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Nightswimming (Etappe 13)

Die Nacht im Wald ist erstaunlich ereignisarm, aber kurz. Um zwei Uhr wache ich einmal auf. Es ist kalt, ich murmele mich stärker ein. Einmal kommt irgendein Tier nah an mein Zelt. Ich verscheuche es, indem ich übertrieben laut gegen die Zeltwände schlage. Ab kurz nach 5 bin ich im Halbschlaf. Ko.mmt da einer um die Ecke? Nein, es sind doch nur irgendwelche Vögel oder Feldmäuse, die Geräusche machen.

Um 0600 stehe ich auf. Ich habe die Nacht wildcampen schadlos überstanden, und viel mehr gibt es zu dem kleinen Abenteuer kaum zu sagen. Bin ich jetzt als ganzer Mann aufgewacht? Wird sich wohl erst später zeigen. Ich packe zusammen, rolle um 0715 los. Etwa 3 km von der Zeltstelle kommt mir auf einem Feldweg eine Frau auf einem Fahrrad entgegen. Sie ist der erste Mensch, den ich seit fast 12 Stunden sehe.

Bevor ich den Osten der Republik verlasse, sehe ich in Oschersleben die Werbung für eine Ostalgie-Kantine in 900m Entfernung und fahre spontan dahin. Die Aufmachung des Freilichtmuseums ist schon draußen so authentisch, dass ich zwei Typen, die vor dem nachgeahmten Grenzposten stehen, frage, ob sie mich reinlassen. Tun sie natürlich, denn sie arbeiten gar nicht dort.

Es dauert ein wenig, bis ich die eigentliche Kantine gefunden habe. Ich frage die Bedienung hinter der Theke, was man hier so isst oder eher: früher gegessen hat, und bekomme ein Brot mit Spiegelei, ein Kännchen Kaffee und zwei Brötchenhälften mit Camembert und einer aufgeschnittenen Bulette. Sieht wirklich toll aus vor der Kulisse mit dem vollen Aschenbecher, den Figuren aus dem Erzgebirge und dem Konterfei von Ernst Thälmann an der Wand…

Die anderen Gäste sehen zum Teil so aus, als gehörten sie zum Inventar und würden sich die DDR zurückwünschen. Und ganz ehrlich, auch wenn es mit den Ohren eines „Wessis“ unlogisch klingt: nach allem, was ich im Osten gesehen, was ich in der kurzen Zeit erlebt habe, werde ich sie nicht dafür verurteilen.

Meine Beine sind inzwischen so schlapp, dass ich fast den ganzen Vormittag über mit Motor fahre. Mir tun die Knie weh, die Vorderbremse schleift. Ich kann einfach nicht mehr. Der halbe Tag Pause heute ist mittlerweile auch dringend notwendig.

Gegen 1230 erreiche ich Schöppenstedt, gegen 1330 Uhr habe ich die Lampe an. Gottfried schlägt vor, dass wir direkt Aperol-Spritz gegen die Hitze trinken, und ich habe nichts dagegen. Heute soll Pool-Tag sein.

Nach der Begrüßung und den zwei Aperol-Spritz beschließen wir, erstmal jeder für sich ein Nickerchen einzulegen und uns später am Pool wiederzutreffen. Ich stelle vorher noch schnell eine Maschine an und falle in einen traumlosen Schlaf, aus dem ich erst zwei Stunden später wieder aufwache.

Nach der ersten Poolsession schrauben wir an unseren Fahrrädern herum – ich umwickle die Schutzblech-Halterung vorne neu mit Panzertape und tausche die Bremsklötze vorne aus, die ich schon seit Bayern mit mir herumtransportiere. Die eigentlich leicht defekte Vorderbremse hat tatsächlich noch 500km durchgehalten ohne zu murren.

Gottfried spricht nebenbei einem Schornsteinfeger auf den Anrufbeantworter: „Eine meiner Frauen von früher steht bei Ihnen noch mit im Adressfeld. Könnten Sie die bitte rausnehmen?“ Gottfried ist zum dritten Mal verheiratet.

Abends essen wir Erbsensuppe (Vitamine!) und reden bei einem Glas Ramazzotti über die Familie und wie sich manche Charaktereigenschaften über Generationen hinweg weitervererben.

Es ist schon fast Mitternacht und beinahe Schlafenszeit, als wir beschließen: wir hüpfen noch einmal in den Pool! Nightswimming quasi, denn wir haben beide nichts dabei an.

Nach 3 Minuten im immerhin noch 28 Grad warmen Wasser stellen wir fest: Schön, dass mal gemacht zu haben, aber reicht dann auch schon. Ab in die Kiste. Morgen geht es weiter nach Hannover. Noch einmal eine etwas kürzere Etappe. Und danach hoffentlich mit neuer Vollkraft zum Endspurt Richtung Sylt.

Gottl hatte sich drauf eingestellt, dass ich 3-4 Tage bleibe. Jetzt wird es nur einer. Das ist schon ein großer Nachteil an einer solchen Reise: ich habe nur drei Wochen, rausche so durch und komme kaum mal mit den tollen Menschen unterwegs länger in Kontakt…

Was mir vom Osten in Erinnerung bleiben wird:

  • Die Leute grüßen eher seltener als in Bayern oder Niedersachsen
  • Gucken sogar eher weg als dich an, wenn sie dich sehen
  • Teilweise richtig schlechte Wegstrecke, teilweise richtig gute
  • Mit den Logos regionaler Fußballvereine (meist Drittligisten) verzierte Stromkästen an beinahe jeder Ecke. Fast so, als erfülle der Verein die Funktion der Identitätsbildung.
  • Steppenartige Landschaft
  • Teils wunderschöne Gegenden: überrascht haben mich die Saalelandschaft, das Vogtland und Chemnitz
  • Wann immer ich dann doch direkten Kontakt mit den Locals hatte, dann waren es sehr nette, geradlinige Leute.

Notizen

Nein!

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