Heute ist klar: Wir würden auf das Craftbeer-Festival in Porto gehen und eine Menge neuer Leute kennenlernen. Okay, denke ich mir: Schwerstarbeit für einen Introvertierten, aber ich würde das schon ganz relaxed schaukeln – oder? Nicht ganz…
Es ist heiß, aus den Boxen dröhnt sehr laute Musik des DJ. Schon beim Bierholen treffen wir die ersten Bekannten von Nicky und Juan. Ein Pärchen aus Brasilien, einen Serben, einen Polen. Wir begrüßen uns nett, geben uns die Hand, ich stellte mich kurz vor, schaffe es aber kaum zu lächeln. Bin zu verkrampft.
Der Pole kommt kurz danach auf mich zu. Sehr freundliche Gestalt, ein Lächeln auf den Lippen, lange Haare, Surfer-Natur – passenderweise sagte er, dass er sich auch gerade ein Surfbrett gekauft habe und da jetzt Stunden nehmen würde. Er käme aus Posen, der Ort mit der wunderschönen Altstadt, hätte ein halbes Jahr in China studiert, würde jetzt was mit IT machen, hätte eine Brasilianerin geheiratet und wäre mit ihr nach Matosinhos gezogen, dem hippen Vorort von Porto direkt am Meer.
Und wow, denke ich, der Typ hat mal eben alles richtig gemacht, was man im Leben so richtig machen kann, und ist dabei auch noch super relaxed, gutaussehend und aufgeschlossen. Ich versuche Augenkontakt zu halten, mich nicht zu vergleichen, auch nett zu sein. Die Sonne wütet, die Mucke pulsiert in meinem Ohr, mir läuft die Soße den Rücken runter. Aber, klar, natürlich mag ich den Kerl. Als nächstes stellt sich mir Rob vor, der unvergleichlich entspannte Brasilianer mit der wunderhübschen Frau, die auch total entspannt und völlig unverstellt ist. Bemerkenswert.
Wir treffen anschließend eine ausgewanderte amerikanische Rentnerin und dann gleich noch eine und einen ausgewanderten amerikanischen Rentner, Ralph. Und alle sind supernett zu mir. Paula, die eine Rentnerin mit dem Hund, hat auch eine unglaublich gewinnende Art, sie ist mir auf Anhieb sympathisch, Ralph, der ausgewanderte Ex-Schauspieler ebenfalls. Es kommen noch drei weitere Brasilianer dazu und am Ende noch mehr Bekannte ihrer Bekannten.
Mit jedem Bier werde ich etwas entspannter, die laute Musik stört mich nicht mehr so (oder wird sie auch chilliger?). Ich versuche, mich mit jedem ein Stück weit einzeln zu unterhalten, die zurückhaltende deutsche Art zu erklären und das bisschen, was ich über Brasilien weiß, anzubringen – viel unkomplizierteres Kennenlernen, das Thema Sicherheit, Blumenau – es stößt auf Gelächter. Ja, so ungefähr wäre es wirklich.
Irgendwann sehe ich Nicky ein paar Ecken weiter alleine stehen. Ich gehe zu ihr und frage, ob alles in Ordnung sei. Ja, wäre es, sie hätte sich nur mal kurz rausziehen müssen aus dem Ganzen. Wäre einfach kurzzeitig zu viel geworden. Etwas Ähnliches sagt später auch Rob. Ja, zu viele Menschen auf einmal und zu viel Lautstärke. Wäre er eigentlich auch gar nicht der Typ für.
Irgendwann ist mir klar: Ich muss das komplett eskalieren lassen, anders kann ich das eh nicht mehr managen. Und es gelingt ganz gut. Am Ende splittet sich die große Gruppe in Dreier- und Vierergruppen auf, die beiden älteren Amerikanerinnen kommen nach ihrem Abendessen gar nicht mehr wieder. Jeder redet hauptsächlich mit demjenigen vor sich.
Mir wird aber auch klar: Sicher ist das hier anstrengend, aber irgendwie sind das alles tolle Menschen um mich herum, mit Bullshit kommt hier keiner weiter. Und wenn man die alle noch einmal einzeln oder zu zweit wiedertreffen würde, wäre das schon erheblich leichter und unverkrampfter, auf alle Fälle aber nett.
Manchmal muss man sich einfach einen Abend überfordern, um neue Bekanntschaften zu schließen. Es lohnt sich auf lange Sicht.
Und wenn man das ein paar Stunden gemacht hat, ist es auch gar nicht mehr so schlimm. Hat man halt mal ein wenig über seinen Schatten springen müssen. War anstrengend, ja, aber das ist ein 10-Kilometer-Lauf auch, und man macht ihn trotzdem einmal die Woche, um fit zu bleiben. Könnte und sollte man dann eigentlich auch mit fremden Menschen.
Belohnt wird man dann übrigens mitunter mit völlig leichtgängigen Bekanntschaften wie dem wunderbaren Georgier, den wir später noch vor einem Kiosk getroffen haben und den ich – wäre ich schwul – wahrscheinlich on the spot geheiratet hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Neue Menschen kennenlernen kann sogar Spaß machen, wenn man es mal zulässt. Gerne wieder! Nicht unbedingt täglich, aber zu gegebener Zeit: immer wieder!
3 Antworten auf „Überfordere dich“
Du hast nicht wirklich nach 15 Bier noch diesen Text geschrieben? ???
Na ja, „15“ ist aber jetzt eine stark aufgerundete Zahl. 😉 Ich komme auf so 6-7 auf dem Festival und das waren ja jeweils nur 0,25l at the most. Und okay, das Abschlussbier in der Pommesbude, das war bisschen drüber…
Respekt!