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Eigentlich sollte ich nicht schüchtern sein

Immer wieder denke ich mir: „Eigentlich geht das nicht! Ein Journalist darf eigentlich nicht schüchtern sein.“ Ich bin es aber hin und wieder, warum genau, habe ich noch nicht ganz rausgefunden. Es liegt an der Tagesform. Heute bin ich es.

Dumm nur, dass ich gerade heute Abend etwas aus erster Hand privat „recherchieren“ will. Ich feiere meinen Geburtstag am Wochenende und organisiere dafür ein Pubcrawl. Ob wir da mit einer größeren Gruppe noch überall unterkommen können, möchte ich wissen, und dazu noch ein paar Besonderheiten der jeweiligen Lokalität in Erfahrung bringen, um Fragen für das Quiz zu entwerfen.

Ich nehme tief Luft und marschiere rein.

  • Zum Kellner in Laden 1 bekomme ich auch kaum Augenkontakt hin, vergesse meine Fragen, sage aber dann doch klar und freundlich, was ich möchte. Er antwortet sehr nett, und wir plaudern ein wenig, während er am Tresen zapft. Am Ende sagt er: Ciao und bis Samstag!
  • Der Kellner in Laden 2 ist groß und wirkt abweisend – ist er aber überhaupt nicht, als ich zu ihm an den Tresen komme und ihn anspreche. Er hat einen spanischen Akzent, wirkt selbst etwas schüchtern, kommt schnell ins Plaudern, hat alle Zeit der Welt, sagt, dass seine Kneipe den besten [X] der Stadt hätte, von dem er mir gleich einen einschenkt. Ungefragt schaut er nach Reservierungen und sagt: Da bekämen wir noch die Ecke hinten frei. Dabei wollte ich eigentlich nur wissen, ob wir mit der großen Gruppe ein Kölsch im Stehen trinken könnten.
  • Der Kellner in Laden 3 hat wenig Zeit und kommt auch nicht zu mir rüber an den Tresen, sondern fragt aus drei Metern Entfernung, was ich will. Ich stelle mich gerade hin, schaue in seine Richtung und brülle dann halb durch den ganzen Laden, so dass alle Thekengäste es mitbekommen. Aber die anderen interessieren sich ohnehin nur für das gerade laufende Fußballspiel. Und der Kellner sagt so etwas wie: Kein Problem, irgendwo kriegen wir euch da kurz unter.
  • Die Kellnerin in Laden 4 flirtet mit mir. Zumindest kommt mir das immer so vor, wenn ich mit ihr rede. Dabei ist sie wohl einfach nur ein People Person, der anderen tief in die Augen blickt. Ich blicke zurück. Samstag sei schon recht voll, sagt sie. „Aber wir bekommen euch da schon unter.“ Als es um mögliche Quizfragen geht, weist ihre Freundin auf die hintere Wand: „Da hängt [X]“ – Ach wie cool! Das wird die Killerfrage werden!
  • Der Kellner in Laden 5 wirkt unsicher auf mich. Sagt, er sei eigentlich DJ und helfe hier nur aus. Zufällig legt er am Samstag auf. Ah, die Partyreihe, sage ich, die kenne ich, da wurde mir beim letzten Mal zu viel Pop gespielt. Was!? Könne gar nicht sein, sagt er, er spiele auch Rage. Es gäbe einen neuen Schnaps, den hätte er hier eingeführt, er hat ihn aus [X] mitgebracht, da käme er nämlich selbst her. Ein sehr nettes Gespräch.

Am Ende habe ich rund 30 Fragen gesammelt und zumindest drei echt gute Gespräche geführt, statt mir zu Hause Allerweltsfragen aus dem Internet zu suchen.

Heute gelernt: Die meisten Menschen reißen einem gar nicht den Kopf ab. Und Schüchternheit scheint auch andere zu betreffen. Ist vielleicht einfach so eine Gegenreaktion auf das Zeitalter der Überallundjederzeitkommunikation.

Man stellt sich Journalisten eigentlich immer irgendwie als Rampensäue vor. Aber schreiben die dann die besten Geschichten? Schüchtern sein heißt ja nicht, dass man nicht trotzdem Gespräche beginnen kann. Dann hört man halt mehr zu, lässt den anderen reden und bringt so einiges in Erfahrung. Also das, was als Journalist eh nicht schaden kann. Was heißt schon „eigentlich“.

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