1 Irgendein Film läuft gerade, und es ist ziemlich sicher der falsche. Seit sie die Kontaktbeschränkungen gelockert haben, wirkt auf der Straße alles wie früher. Nur dass irgendwie gar nichts wie früher ist.
2 Vorhin war ich im Body Shop, um mir ein Shampoo zu kaufen (the things you get hooked on) und hab mir vorher schon fast routinemäßig eine Gesichtsmaske aufgezogen. Auch wenn das erst ab Montag vorgeschrieben ist. Die Verkäuferin trug auch eine Maske und hat mich angelächelt. Glaube ich.
3 Die TV-Serie „The Leftovers“ beginnt damit, dass 2% der Weltbevölkerung auf einen Schlag verschwinden. Niemand weiß wieso, niemand hat eine Erklärung. Aber der Alltag läuft danach unverändert weiter, weil es anders eben nicht geht. Außer dass die verbliebenen 98% in kollektive Depression gestürzt werden und sich davon nicht mehr so richtig erholen. Ein wenig erinnert mich das Ganze daran.
4 Ich sitze mit meinem Laptop auf meinem kleinen Balkon, während ich hier blogge. Unten hat einer auf dem Frankenbadplatz auf seinem Bluetooth-Speaker Salsa-Musik angemacht und tanzt dazu. Der ziemlich alkoholisierte DJ will ein paar Bulgaren, die in der Nähe stehen, dazu animieren mitzutanzen. Er zeigt ihnen ein paar Schritte, aber die haben keine Lust, wollen außerdem Abstand halten, und das Ganze verläuft sich ziemlich schnell.
5 Solange das Wetter gut ist, geht es auch mir gut, und mein Optimismus ist ungebrochen. Ich bin unglaublich energetisch in letzter Zeit, erledige meine Arbeit schneller, beginne den Tag oft erst einmal mit ein paar Gymnastikübungen. Nach der Arbeit lese ich viel, immer 1 Fachbuch, 1 Roman gleichzeitig. Ich habe wieder angefangen „Don’t Starve“ zu spielen. Und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es im Sommer zu einem Urlaub in Mitteleuropa reicht. Ich würde gerne in die Schweiz.
6 Die Bulgaren machen ein paar Meter weiter ihre eigene Disco auf. Jetzt gerade läuft Balkan-Musik vs. Bob Marley. Die Kakophonie treibt alle Anderen auseinander. Mittendrin steht der Typ, der sonst immer vor dem Bistro Flott sitzt, was er gerade nicht kann. Er steht verloren zwischen den beiden Musikquellen und gießt sich ein Bier hinter die Binde. Er leidet, das sieht man.
7 Ich bin schnell gereizt im Moment. Als neulich auf Quora ein „politisch Inkorrekter“ meinte, mir dumm kommen zu müssen, habe ich ihn in Grund und Boden geschrieben. Mir fehlt der Ausgleich. Tischtennis hat meine Nerven beruhigt, an der Rudermaschine im Studio habe ich mich ausgetobt. Beides fehlt mir gerade. Laufen kann ich nur alle 3-4 Tage und tue das auch, mehr machen meine Gelenke nicht mit.
8 Ich habe ein People Deficit. 4 Wo habe ich als Bilderbuch-Introvertierter ganz gut durchgehalten, mich sogar gefreut, dass hier niemand in der Wohnung stresst und mir auf die Nerven gehen kann. Aber langsam fehlen mir Sozialkontakte. Interessant, solche Eigenschaften über sich selbst mal in Zahlen vorliegen zu haben. Aber introvertiert hin oder her: Ich bin gar nicht mal so gut darin, mich selbst zu beschäftigen.
9 Der Wunsch ist, besser aus der ganzen Sache herauszukommen, als man reingegangen ist. Schade wär’s, wenn die Maßnahmen eines Tages enden würden und man feststellt, dass man den Kram, um den man sich kümmern wollte, immer noch da rumliegen hat, obwohl man doch Zeit ohne Ende hatte. Ich hatte für mich selbst ja die Minimalismus-Endstufe ausgerufen. Und obwohl sie die dafür extremst hilfreiche Spendenbox in der Nähe wegen Corona abgebaut haben, ist jetzt doch eigentlich die allerbeste Zeit dafür. Und doch muss ich kämpfen, dass es weiter geht. Es wäre einfacher, wenn gerade alles normal wäre. Bilde ich mir zumindest ein.
10 Das kann doch alles eigentlich nicht friedlich enden. Die Leute drehen doch durch so ohne Normalität, und dann gehen sie irgendwann aufeinander los. Denke ich mir zumindest. Vielleicht bin es aber auch nur ich, der gerade aggressiv ist.
11 Nee, bitte, macht dass das alles bald vorbei ist. Wir haben noch nicht einmal die Hardcore-Version, und es ist auch so schon kaum auszuhalten.
Eine Antwort auf „Zoned“
Hallo Jürgen, ich lese diesen Bericht grad über ein Jahr später. Ein schönes Zeitzeugnis. Gut, dass man damals nicht wußte, dass es in 12 Monaten noch in etwa genauso aussehen würde.