Rezo hat für sein Video „Die Zerstörung der Presse“ fast 1.800 online verfügbare Beiträge über sich in einer Excel-Tabelle gesammelt und hier jeweils beschrieben, wenn die Autoren dieser Beiträge Fehler gemacht haben. Die Aussage scheint eindeutig: Die Presse macht Fehler, einige Presse-Erzeugnisse deutlich mehr als andere.
Die „Berliner Zeitung“ kam dabei neben der „Bild“ und der „FAZ“ besonders schlecht weg (Fehler in angeblich 55% der Beiträge über Rezo), die Verantwortlichen wunderten sich darüber. Medienjournalist Kai-Hinrich Renner hat diese Beiträge nun für die B.Z. analysiert, findet in Rezos Tabelle überhaupt nur 18 Beiträge der B.Z., von denen Rezo 11 bewertet haut und 6 davon laut Rezo Fehler aufweisen (6 von 11 = 55%). Das ist schon sonderbar gezählt, denn 1. waren es eigentlich mehr als 18 Artikel, und 2. hätte Rezo eigentlich 6 fehlerhafte von 18 zählen müssen, also nur 33%.
Renner schreibt einige der Fehler Kollegen aus der Mediengruppe DuMont zu, zu der die „Berliner Zeitung“ im Mai 2019 noch gehört hatte. Andere Fehler gibt er zu. Bei wieder anderen sieht er im jeweiligen B.Z.-Artikel keinen Fehler. Etwa, wenn der zuständige Redakteur die Zahl der Abonnenten von Rezos mehreren YouTube-Kanälen zusammenzählt und diese „Rezos Abonnenten“ nennt. Rezo weist in dem Fall darauf hin, dass viele Personen mehrere seiner Accounts abonniert hätten.
Ein Fehler also? Oder nur eine unterschiedliche Zählweise? Laut Renner ist es unüblich, dass im Mediengeschäft Mehrfachabos im ohnehin oft sonderbaren Zahlenzirkus herausgerechnet werden. Es bleibt für den genannten Artikel der einzige Fehler, den Rezo ausweist. Und gröbere Fehler in den 6 bemängelten B.Z.-Artikeln beziffert er selten. Renner moniert auch, dass Rezo einige Beiträge über ihn in der B.Z. gar nicht in seine Analyse mit einbezogen habe, obwohl diese sich nur mit Rezo befassten. Was am Ende dennoch stehen bleibt, ist die horrende Zahl von 55 Prozent Fehlern in B.Z.-Artikeln über Rezo.
Rezo hat außerdem Kommentare als falsch eingestuft, die ihm vorwerfen, die CDU zerstören zu wollen. Er erkläre nämlich in Minute 1:20 in seinem damaligen Video, dass er das keinesfalls wolle, das täte die CDU schon selbst. In seinem Video, das er „Die Zerstörung der CDU“ genannt hat. Und in dem er am Schluss dazu aufruft, (neben einigen anderen Parteien) nicht die CDU zu wählen. Darf man hier nicht zumindest die Vermutung äußern, dass Rezo die CDU eben doch zerstören wollte? Dass, wenn er damals die Zusammenstellung von Fakten gegen die CDU nicht veröffentlicht hätte, niemand auf die Idee einer Zerstörung gekommen wäre? Ist es falsch, wenn man in einem Kommentar die These dazu aufstellt? Oder eben auch nur Meinung?
Und ist es falsch, wenn ich hier Fragen stelle, die rein gar nichts beweisen? Ein eher feiges Verhalten, das Rezo in seinem Video „Zerstörung der Presse“ (zu Recht) Verschwörungsmythikern aber auch einigen Journalisten vorwirft.
Aber jetzt wird’s interessant, denn auch Renner macht in seinem Artikel, der über Fehler oder zumindest Ungenauigkeiten von Rezo handelt, zumindest einen kleinen Fehler, den er später selbst offenlegt. So heißt es in einer Anmerkung am Schluss:
„In einer früheren Fassung stand, dass die Excel-Tabelle nicht verlinkt war. Tatsächlich konnten wir sie zunächst nicht finden, deshalb besorgten wir sie auf anderem Wege. Ein Leser wies uns daraufhin (sic!), dass sie unter dem Dokumentationslink zu finden sei. Ob die Tabelle dort von Anfang stand oder erst nachträglich eingefügt wurde, wissen wir nicht.„
Und diese Kleinigkeit finde ich wichtig zu erwähnen, weil es zeigt, dass es praktisch unmöglich ist, keinerlei Fehler zu machen, egal, wie sehr man sich bemüht. Renner hat sich augenscheinlich bemüht, keinen Fehler zu machen und doch einen gemacht. Rezo hat in seiner umfangreichen Excel-Tabelle welche gemacht. Und zahlreiche Medien, die er kritisiert, haben dann auch wirklich Fehler in der Berichterstattung über ihn gemacht.
Man könnte nun schlussfolgern: Journalisten machen Fehler, also glaube ich jetzt nur noch solchen Leuten, die rein wissenschaftlich arbeiten. Rezo hat einen Masterabschluss in Informatik, den er an der Universität Dortmund abgelegt hat; das wissenschaftliche Arbeiten muss er dort also gelernt haben. Vor Fehlern schützt das offenbar trotzdem nicht. Also nur noch praktizierenden Wissenschaftlern mit Doktor- und Professorentiteln glauben, weil die keine Fehler machen?
Reicht leider nicht. Und sei es der Fehler, sich im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie mit einem PR-Team einzulassen (Streeck), ungeeignete statistische Methoden für eine geplante Studie anzuwenden (Drosten) oder zumindest den „Fehler“ zu machen, Kontaktdaten des Bild-Journalisten, der ihm eine zu kurze Reaktionszeit zugestanden hatte, auf Twitter zu veröffentlichen und ihn damit der Menge zum Fraß vorzuwerfen (ebenfalls Drosten, wenig später korrigiert). Oder anhand des Schätzwerts der Reproduktionszahl die Behauptung aufzustellen, die Kontaktbeschränkungen hätten keinerlei Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus‘ gehabt (Homburg).
Und wer nun auf die Idee kommt, die herrschende Klasse lüge sowieso oder habe sich verschworen (wir haben’s ja immer gesagt, glauben wir also nur noch Verschwörungsmythikern), für den dürften die Passagen darüber in „Die Zerstörung der Presse“ eine Offenbarung oder zumindest eine Erheiterung sein.
Ja, Moment. Wer sagt denn nun die Wahrheit, nichts als die Wahrheit und die ganze Wahrheit?
Ich fürchte, keiner. Weil es oft auch gar nicht möglich ist.
Schaue ich mal auf meine eigene Arbeit, dann gehe ich jeden Text, den ich später veröffentliche, vorher in mühseliger Kleinarbeit durch. Stimmt das? Sagt die Quelle das Richtige? Schreibe ich hier das Richtige? Stimmt das ganz sicher, nur wahrscheinlich, nur ein bisschen oder eher nicht?
Die Zeit, die ich dafür zur Verfügung habe, ist etwas länger als die, die die meisten Online-Redaktionen haben. Und doch reicht sie nie aus, um 100 Prozent aller Behauptungen sicher und zweifelsfrei zu belegen und alle möglichen Fehler mit Sicherheit auszuräumen. Ich gehe dabei immer so weit, wie ich in der zur Verfügung stehenden Zeit kann, mit dem Wissen und der Erfahrung, die ich habe. Aber klar ist mir jedes Mal leider auch: Die 100 Prozent erreichst du nie.
Erreicht aber auch ein Informatiker in seiner Arbeit nie, ein Arzt nie, ein Lehrer nie, ein Wissenschaftler nie, ein Politiker nie, ein Verschwörungsmythiker: sowieso nie.
Ich habe mir die letzten Wochen gerade mit dem Aufkommen der Demos von Verschwörungsmythikern immer wieder die Frage gestellt, wie tendenziös meine Arbeit möglicherweise ist, wie ich Fehler möglichst ausschließen kann, wie ich gute Argumente für das sammeln kann, was ich tue, und wie ich meine Arbeit zur Not verteidigen kann.
Schaue ich mir diesen ganzen Zirkus jetzt an, habe ich eine Sache dabei zumindest gelernt. Wenn mir jemand vorwirft, ich wäre ja nur ein Vertreter der linksrechtsgrünversifften Regenbogenlügenpresse, wir würden ja nur Fakten verdrehen, es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen und täglich Fehler machen, dann werde ich müde lächeln und antworten: „Egal wer du bist: Du auch, und mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viel mehr als ich.“
3 Antworten auf „.19: Die Fehler der Anderen“
Wieder mal sehr schön analysiert!
Und ja auch sehr gute Qualität (wie Du z.B. Deine Artikel schreibst) kann nie 100% richtig sein, da ja auch immer Erfahrungen, Meinungen, Wissen und Nicht-Wissen Einfluss nehmen.
Und wer daher sagt, was ich sage stimmt immer (ala Mr. President DT), dem kann man schon mal nicht glauben, weil dieser Satz ja schon falsch ist.
Also folgende These:
Nur wer Fehler macht (und am besten dazu auch steht oder gar darüber lachen kann), ist glaubhaft!
Unterschreibe ich so!
Danke euch! 🙂