, das ist schlicht Trägheit. Eigentlich kann ich das, mag ich das, hätte ich das am liebsten täglich.

Ich habe das all die Jahre nicht gewollt und mich in mein stilles Kämmerlein zurückgezogen. Aber mir damit auch all die schönen Momente entgehen lassen, die man mit anderen Menschen erleben kann.

Mal sehen, was sich da in Zukunft machen lässt.

Notizen

Camping-1&1:

  • Nichts trocknet Dinge besser als Fahrtwind. Nach 2 Stunden vorne auf dem Lenker ist jedes Kleidungsstück trocken. Vorausgesetzt, natürlich, es regnet in der Zeit nicht…
  • Gegen Mücken auf einem Zeltplatz, der gleichzeitig Bauernhof und nahe eines Flusses ist, helfen nicht mal zwei Lagen Kleidung und zwei Runden Autan. Aua!

Hab mal geschaut, wie weit mein Zeltplatznachbar noch fahren müsste, um das Ende der Donau zu erreichen. Dabei festgestellt: Nur die Karpaten trennen die Walachai von Transsilvanien. Wusstet ihr auch noch nicht, oder? 🙂

5 Antworten auf „Andere Menschen (Etappe 7)“

Nicht vergessen: wenn Menschen keinen Bock auf Kommunikation haben, liegt das nicht zwangsweise an demjenigen, der versucht eine Kommunikation zu starten. Manchmal hat man einfach keinen Nerv und dann könnte Obama (bitte austauschen gegen wen auch immer du mal hättest belabern wollen) persönlich vor dir stehen und du hättest trotzdem keine Lust weil der Moment einfach nicht passt 🙂

Sehr erfrischend und ehrlich. Ich denke wenn man sich gut abgrenzen kann, kann jedes Gespräch ein Gewinn sein. Wenn man das nicht kann, immer noch die gespräche mit denjenigen, die auf derselben Welle surfen, und respekt- und taktvoll genug sind, dass man sich gar nicht abgrenzen muss, oder die Abgrenzung leicht machen… Klingt nach vielen spannenden Erfahrungen, immer weiter so…

Ui, kurze Frage, keine kurze Antwort. Zumal ich mir selbst der langen nicht sicher bin 🙂 nach deiner Rückkehr bilateral würd ich sagen… Ride on man

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