Wahlschlappe

Ich habe versucht, dem Wahlergebnis etwas Gutes abzugewinnen. Aber es fällt mir schwer. Die schlechten Nachrichten zuerst:

  • Die AfD bei über 20 Prozent
  • Merz Kanzler
  • Eine dringend notwendige Umverteilung durch eine Reichensteuer wird also nicht kommen.
  • Wahrscheinlich wird es sowieso nur noch auf kurze Reaktionszeiten gegenüber Trump und Co. ankommen. Für nachhaltige Innenpolitik wird kaum Zeit bleiben.
  • Und dafür sind die knapp 29 Prozent für die CDU schon gar nicht mal so ein fulminantes Ergebnis. Einen strahlenden Sieger Friedrich Merz habe ich heute nicht gesehen.
  • Grüne und SPD abgestraft. Meines Erachtens in der Höhe zu Unrecht.

Aber: All das war im Grunde schon vorher bekannt. Mein Entsetzen hält sich deswegen in Grenzen. Und wenn man der Wahl etwas Gutes abgewinnen mag:

  • Die AfD nur bei knapp über 20 Prozent. Sicher ist das zu viel, aber ich hatte mir die schlimmsten Szenarien von 24, 25, 26 Prozent ausgemalt. Die erste Hochrechnung, die ich kurz nach 1800 Uhr sah, nordete die AfD sogar bei unter 20 Prozent ein. Am Ende werden es bei ihr immer etwas mehr, aber auch hier hätte ich mit noch Schlimmerem gerechnet.
  • Im Grunde auch Merz abgestraft. Vielleicht für seine misslungene Aktion, einen Gesetzesentwurf mit Stimmen der AfD durch den Bundestag zu bringen? Zumindest liegt das Ergebnis der Union recht deutlich unter den Umfragewerten von zuletzt rund 32 Prozent.
  • Ein Merz ist kein Trump. Er schließt eine Koalition mit der AfD kategorisch aus, kündigte an, der Ukraine die Stange zu halten, verurteilte die Politik von Trump, Musk und Vance. Immerhin das.
  • Mit etwas Glück reicht es – zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar, das BSW limbot noch an der 5-Prozent-Hürde – zu einer Zwei-Parteien-Koalition. Wieder eine Dreier-Koalition, bei der Einigungen viel schwerer sind, bliebe uns damit erspart.
  • Die FDP zu Recht abgestraft und aus dem Bundestag raus. Trotzdem brach bei mir irgendwie kein Jubel aus, als Christian Lindner später seinen Rückzug verkündete.
  • Wahlbeteiligung bei 83 Prozent. Die Leute hatten Bock auf diese Wahl, sie haben sich für die Demokratie entschieden und sie haben erkannt, worum es geht.
  • Die Linken bei über 8 Prozent. Das ist die große Sensation, die mich nach all dem, was die letzten Wochen passiert ist, beinahe diebisch freut. Die Abspaltung des BSW hat den Linken offensichtlich gut getan, sie haben endlich erkannt, wofür sie eigentlich da sind (die kleinen Leute) und einen richtig guten Wahlkampf geführt. Man sah es schon, was im Büro der Linkspartei in meiner Nachbarschaft die letzten Wochen los war. Volle Bude an fast jedem Abend der Woche. Die Partei lebt wieder und sie hat sogar dem BSW den Rang abgelaufen, was in Umfragen lange Zeit genau umgekehrt ausgesehen hatte.
  • Auch generell ist Links lange noch nicht tot, auch wenn Merz gestern etwas anderes behauptet hatte. Zählt man die Stimmen von SPD, Grünen, Linken und BSW zusammen, haben 42 Prozent links gewählt. Und da sind die Kleinen, Volt und die Partei, noch nicht mal dabei.

Trotzdem: In der Elefantenrunde heute auf ARD/ZDF habe ich fast nur Verlierer gesehen, selbst die, die eigentlich gewonnen hatten, saßen wie begossene Pudel da: Habeck, Scholz, Lindner, und irgendwie auch Merz und Söder. Weil sich Jan van Aken von der Linkspartei trotz des Sieges vornehm zurückhielt, stand eigentlich nur Alice Weidel als strahlende Siegerin auf dem Podest.

Und man fühlt, dass sie nicht ganz Unrecht hat, wenn sie sagt, dass die Wähler eine Koalition zwischen CDU und AfD gewollt hatten. Ein großer Teil der Wähler nämlich eben schon. Und diese Partei, man ahnt es, wird bleiben und lässt sich nicht mehr so einfach wegignorieren. Denn die AfD steht im Gunste derer, die auf Demokratie, wie wir sie kennen, pfeifen. Schnelles, klares Handeln auf der Weltbühne ohne eine lästige Opposition. Das sind Russland, China und mittlerweile auch die USA. Kein Wunder, dass sie die AfD dabei hofieren.

Ich fürchte nur: Wer es nach der alten Methode versucht, wird in diesem Zirkus verlieren. Die Zeichen der Zeit haben sich geändert. Die Zeit der großen Reden in der Weltpolitik, das Schließen von Kompromissen, scheint vorbei.

Auch die Zeit der Demokratie? Ich will es nicht hoffen. Als Wahl-Rheinländer sage ich nur: Et hätt noch schlimmer kumme künne. Mir wäre es aber lieber gewesen, dat et besser hät gekütt.

*

„Trump-Administration“. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Anglizismus in den letzten Tagen wieder gehört habe. Können wir bitte wieder einfach „Trump-Regierung“ dazu sagen, wie es eigentlich heißt?

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