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Schlaflos in Alicante

Mein Vergangenheits-Ich hielt es für angebracht, für seinen Geburtstag eine Reise nach Porto zu buchen (gute Idee) und dafür einen Gabelflug mit zehnstündigem Aufenthalt in Alicante zu wählen. Ganz dumme Idee, ganz dumm! Vor allem, wenn besagter Flug nach Alicante um 0605 morgens geht.

Problem ist dabei gar nicht mal das frühe Aufstehen an sich. Das Problem ist, dass die frühe Flugzeit nicht an mögliche Zubringer gekoppelt ist. Der Flughafenbus fährt zwar nur 100 Meter von meiner Haus entfernt ab, der erste seiner Art fährt aber „erst“ um 0451, kommt planmäßig um 0511 an (wenn er denn kommt), was mir exakt 24 Minuten Zeit gäbe, vom Bus zum Terminal und darin zur Sicherheitskontrolle gelangen, ebensolche zu passieren und dann zum Gate zu gelangen, das um 0535 schließt. Die Maschine ist beinahe ausgebucht, Ryanair macht first come, first serve. Ich habe zwar Priority gebucht, aber das bringt dir nichts, wenn du nicht rechtzeitig da bist. Die Alternative wäre ein Taxi für 60 (!) Euro (teurer als der Flug). Oder eben die Bahn, die um 0333 ab Bonn HBF fährt. Es wird: die Bahn.

Der Plan ist eigentlich simpel, zumal ich am Tag vor dem Flug noch nicht genesen bin: Angesichts des ohnehin gestörten Schlafrhythmus‘ einfach nachmittags vorschlafen, mitten in der Nacht wieder aufstehen, Sachen packen, zum Bahnhof marschieren, losfliegen. Gegen 1700 Uhr bin ich mit dem Wichtigsten der Arbeit durch, so platt, dass ich mich tatsächlich schon hinlege, auch kurz einnicke und um 1745 hellwach wieder auf der Matte stehe.

Dieser Zustand hält den Rest des Abends an. Mein Plan B ist also, schonmal zu packen, noch einmal frische Luft zu schnappen, ein paar E-Mails zu schreiben und dann halt erst um 2200 schlafen zu gehen.

Es wird 2300, aber gesagt getan. Um 0230 müsste ich raus – immerhin 3:30h Schlaf. Ich packe alles fertig, putze die Zähne, lese noch was, mache das Licht aus, lege mich zum Schlafen auf die Couch, wie schon öfter in den letzten Tagen – bin hellwach.

Ich vermisse die himmlische Ruhe von Berlin-Tempelhof, wo meine Freundin wohnt. Du hörst keinen Mucks! Das Bonner Ausgehviertel ist die Stadt, die nie wirklich schläft. Lärm von Partygängern, einer im Treppenhaus, der trampelt, Geräusche von Nachbarn, ein Juicer, der laut Akkus von E-Scootern wechselt, ein Einsatzwagen, der um Mitternacht mit Martinshorn durch die Straße düst (muss das um die Zeit noch sein?).

Gegen 0100 gebe ich auf, obwohl ich langsam müde werde. Ich esse meinen eigentlich für morgen eingeplanten Proviant (Sandwiches und Schokolade), mache eine Folge „Silicon Valley“ an. Es ist lustig, ich werde müde, aber kann nicht schlafen, noch eine Folge. Es wird 0200 und jetzt, kurz vor dem geplanten Aufstehen werde ich schläfrig, na toll. Ich versuche es nochmal mit einem Powernap, aber ich döse nicht weg. Um 0225 gebe ich endgültig auf, stelle die Kaffeemaschine an, lade Notebook und Smartphone noch einmal auf und gehe duschen.

So zu tun, als wäre es morgens und Aufstehzeit, aktiviert tatsächlich noch einmal Energiereserven. Der lecker Milchkaffee natürlich auch. Ich starte wie neu in den Tag, packe alles zusammen und verlasse die Wohnung um 0315.

Die Gegend ist menschenleer, mit meinem Rollkoffer trage ich nun natürlich dazu bei, die nächtliche Stille zu durchbrechen. Die ersten Menschen sehe ich am Stadthaus, dann erst wieder an Gleis 2 am Bahnhof, wo unser Zug abfahren soll.

Was sind das für Leute, die mitten in der Nacht eine Bahn nach Köln HBF oder den Flughafen nehmen? Ganz normale Menschen, wie mir scheint. Eine junge Frau, ein Typ in einem langen, beigen Mantel, der als einziger aussieht, als hätte er bis jetzt gefeiert (wo?), einige, die wirken, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit, ein Mann und eine Frau, die miteinander zu flirten scheinen (sich aber dann später getrennt voneinander in die Bahn setzen), eine siebenköpfige Reisegruppe mit Koffern (die aber dann in Köln HBF aussteigt), ein älteres Ehepaar, das vor der klirrenden Kälte (na ja, -2 Grad, aber es ist März, Mensch!) in den Fahrstuhl geflüchtet ist und dort wartet.

Die Mittelrheinbahn hat bei Abfahrt schon 10 Minuten Verspätung, nimmt weitere auf, hält vor jeder großen Eiche und sammelt immer mehr verloren aussehende Menschen ein, die so früh schon auf dem Weg zur Arbeit zu sein scheinen. Noch am Kölner HBF steigen einige Leute zu, die wie Flughafenpersonal aussehen. Die Bahn wird leerer. In der Wartehalle an Gleis 1 sitzen die wahren Versprengten der Nacht, die keine andere Möglichkeit haben, der Kälte zu entfliehen.

Wir kommen gegen 0435 am Flughafen an. Das Boarding schließt in einer Stunde und aus einem Grund, der mir nicht ganz einleuchtet, ist die Maschine nach Alicante (an einem Mittwoch im Winter) ausgebucht. Viel später hätte ich also gar nicht eintreffen dürfen. Müde bin ich erst einmal nicht, aber zunehmend voller Adrenalin, das merke ich.

In der Zwischenhalle zwischen Bahnhof und Ankunftshalle übernachten gleich mehrere Menschen auf dem Boden. Nur einer davon entspricht dem Bild, das man von einem obdachlosen Menschen hat. Der Rest sieht irgendwie so aus, als wäre er nur zufällig dort gelandet, ist aber vermutlich gar nicht so.

Die Laufwege im Flughafen Köln-Bonn sind lang. Das macht mir an sich nichts, ich gehe ja gerne zu Fuß. Allerdings muss jemand, der in Terminal 2 einchecken will, am Ende immer genau in die Mitte des Gebäudes. Ich muss nach Abschnitt D – und damit wieder nach Terminal 1 zurück, wie sich am Ende herausstellt. Von da war ich gestartet.

Ich komme schnell und problemlos durch die Sicherheit, habe noch Zeit, einmal aufs Klo zu gehen, mein Wasser aufzufüllen (damit muss ich langsam mal aufhören, glaube ich, die Waschbecken in den Flughafentoiletten sind einfach so versifft, da kann kein sauberes Wasser rauskommen), zum Gate zu gehen und mich noch einmal kurz hinzusetzen, bevor um 0515 auch schon das Boarding beginnt. Ich mache nicht noch einmal den Fehler, ewig zu warten und dann meinen Trolley nirgendwo unter zu kriegen, sondern gehe sofort in die Priority-Schlange, für die ich gebucht habe. Ich bin einer der ersten und wir werden dankenswerterweise zehn Minuten lang draußen geparkt, bevor es weitergeht. Der Mann neben mir beschwert sich stark darüber, dass er in der Kälte warten muss. Ich finde ich es eigentlich ganz witzig und genieße das letzte bisschen Frischluft für die nächsten 3 Stunden.

Um 0548, mehr als eine Viertelstunde vor dem Start sitzen alle und sitzt alles. Hätte also allenfalls haarscharf gereicht, wenn ich den Bus genommen hätte. Aber dann wäre ich definitiv am Ende der Schlange gelandet und hätte sehen können, wie ich meinen Trolley noch unterkriege. Nee, war doch die bessere Idee mit dem Zug. Müde bin ich tatsächlich noch nicht, was beinahe schade ist, denn dann hätte ich auf dem Flug wenigstens kurz einnicken können. Ohnehin toppt nichts das abartig grelle Kabinenlicht einer Ryanair-Maschine. Ich rolle meinen Kopf sogar kurz in meinen Schal ein, aber es wird einfach nicht dunkler.

Solange ich in diesem Zustand bis gegen 1500 Uhr durchhalte, wenn es in Alicante zurück zum Flughafen geht, ist alles okay. Ich hoffe nur, ich bin nicht schon ein Zombie, wenn ich dort ankomme…

Wir landen gegen 0800 in Alicante und nach vergeblicher Suche nach einem Schließfach beschließe ich, ohne weitere Umschweife den Flughafenbus zu nehmen, in die Stadt zu gondeln und mein Gepäck einfach mitzunehmen. Das klappt problemlos. Der Bus trifft gerade ein, als ich an der Haltstelle stehe. Der Fahrer verkauft mir ein Ticket für 3,85 Euro und die Fahrt in die Sonnenstadt dauert etwa eine halbe Stunde. Auf Google Maps verfolge ich unseren Standort und steige in der Nähe der Promenade aus.

Es ist etwa 0900 und schon ordentlich warm. Ich trage meine Winterjacke und ziehe meinen Rollkoffer durch die belebte Promenade. Zwar kommen beim Anblick von blauem Himmel, Palmen, Meer und Sandstrand erste Frühlingsgefühle auf, aber langsam bin ich wirklich müde und ein wenig gereizt. Die anderen Passanten gucken mich neugierig an. Ich sehe wohl nicht mehr taufrisch aus und würde mich auch am liebsten kurz auf eine Parkbank legen. Doch ein ganz anderes Problem tritt plötzlich zu Tage: Ich muss nötig auf die Toilette, und zwar das Kompliziertere von beidem.

Entlang der Promenade hat jede der angezeigten öffentlichen Toiletten natürlich geschlossen oder hatte seit Jahren nicht mehr geöffnet. Ich bin leicht verschwitzt, müde, verschnupft, und noch dazu höre ich auf einem Ohr nur dumpf. Der Druckausgleich in der Maschine hat mit Erkältung nicht richtig funktioniert. Ich lasse mich kurz auf eine Bank am Sandstrand fallen und würde am liebsten ein kleines Schläfchen einlegen. Aber es nützt ja nichts. Eine Toilette muss her. Und so befrage ich Google Maps nach einem Hipster-Café in der Nähe, finde eins und werde über eine Brücke in die Touristenmeile gelotst.

Und auch wenn mein Zustand nicht der beste ist: Ich muss zugeben, dass es hier langsam hübsch wird. Ein toller Blick auf den Hausberg, malerische kleine Häuschen, gut erhaltene, alte Gemäuer. Ich schiebe mich durch, so gut es der Rollkoffer zulässt. Und schließlich komme ich an dem geplanten Café an – das völlig überfüllt ist. Also nehme ich meinen ganzen Mut und meine restlichen Kräfte zusammen und gehe in die kleine Cantina um die Ecke. Es ist die Art von Bar, in die die Einheimischen gehen, um einen Kaffee zu trinken, ein kleines Baguette zu essen und ein wenig zu klönschnacken.

Ich lasse mich an einem kleinen Tisch auf einen Stuhl fallen, mache die Kellnerin auf mich aufmerksam, bestelle einen Café con leiche, bekomme ihn, trinke ihn halb aus, lasse meinen Koffer stehen, nehme meinen Rucksack mit und verabschiede mich kurz auf die – glücklicherweise vorhandene und sehr saubere – Toilette. Dem Himmel sei Dank.

Wieder an meinem Tisch bestelle ich noch ein Schinkenbaguette dazu, lasse mir das Frühstück schmecken, zahle – nur 2,70 Euro für beides – und beschließe, mir jetzt noch ein wenig den Ort anzuschauen. Denn es ist gerade mal 1100, ich habe noch ein paar Stunden Zeit und das Frühstück und der Toilettengang haben neue Lebensgeister in mir geweckt. Ich bin gar nicht mal mehr so müde.

Wobei Tourismus gar nicht einmal so einfach ist mit einem Rollkoffer in der Hand. Denn es gibt verwinkelte Gässchen und viele kleine Treppen. Dazu poppt etwas Dringendes auf der Arbeit auf, worum ich mich auf einer perfekt gelegenen Aussichtsplattform über der Stadt kümmern muss. Aber etwas Negatives kann ich kaum darüber sagen, denn diese Stadt ist wunderwunderschön! Zumal an einem sonnigen, nicht zu heißen Frühlingstag.

Helles Gestein, ein Hausberg mit Burg mitten in der Stadt, freundliche kleine Häuschen, Dachterrassen, Fliesen, Blumen, Treppchen in verwinkelten Gässchen, und an vielen Ecken kleine oder große Aussichtspunkte oder -plattformen, Miradors, um hinunter auf die Dächer der Altstadt oder das azurblaue Meer zu blicken. Alicante ist richtig schön!

Mit dem Koffer in der Hand schiebe ich schließlich in die Altstadt, gönne mir eine Portion Churros mit halbfestem Schokoladenpudding, trinke noch ein Wasser. Mir bleibt noch Zeit für ein kurzes Schlendern über die Ramblas. Hier gibt es ein Open Air Irishpub mit Craftbier vom Fass. Ist das hier das gelobte Land? Zumindest eine der schönsten Städte, in der ich je war, wenn mich mein erster Eindruck nicht täuscht.

Gegen 1400 Uhr trete ich den Rückweg zum Flughafen an. Hungrig bin ich eigentlich nicht, müde auch noch nicht besonders. Wieder nehme ich den Flughafenbus, der ein paar Mal im dichten Verkehr stecken bleibt. Trotzdem bin ich etwa 2 Stunden vor Abflug da, kann noch etwas Zeit verbummeln und mich gebührend von dieser schönen Stadt verabschieden.

Gegen 1630 dann der Weiterflug nach Porto. Ich bin langsam wirklich kaputt, meine Konzentration lässt nach, laut ist es auf meinem Sitz ganz hinten rechts auch. Ich habe gerade noch die Aufmerksamkeitsspanne für ein paar Folgen „Silicon Valley“ auf meinem Handy, die Comedyserie, die ich endlich einmal beenden möchte. Ein paarmal nicke ich dann aber doch ganz kurz weg.

Leider klappt diesmal der Druckausgleich so gar nicht. Ich bekomme Schmerzen auf den Ohren, vor allem aber höre ich auf dem rechten Ohr danach nur dumpf. So wird mir für den Rest des Abends alles irgendwie unwirklich vorkommen. Die Müdigkeit tut ihr Übriges. Die Ankunft in Porto gelingt problemlos. Ich kenne mich hier schon ein wenig aus, kaufe ein U-Bahn-Ticket und fahre mit der Linie E mit Umstieg in Senhora de Hora in die Stadt rein. Weiß noch, wo ich aussteigen muss und – nach einem kurzen Augenblick Bedenkzeit – auch, in welcher Straße in Bonfim Nicky und Juan wohnen.

Es wird ein sehr schönes Wiedersehen. Wir belassen es an diesem ersten Abend aber beim Chillen auf der Couch, stoßen mit zwei Bier auf das Wiedersehen an und bestellen eine Bowl per Lieferdienst. Besonders einfach ist die Unterhaltung nicht, weil ich mir mit „verstopftem Ohr“ und nach über 30 Stunden ohne Schlaf irgendwie wie im Tunnel vorkomme. Schon auf der Couch werde ich immer müder und verabschiede mich dann auch bald ins Gästezimmer. Ich bekomme sogar noch eine Wärmflasche (es ist bitterkalt in portugiesischen Wohnungen im Winter) und einen Einschlaftee (als hätte ich den in meinem Zustand noch nötig), checke noch was auf dem Handy, will noch irgendwas erledigen, vergesse aber, was es ist, und mache dann schließlich gegen 2200 portugiesischer Zeit (2300 deutscher Zeit) das Licht aus und die Augen zu. Wenig später muss ich dann auch wohl einschlafen.

Endergebnis dieser mehr oder weniger geplanten Aktion: Etwas über 36 Stunden war ich insgesamt wach. Eine ganz schön lange Zeit in meinem hohen Alter. Es lief vergleichsweise gut, ich hatte mich die ganze Zeit im Griff und bin zumindest nie versehentlich weggenickt. Und bis auf das Ende war ich noch nicht einmal all zu müde dabei. Gut war es, es dabei nicht mit dem Kaffee zu übertreiben – ich hatte an beiden Tagen nur einen. Ich glaube, zu viel Koffein hätte mich völlig unentspannt gemacht. Wieder ausgeglichen habe ich das Ganze übrigens dann mit, gleich darauffolgend, stolzen 13 Stunden Schlaf am Stück.

Alles in allem also gar nicht so schlimm wie angenommen. Aber trotzdem nichts, was ich gerne all zu oft wiederholen würde. Highlight der Aktion war definitiv, Alicante zu sehen, eine richtig schöne Stadt. Schlaflos oder nicht. So gesehen vielleicht doch gar keine so dumme Idee. Aber wenn ich solche Gabelflüge irgendwie zu zivileren Zeiten wiederholen könnte – ich hätte nichts dagegen.

What the…? Und vor allem: who the…? Wandgemälde prankt wohl seit dem Wochenende hier am alten Postgebäude. Wer ist das? Update: Es ist Hans Riegel, langjähriger Chef der Marke Haribo, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.

Wenn du dich beschwerst, achte auf korrekte Sprache, sonst wirkt’s irgendwie…

4 Antworten auf „Schlaflos in Alicante“

Vielen Dank für diesen schönen entspannenden Artikel, der mir mein Frühstück versüßt hat und mich locker in den Tag starten lässt.
Wer der Typ ist: keine Ahnung! Aber interessieren tut es mich auch

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