Religion ist gerade wieder ziemlich in. Die halbe Welt pilgert nach Rom, um dem Papst den Rest zu geben die letzte Ehre zu erweisen. Die Blicke sind nun auch auf die ewige Stadt gerichtet, weil natürlich mit Spannung ein Nachfolger erwartet wird und bald das – seit wann heißt es eigentlich „das“? – Konklave zusammentritt. Ob es wieder einen so progressiven Versöhner geben wird wie Franziskus oder einen Hardcore-Konservativen, der immer wieder aus dem Kontext gerissen wird, wie Benedikt? (Ihre zeitweilige und gewissermaßen historische Koexistenz übrigens seinerzeit sehr schön porträtiert in Die Zwei Päpste.)
Aber auch hier in Bonn war in der Kirche zuletzt so viel los wie lange nicht. Ich gehe ja tatsächlich gerne (wenn auch selbst nicht mehr wirklich jung) in die Messe für junge Leute sonntagsabends in Bonner Münster, wo auch schon mal Oasis oder Beyonce gespielt werden und die manchmal seltsam anmutenden Rituale der katholischen Kirche auf ein Minimum reduziert sind. Und da ist manchmal im Hochchor kaum noch ein Platz zu kriegen. Das alles ist ebenso unperfekt wie progressiv, also fast so wie Franziskus selbst. Ein Stück weit, wie man sich einen Gottesdienst immer vorgestellt hat. Vielleicht entdecken Menschen sie gerade auch als Ersatz für die bröckelnde Demokratie.
Und vielleicht irre ich mich auch und außerhalb meiner Bubble ist Religion trotz eines progressiven Ex-Papstes gar nicht mehr so in. Die beiden großen Kirchen verlieren jährlich hunderttausende Mitglieder – übrigens hauptsächlich durch Todesfälle älterer Mitglieder und weil weniger junge Menschen mit einer Konfession aufwachsen – und in Deutschland sind mittlerweile mehr Menschen konfessionslos als dass sie einer der beiden großen Kirchen angehören. Gründe dafür sind auch diese sonderbaren Rituale, mit denen moderne, junge Menschen nicht immer etwas anfangen können, und der Nicht-Veränderungswille der Kurie.
Ostersamstag erlebe ich von einer Abkehr von der Kirche im Bonner Münster allerdings wenig. Ich will in die Osternachtsmesse, komme extra eine halbe Stunde früher – und bekomme im voll besetzten Kirchenschiff gerade noch einen der letzten Plätze in einer Seitenbank, von der man den Altar nicht sehen kann. Die Organisatoren fahren alles auf, was geht. Vier (!) Lesungen, sakrale Zwischengesänge, Soli, gesungene Aufzählung aller (!) Heiligen. Als sie bei Johannes XXIII. angekommen sind, muss ich lachen. Jetzt haben sie auch wirklich gleich alle durch. Es dauert eine geschlagene Stunde bis zum Evangelium, und dann geht es munter weiter. Das Schlimme ist: I didn’t sign up for that. Eine normale Messe dauert rund eine Stunde. An einem hohen Feiertag auch schon mal bisschen länger. Ich denke, nach anderthalb Stunden bin ich da wieder raus. Nichts davon. Sie geben einem das Vollrogramm – drei (!) Stunden lang.
Am Schluss laden sie noch zu einem Get-Together nach der Messe ein. Nix da, raus hier! Mit der Wartezeit vorher habe ich über drei Stunden hier verbracht und fühle mich fast schon heilig, allein dafür, dass ich da war.
Ich glaube, wer immer neuer Papst wird: sie werden nicht viel verändern. Sie sitzen das einfach aus, bis das Pendel in die andere Richtung schlägt und die Menschen wieder konservativer werden – was ja gerade auch passiert. So lange sie mir die Messe für junge Leute lassen, gehe ich da trotzdem auch noch als 80-Jähriger hin. Was bleibt mir auch anderes übrig. Die Demokratie? Anders als die Kirche längst nicht mehr das, was sie mal war und dadurch kein Stück begehrenswerter.
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