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Im Zweifelsfalle: Machen!

Schlecht geschlafen, viel zu früh aufgewacht, aber eindeutig nicht fit. Und dann der ursprüngliche Plan: Mit fünf anderen Leuten heute auf eine Weintour ins Ahrtal, von denen ich zwei überhaupt nur kenne. Absagen oder doch noch hingehen?

Die Frage stellt sich sicher jeder mal und die Verlockung ist groß: einfach absagen und dann lieber zu Hause chillen. Ich bin trotzdem hingegangen, und ich muss gestehen: die ersten zwei Stunden war ich geneigt einfach zu sagen: mir geht’s nicht gut, ich muss jetzt leider gehen.

Am Ende doch durchgehalten, jedem aufmerksam zugehört, paar Dinge von mir selbst erzählt. Klar, der gute Ahrwein, den wir an jedem Stand bekommen haben, hat die Stimmung deutlich gelockert. Aber auch sonst: einen richtig guten, lustigen Tag gehabt. Neue Leute kennengelernt, ein klein wenig an der Theke mit einer Fremden geflirtet, mich über die Marotten meiner Mitstreiter und meiner eigenen amüsiert, hin und wieder mal eine Pause zum Wiederauftanken eingelegt, guten Wein getrunken, einen richtig guten Tag gehabt.

Also, ja, nach mehrmaligem Erproben dieser Weisheit, kann ich zusammenfassen: Im Zweifelsfalle: machen! Es lohnt sich immer. Und sei es in zwei von zehn Fällen, um herauszufinden, mit welchen Leute man eben doch nicht so gut kann. Oder um herauszufinden, dass selbst miese Tage doch noch etwas Gutes haben können, oder am Ende sogar alles gut wird. Mehr andere Menschen wagen!

*

An der Ahr

Die Menschen dort hatten Redebedarf, das hat man gemerkt. Und wir haben zugehört.

Der eine, der völlig abgesoffen ist, der schon am Tag der Katastrophe Videos gepostet hat und seitdem die Regierung noch kritischer sieht als sowieso schon. „Die haben uns im Stich gelassen!“ Er hat ein Museum eingerichtet mit Bildern, Videos und Artefakten der Katastrophe und uns dezent darauf hingewiesen, dass wir die Viertelstunde doch bestimmt Zeit hätten, uns das anzuschauen.

Wir taten es, kauften anschließend ein paar Flaschen Wein bei ihm und hörten auch noch zu, als er sagte: Die Regierung verheimlicht uns doch was! Schaut hier, dieses Bild vom Wetter: das ist doch gemacht, nicht natürlich.“ Es zeigte treppenartige Wolken, wie man sie manchmal, mit einem Ultraweitwinkel aufgenommen, eben schon sieht. Na ja… Aber na gut, nach dem, was er erlebt hat… wer will es ihm verdenken…

50 Meter weiter, sein übernächster Nachbar, noch im Blaumann am Neubau seines neuen Zuhauses werkelnd: „Wir? Keine Hilfe bekommen? Es kamen Inder mit Turban vorbei, die uns täglich Essen gebracht haben. Eines Morgens waren 30 Leute in meinem Vorgarten und haben den Schlamm weggeschippt. Wer Hilfe brauchte, die Anträge auf Hilfe auszufüllen, konnte zu einem Container im Ort gehen. Da saßen zwei Frauen mit Laptops, die nur dazu da waren, mögliche Anträge schnell zu erfassen. Die haben sich gelangweilt, weil keiner kam. Ich sag ganz ehrlich: Die Katastrophe hätte ich mir gerne erspart, aber wer hätte die voraussehen können? Und in welchem anderen Land der Welt hätten wir diese Hilfe erhalten?“

Zwei völlig gegensätzliche Meinungen. Wir haben uns, zum Glück, zurückgehalten, nicht gewertet, einfach registriert. Und Verständnis aufgebracht, wie es zu diesen konträren Meinungen wohl kommen konnte.

Einigkeit herrschte nur bei einem Thema: Als der Ort Schuld weiter oben an der Ahr schon abgesoffen war, hätten die anderen noch zwei bis drei Stunden Zeit gehabt, sich auf die Katastrophe vorzubereiten. Warum hatte niemand gewarnt? „Es sind deswegen Menschen völlig unnötigerweise überrascht worden und gestorben.“ Das hätte man verhindern können.

*

Allein am Tresen sitzen

Habe ich jetzt ein paar Mal ausprobiert. Und ich glaube: Die Angst davor ist das größte Problem. Du willst nicht zu den melancholischen Typen gehören, die sich dort als lone wolf markieren und damit ihr „Scheitern“ offenbaren. Du hast nur noch die Option, alleine am Tresen zu sitzen und der viel jüngeren Kellnerin in den Ausschnitt zu starren? Herzlichen Glückwunsch: Du hast verloren!

Heute hatte ich aber einfach Bock, nach dem Weinfest mit netten Leuten noch alleine am Tresen ein letztes Bier alleine zu trinken.

Was ist dann passiert?

Nicht viel. Der sehr nette Kellner fragte, was ich wolle, ich sagte: ein O’Hara’s, bekam es. Ich widmete mich dann meinem Smartphone, schrieb ein paar Nachrichten, postete ein paar Instagram-Stati, grüßte meinen Nebensitzer, irgendwann kam ich kurz mit der recht jungen Kellnerin ins Gespräch. Warum sie das hier mache, fragte ich. Na ja, sie sei Rettungssanitäterin, sagte sie, und mache das hier nebenher. Oha, sagte ich: zwei sehr stressige Jobs. Ja, schon, sagte sie, aber das möge sie auch. Sonst wäre es ihr zu langweilig. Wir protesten uns zu, ich mit meinem Bier, sie mit ihrem Zwischenwasser, und dann machte sie ihren Job weiter, während ich mein Bier austrank und mich anschließend verabschiedete.

Festzuhalten bleibt: Nee, bricht einem kein Zacken aus der Krone. Aber ich finde: der Laden muss stimmen. Ich mag nicht als einsamer Trauerkloß in einer ranzigen Kaschemm halbtot über dem Tresen hängen. Aber in einem lebendigen Laden, wo richtig was passiert: da sauge ich sehr gerne die Vibes auf, zur Not auch allein. Kann man sehr gut mal machen!

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