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Feelings

Zugang zu seinen eigenen Gefühlen herzustellen, ist eine enorme Herausforderung, gerade wenn man mal gelernt hat, möglichst keine Gefühle zu zeigen.

Warum man das gelernt hat? Sagen wir mal, das Umfeld hat es eine Zeitlang erfordert. 😏 Zeig keine Gefühle, sonst greift man dich genau dafür an oder nutzt dich dafür aus. Diese Zeit ist schon lange, lange vorbei, aber eventuell hat man nicht gelernt, wieder umzustellen. Es gibt tatsächlich immer noch Situationen, in denen man seine Gefühle besser nicht zur Schau stellt oder sie zumindest zügeln muss. Die Welt da draußen kann megabrutal sein.

Zum Glück sind diese Situationen selten. In den meisten sozialen Situationen ist es heute durchaus angebracht, sogar notwendig, seine Gefühle zu zeigen. Differenzieren ist also notwendig. Aber wenn man das all die Jahre nicht gemacht hat, muss man das erst wieder neu lernen. Ich bin dabei.

Und ich schaue zurück: Wie vielen Menschen es wohl genauso geht, wie viele sich verhärtet haben, weil sie es mussten oder meinten es zu müssen, wie viele wie ein Eisblock wirken, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, aber dann nicht mehr zurückschalten konnten, wie viele ihrer Mitmenschen daran verzweifelt sind.

Mensch sein ist echt eine bekloppte Angelegenheit, wenn man es sich mal genau überlegt.

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Nöel

Konzert in Düsseldorf, tolle Vorbands, Noël Gallagher and the High Flying Birds dann pünktlich (zur offiziellen Übertragung im WDR) dann um 2100 Uhr auf der Bühne. Gitarristen, Keyboarder, Schlagzeuger und dazu irgendwie auch noch vier junge Backgroundsängerinnen. Irgendwie überflüssig – eine hätte gereicht – aber schön anzuschauen.

Noël spielt die besten Hits des neuen Albums, seiner Solokarriere insgesamt und gegen Ende zunehmend alte Oasis-Songs. Little by little, Live forever, the Masterplan. Ein wenig Sparring mit dem Publikum, grimmiges Gesicht, ich meine so etwas wie „Fucking Germans“ zu hören und wäre nicht überrascht. Meine Mitstreiter, darunter ein Engländer, aber klären mich auf. Er sagte wohl: „I don’t speak fucking German“. Tolle Video- und Lightshow, anderthalb Stunden Programm, angenehme Atmosphäre, für einen kurzen Moment lächelt er sogar.

Nach dem Konzert noch ein wenig Brimborium. Die Schlange vor der Garderobe ist massiv, es dauert eine halbe Stunde, bis wir drankommen. Ich unterhalte mich ein wenig mit einem aus Berlin, Johannes sieht einen mittelalten Typen mit Kurzhaarfrisur und Augenklappe – der perfekte Doppelgänger von Olaf Scholz. Ich renne rüber und frage, ob er ein Selfie mit mir machen will. Er sagt: ja klar.

Vor der S-Bahn-Station direkt nebenan geht die Party weiter. Ein Straßenmusikant hat sich hier mit Mikro und E-Gitarre aufgebaut, spielt alte Oasis-Songs: „Don’t look back in Anger“ und „Wonderwall“. Der Pulk der Leute feiert, auch wir stimmen kurz mit ein.

Immer wieder, wenn ich mich frage: „Ach, was soll ich eigentlich auf Konzerten, ist das nicht verschenkte Lebenszeit?“ passieren mir solche Dinge und ich habe mit die besten Zeiten meines Lebens. Halte ich hiermit mal schriftlich für mein Future-Self fest.

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Kölner Bahnhofsvorplatz

Es geht mit S- und Regionalbahn zurück nach Bonn, Johannes und ich haben eine halbe Stunde Aufenthalt im Kölner HBF. Wir treten kurz aus, ich hab einen Mordshunger und hole mir noch was beim Bäcker, danach ist immer noch Zeit übrig. Klare Sache: Einen Blick auf den monumentalen Dom werfen, wo wir schon mal da sind! Oft gesehen, aber immer wieder schön.

Wir stehen auf dem Bahnhofsvorplatz, es ist halb Zwölf in der Nacht. Zwei Mädels kommen auf uns zu, ich würde sie auf etwa 18 schätzen. Sie fragen uns superlieb, wer wir sind, ob wir vielleicht nen Euro haben, sie müssten dringend aufs Klo. Die beiden teilen sich eine Flasche Wein, wirken schon recht angetrunken, wir haben vom Konzert her auch schon drei Bier auf, ein normales „Party“-Gespräch, eigentlich.

Wir fragen, was sie hier noch machen. Sie seien aus ihrer Einrichtung ausgebüxt, sagen sie, hätten es da nicht ausgehalten. „Ich wollte bei meinem Freund sein“, sagt die eine. „Der hat mich geschlagen und ist manchmal gemein zu mir, aber dann auch wieder superlieb und textet mir voll lieb.“

Ich versuche, ihr zu erklären, dass das gar nicht gehe: „Wenn er dich schlägt, musst du von ihm weg.“

Sie nickt: „Ja, aber ich lieb den voll. Ich weiß auch nicht.“

Die andere stimmt ein: „Ich kann auch nicht ohne meinen Freund. Ich denk die ganze Zeit an ihn. Und wenn er weg ist, vermisse ich ihn so, dass ich mich manchmal ritzen will.“

„Was?!“, frage ich. „Bist du bekloppt? Warum sollte man sich denn ritzen?“

„Na ja, wenn der Schmerz so groß ist, dann ist man kurz davon abgelenkt.“ Sie krempelt ihren Unterarm hoch, er ist wirklich voller Schrammen. Keine so tief, dass es lebensgefährlich wäre, aber definitiv selbst zugefügt, so als würde sich jemand… ja, ritzen, um den Schmerz abzulenken.

Ich versuche, ihr zu erklären, dass das gar nicht gut ist.

Sie sagt: „Ja, aber ich vermisse meinen Freund oft so sehr. Dann ritze ich mich. Würde ich jetzt eigentlich auch gerne, aber ich hab nichts dabei…“

Ich frage sie, wie alt sie sei. Sie sagt: siebzehn. Ich versuche noch, ihr zu erklären, dass das keine Liebe ist, dass es Wichtigeres im Leben gibt und es sich nicht lohnt, jemandem hinterherzulaufen. Ich erreiche sie nicht.

„Wir fahren noch nach Mönchengladbach“, sagte die eine dann.

„Was? Jetzt noch?“, fragen wir. Ja, da wäre eine Freundin gerade aus der Geschlossenen ausgebüxt, die holen sie jetzt noch ab.

„Und dann? Wo kommt ihr heute denn unter?“

Ich frage bewusst die andere, die mir etwas zugänglicher erscheint. Sie sagt: Bei ihrer Mutter. Ist es da okay, frage ich. Sie nickt: Ja, da ist es okay.

Die andere, die sich geritzt hat, ext die Flasche und torkelt danach gen Eingang. Zwei junge Typen kommen vorbei, es ist schwer zu sagen, ob sie sich kennen. Johannes gibt ihnen den einen Euro fürs Klo. Die Mädels verabschieden sich superlieb, gehen mit den Typen in die Wartehalle und sind auch kurz darauf verschwunden, bevor wir noch irgendwas unternehmen könnte. Na ja, was auch?

Aber WTF just happened?

Als wir in der Bahn sitzen, sagt Johannes: „Ich glaube, die beiden haben uns verarscht. Die haben uns irgendwas erzählt und brauchten in Wahrheit Kohle für irgendwelche Drogen oder so“.

„So eine Geschichte erfinden, um einen Euro fürs Klo zu schnorren? Und die Schrammen von der einen waren wirklich echt!“

Wir werden es nicht mehr herausfinden. Es könnte tatsächlich so etwas wie eine dieser Loverboy-Geschichten sein. Vielleicht haben sie uns auch wirklich nur verarscht. Ganz ehrlich, es wäre mir lieber.

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Deutschlandticket

Einmal nach Düsseldorf und zurück sind im Nahverkehr über 30 Euro, also fast 2/3 dessen, was ein Deutschlandticket kostet. Ich möchte mir also vor der Fahrt eins kaufen.

In der neu gestalteten DB-Navigator-App finde ich dazu erst einmal nichts. Im Hauptmenü kein Hinweis darauf; gehe ich bei der gesuchten Verbindung auf „Tickets“ taucht es hier auch nicht auf. Ich suche: Irgendwo unter Tickets im dritten Untermenü schließlich finde ich es: das Deutschlandticket. Will es direkt kaufen und buchen.

„Bitte füllen Sie aus: Name, Straße, Ort, Postleitzahl, Geburtsdatum, E-Mail, Telefonnummer (optional)…“

Echt jetzt? Das weiß die App doch schon aus meinem Account, ich bin eingeloggt.

Na gut, ich fülle alles aus.

„Ticket nur im Abo erhältlich. Bitte geben Sie die IBAN für das SEPA-Lastschriftmandat ein“.

Serieus? Die habt ihr doch schon durch die App. Habe ich längst als bevorzugte Zahlungsart ausgewählt…

Copy/Paste geht nicht. Ich krame mein Portemonnaie heraus, zücke meine Bankkarte und tippe die IBAN von Hand ab.

„Herzlichen Glückwunsch, Deutschland-Ticket gekauft. Wenn Sie das Ticket nutzen wollen, können Sie es im Hauptmenü mit einem + hinzufügen und nutzen“.

Echt jetzt? Das passiert nicht automatisch? Ich muss das wirklich von Hand hinzufügen, damit ich es nutzen kann? Meine Güte.

Gut fünf Minuten hat es also „nur“ gedauert, bis ich das Deutschlandticket mit der Bahn-App gekauft und dort hinzugefügt habe.

War ja ganz einfach…

Das Bürokratiemonster – gerade erst um ein paar Monate von Bund und Ländern verlängert – wirkt, als hätte es alles mit der Deutschen Bahn nicht das Geringste zu tun. Warum nur?

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Telefontermin

Ich schrieb in meinem letzten Blogbeitrag darüber, dass man das Telefon auch ganz gerne abschaffen dürfe, weil es für die Terminabsprache ungeeignet sei, bessere Lösungen aber oft noch fehlen.

Gestern klingelt dann mein iPhone, ich gehe dran, aber wie so oft drückt das iPhone den Anrufer stattdessen weg. Wenig später eine Voicemail: „Tag Herr Vielmeier, Sie wollten einen Termin für eine professionelle Zahnreinigung bei uns. Hier ist er: kommenden Dienstag um 1145 Uhr. Sie brauchen nur noch zurückzurufen, falls Sie an dem Termin nicht können. Wiederhören.“

Geniale Lösung des Problems. 🙂 Ich war so überrascht, dass ich vor lauter Freude direkt zurückrief, um den Termin zu bestätigen – was ich nicht musste, aber auf Nummer sicher gehend trotzdem wollte.

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Noël Gallagher: Pretty Boy (2022)

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