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Argh

Mediale Symbolpolitik

Betrachtet man es mathematisch und von außen, stand der Ausgang der Lützerath-Blockade fest und war nach t aufzulösen:

t = Durchhaltevermögen der Aktivisten / Strategie und Schlagkraft der Polizei in Tagen (d)

Ich löse auf: t = 5d

Dass die Gleichung sich nach t auflösen ließe, dass Lützerath also geräumt werden würde, das war klar. Dass rohe Gewalt dafür nicht eingesetzt werden durfte, ebenfalls. Unklarheit herrschte offenbar bei der Abschätzung von t. Die Aachener Polizei hatte tatsächlich mit einem bis zu vierwöchigen Einsatz gerechnet, geworden sind es jetzt etwas über 5 Tage.

Größter Verlierer in meinen Augen: unser politisches System. Weil selbst die besten Ideen am Ende in irgendwelchen Kompromissen enden müssen, die kaum noch jemandem zu vermitteln sind. Grüne sind gegen Kohle, früherer Kohleausstieg ist beschlossen, weder die Einnahmen noch die Kohle selbst für RWE noch relevant, trotzdem muss Lützerath weggebaggert werden. Wird jedem einleuchten.

Auf die andere Seite der Medaille fiel etwas weniger Licht. Dass Lützerath schon vor über 15 Jahren geräumt wurde, die letzten Bewohner dort entschädigt wurden und längst weggezogen sind. Wieder bewohnbar werden könnte der Ort ohnehin nicht, er liegt zur nah an der Abbruchkante, müsste für die geplante Rekultivierung des Braunkohletagebaus Garzweiler I ohnehin weichen. Und jetzt stellen sich Klimaaktivsten hin und sagen: „Lützerath muss bleiben“? Das passt doch irgendwo auch nicht.

Sowieso wurde man die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass hier mit viel medialer Symbolik gegen ohnehin ungeliebte Realpolitik gepfeffert wurde. Greta Thunberg fuhr am Tag der Demonstration am Freitag laut Spiegel Online per SUV vor und später wieder weg (und okay, es war ein Hybrid-Auto, aber: na ja).

Luisa Neubauer reiste zur unterstützenden Demo am Freitag an und ließ sich medienwirksam mit dem Schild „Klimastreik ist Handarbeit“ in der Hand von der Polizei wegtragen. Schon am Sonntagabend saß sie wieder bei Anne Will in der Talkshow.

Dass Neubauer auf dem Bild besonders gut ausgeleuchtet war, was Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (wer im Glashaus sitzt…) auf Twitter monierte, erklärte die dpa später mit einem guten Händchen des Fotografen: Neubauer war in den Polizeischeinwerfer getragen worden, und der Fotograf habe im gleichen Moment abgedrückt. Trotzdem: Dass Neubauer und Thunberg da mal kurz aufschlagen, mitdemonstrieren und sich medienwirksam wegtragen lassen, dass Lützerath in ein paar Tagen geräumt wurde – anders als „Hambi“ nach ein paar Wochen – gibt diesem ganzen Protest den Geschmack eines Medienevents, viel mehr nicht.

Man hat für reichlich Ärger bei den Grünen gesorgt, okay. Dass die nun Lützerath wie geplant wegbaggern lassen, angeblich auch um den Strombedarf zu decken, der durch fehlendes Gas kurzfristig notwendig geworden war, schmeckt ihnen selber nicht. Robert Habeck hätte demnach gerne auf Lützerath verzichtet, habe aber die Versorgungslücke anders nicht schließen können. Realpolitik frisst Wunschpolitik frisst Symbolpolitik.

Bleibt für mich am Ende irgendwo die Frage: Was sollte das denn eigentlich jetzt? Nochmal zeigen, wie ernst das mit dem Klimawandel ist? Das dürfte bei der rot-grünen Regierung auch vorher schon angekommen sein. Lieber morgen als übermorgen aus der Kohle raus? Schön und gut, aber welcher Strom leuchtet dann die nächste Anne-Will-Sendung aus? Möglichst unbequem werden? Dann, pardon, bedarf es wirkungsvollerer Aktionen, als für fünf Tage die Medien zu beherrschen.

Ich bin am Ende einfach froh, dass niemand ernsthaft verletzt wurde…

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