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Krise und Glück (Etappe 4)

Ich weiß nicht genau, woher es kommt. Mein kaputtes Fahrrad ist es schon nicht. Aber am Abend, nachdem ich mich noch mit Nico zum Tapasessen treffe, falle ich in ein Loch. Ich bin traurig wie schon lange nicht mehr und kann noch nicht mal genau sagen warum. Ist es, weil ich mich allein fühle? Weil ich denke, jeder hat mehr Spaß als ich? Niemand ist einsam? Weil ich alle meine Chancen auf eine glückliche Beziehung bisher irgendwie immer in den Wind geschossen habe? Immer noch nicht so richtig aus mir heraus gehen kann?

Viele Fragen, keine Lösung. Wenigstens habe ich ein schönes Zimmer, denke ich, und kann erst einmal ausschlafen. Und das tue ich dann auch.

Am nächsten Morgen lote ich meine Optionen aus. Ein neues Fahrrad zu kaufen, steht ebenso noch im Raum wie abends nach Bonn zurück zu fahren, wo Juan und Britta gemeinsam Geburtstag feiern (denke ich zumindest). Mein Zimmer hatte ich am Morgen schon vorsorglich um eine Nacht verlängert, was kein Problem war (außer dass ich noch einen Raum weiter ziehen muss, bald habe ich sie alle durch…)

In einem türkischen Restaurant esse ich eine Falafel zu Mittag. Der Besitzer streitet sich erstaunlich scharf vor aller Ohren mit seinem Sohn, der nach Stuttgart ziehen will. Er habe das hier alles satt, sagt der, wolle nur noch weg.

  • „Und was willst du da machen?“
  • „Arbeiten“
  • „Als was?“
  • „Ich putz da Zimmer, dann hab ich mehr Freizeit. Hier muss ich nur arbeiten.“
  • „Musst du da auch.“
  • „Aber dann habe ich frei hinterher.“
  • „Und machst was?“
  • „Freunde treffen, spazieren gehen.“

Hm.

So ähnlich habe ich in dem Alter auch gedacht. Man fühlt sich eingesperrt, hoffnungslos, alles scheint besser zu sein als das Leben, in dem man gerade steckt.

Anschließend besuche ich ein Fahrradgeschäft in der Innenstadt. Der Besitzer bietet mir ein kaum gebrauchtes Karbon-Rennrad für 1.800 Euro an, das neu etwa 6.000 bis 7.000 kosten würde. An sich schon ein prima Deal, aber mich interessiert nur eins: „Kann man da auch Schutzbleche und einen Gepäckträger drauf montieren?“. „Klar“, sagt der Besitzer, „im Prinzip schon“.

Ich verspreche, es mir zu überlegen und verlasse den Laden, als ich auf dem Handy einen verpassten Anruf entdecke – von einer Karlsruher Nummer. Ich rufe sofort zurück.

Es ist tatsächlich die Fahrradwerkstatt. Mein Fahrrad ist schon fertig, nicht mal einen Tag, nachdem ich es abgegeben habe. Ich bin sogar in der Nähe und stürme sofort in die Werkstatt. Der Besitzer schraubt es noch zusammen, gibt mir ein paar Tipps, ist sich sicher, dass ich noch bis Sylt damit komme und verlangt dann bloß 85 Euro von mir. Für das Auswuchten und eine neue Felge, was bis zu 150 hätte kosten können. Ich habe Mühe, meine Freude zu verbergen.

Und jetzt? Bei einem Kaffee in der Eisdiele unten überlege ich kurz, aber nicht lange. Schade um das schon gebuchte Zimmer, aber ich nutze es für meine gute Tat des Tages: ich schreibe dem Vermieter, dass ich im Zimmer noch nichts angefasst habe und er es, so wie es ist, auch gerne noch einmal vermieten kann. Aber ich müsse weiter.

Ich entscheide mich für den Zug und schiffe mich in Richtung Stuttgart, dann nach Plochingen ein. Nein, ist nicht ganz im Sinne einer Fahrradtour, aber ich habe schon zu viel Zeit verloren. Nur den Rest der Strecke zum Campingplatz nach Aichelberg kurz vor Göppingen fahre ich mit dem Rad, um noch ein bisschen den Kopf frei zu kriegen.

Und holla die Waldfee, ist es hier schon bergig! Und ich wollte ernsthaft ohne Motor noch so manchen Berg rauf. Ich freue mich plötzlich sehr über mein E-Bike.

Hier habe ich tatsächlich mal gewohnt:

Also genau hier…

Und: nein. Man soll nie nie sagen, aber: nein. Dahin muss ich nicht zurück. Genau genommen sogar für kein Geld in der Welt…

Mein zweitgrößtes Erfolgserlebnis heute nach der Sache mit der kostengünstigen Reparatur: Auf dem Campingplatz in Aichelberg am Fuße der Schwäbischen Alb rede ich eine Vierstelstunde lang mit meinen niederländischen Nebencampern. Auf Niederländisch. Ich verstehe fast alles und kann beinahe alles sagen, was ich sagen möchte. ? Gefreut haben sie sich auch.

Später treffe ich Rainer und Melanie in einem italienischen Restaurant an einem Golfplatz in der Nähe. Rainer war einmal mein Ausbildungsleiter, später ist man irgendwie in Kontakt geblieben. Das letzte Treffen ist dennoch schon rund 10 Jahre her. Rainer selbst hat die Firma gewechselt. Melanie, seine Frau, hat umgeschult und fährt jetzt Rettungswagen. Später gehen wir noch eine Runde spazieren und genießen den lauen Sommerabend, bevor ich mich – kaum die Hand vor Augen sehend – zurück zum Zeltplatz durchschlage.

Die Freude in den Augen des italienischen Küchenpersonals, bei dem wir aßen, als sie Rainers und Melanies Hunde erspähten:

Hach, Italiener…

Nebenbei: ich glaube, ich möchte eigentlich gar nicht mehr alleine arbeiten oder alleine sterben. Ich mache sehr viel alleine, weil mich andere Menschen einfach immer irgendwie überfordert haben, wenn ich sie zu lange um mich herum hatte. Aber ich merke mittlerweile: so schlimm ist das gar nicht, ich vermisse nette Vor-Ort-Kollegen und einen netten Menschen an meiner Seite.

Morgen dann der Plan, mich halb mit Bahn, halb mit Rad bis Füssen durchzuschlagen. Dann kann die eigentliche Süd-Nord-Tour beginnen – vor der ich mittlerweile einen Heidenrespekt habe.

Das ist übrigens Rainer neben mit. Habter mal ein Bild von einem meiner treuesten Leser ?:

Und hier noch ein schönes Nachtbild:

Und das sollte witzig sein. ☝️ Aber ich konnte hier nicht näher ranzoomen, dann verliert es auch seinen Joke. Auto parkt halt auf dem Fahrradparkplatz…

4 Antworten auf „Krise und Glück (Etappe 4)“

Man kann die Hunde kaum erkennen, das prangere ich an!

—-
Wie cool dass die deine Fahrrad so schnell fertig bekommen haben. Ab jetzt wird alles gut!

Ich kann hier leider keine Bilder posten, sonst hätte ich gerne welche hoch geladen.
Ist ein Dalmi-Mix und ein ganzer Dalmatiner.

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