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Möh

80: Versus

Auf Quora habe ich mir einen Schlagabtausch mit einem „der anderen Seite“ geliefert. Er hält Corona zwar nicht für einen Hoax, die Maßnahmen aber für völlig übertrieben und diejenigen, die sie klaglos mitgetragen haben und Andersdenkende diffamiert haben, für Schäfchen, die auch klaglos mit in eine Diktatur gehen würden. Ich war anderer Meinung und hielt etwa dagegen, ob es ihm mal in den Sinn gekommen wäre, dass die Leute die Maßnahmen aus Vernunftgründen mitgetragen hätten, um eine hochansteckende Krankheit einzudämmen? Und dann sagte er einen Satz, der mir schon zu denken gab:

„Seit Wochen stirbt kaum noch jemand an Corona, trotz steigenden Infektionszahlen.“

Stimmt das? Laut RKI haben wir an diesem Montag 711 gemeldete, neue Corona-Fälle bundesweit (was erheblich weniger wären als noch am Freitag) und 3 neue Todesfälle. Am Freitag noch 1.427 Infektionsmeldungen und 7 Todesfälle. Am Donnerstag davor noch 1.707 neue Fälle und 10 an oder mit Corona Verstorbene. Das alles ist eine Mortalitätsrate von weit unter 1 Prozent. Das liegt deutlich unter den im Schnitt 4 Prozent in Deutschland an oder mit Corona Verstorbenen insgesamt, deren Durchschnittsalter (!) laut RKI-Bericht vom Donnerstag im Übrigen 81 Jahre beträgt. Von den knapp 10.000 Todesfällen in Deutschland insgesamt waren 85 Prozent 70 Jahre oder älter. Dem RKI wurden bislang im Zusammenhang mit Corona 3 Todesfälle unter 20 Jahren gemeldet. Alle davon hatten Vorerkrankungen.

Von einigen Fällen ist bekannt, dass Menschen mit Corona starben, die eine Vorerkrankung wie hohes Cholesterin, Diabetes oder Bluthochdruck hatten.

Bei wieder genesenen Patienten wurde mehrfach von einem dauerhaften Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns berichtet. Es gibt weitere Untersuchungen zu Begleiterscheinungen wie Gedächtnisverlust, gar Wahnvorstellungen, Nesselsucht. Der Merkur hat hier einige zusammengetragen. Die Forschenden berichten aber auch davon, dass die Begleiterscheinungen bei einer Genesung in den meisten Fällen auch wieder verschwünden.

Also zusammengefasst: Mir den gesunkenen Todesfällen hat der Typ Recht. Es dürfte daran liegen, dass heute mehr getestet wird als noch im Frühling und damit auch Menschen mit positiven Testergebnissen in die Statistik eingerechnet sind, die keine oder nur wenige Symptome haben und vorher nicht getestet worden sind.

Ich habe erblich bedingt ein leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko und leicht erhöhtes Cholesterin. Dennoch halte ich mich in der Hinsicht nicht für einen Risikopatienten. Das Schlimmste, was mir also mit geschätzt 1 Prozent Chance blühen würde, wenn ich mir Corona einfinge, wäre ein langer Genesungsprozess und ein dauerhafter Verlust von Geruch- und Geschmackssinn. Keine Frage, das wäre mal richtig scheiße. Aber das könnte mir auch blühen, wenn ich mir eine andere Krankheit einfange.

Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist: Übertreiben wir es nicht wirklich gerade? Das Lahmlegen weiter Teile des Alltags auf unbestimmte Zeit für eine letztendlich gar nicht so gefährliche Krankheit?

Ich finde es nicht in Ordnung, dass Dritte wie der Tischtennisverband einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden wollen, die Gefahr einseitig für nichtig erklären, durch unzureichende Maßnahmen eine erneute Gefahr heraufbeschwören und mich vor die Wahl stellen, mich für meine Gesundheit oder meinen Verein zu entscheiden. Zumal das gegen jede Vernunft spricht. Das hätte ich mir gerne erspart.

Ich muss den ganzen Irrsinn hier noch einmal gesondert erwähnen, so bekloppt ist das: Da gehen die Behörden hin und kontrollieren heute, ob in Bussen und Bahnen, wo sich kaum einer bewegt, jeder ordentlich seine Maske trägt. In Schulen herrscht Maskenpflicht, in Geschäften auch. Und beim Tischtennis in engen Hallen mit vielen Leuten beim Sport steigt die feinste Aerosolparty, und es ist völlig legal, okay, und keinen interessiert’s. Da wirste doch bekloppt.

Aber ist es den ganzen Ärger wert, mich mit dem Verband und Teilen meines Vereins anzulegen, ein Jahr mit dem Spielen auszusetzen aufgrund der sehr geringen Wahrscheinlichkeit, dass ich mir was Schweres einfange?

Ich bin unschlüssig. Glücklich wäre ich mit keiner Entscheidung.

Update: Bin gerade mal durch die Bonner Innenstadt marschiert. Die Leute sitzen wieder fröhlich drinnen in Restaurants, Bars und Kneipen. Eigentlich egal ob Personal oder Gäste, kaum noch einer hat eine Maske (richtig) auf. Joa, ganz ehrlich, dann kann man die Pandemie auch gleich ganz für beendet erklären. Es hat keinen Sinn, in Bussen und Bahnen noch auf Maskenpflicht zu bestehen und überall anders drauf zu scheißen.

Kriegt das erstmal mit dem schlimmsten aller Deppenapostrophe hin, dann können wir auch übers Digitale reden:

Ich weiß ja nicht, ob der Slogan so clever gewählt ist. Wir machen keine 50, aber dafür 60 Prozent? Ja toll…

9 Antworten auf „80: Versus“

Moin Jürgen, es ist ein kompliziertes Gemenge, mir geht’s wir dir, manche Sachen sind übertrieben heftig, manches fahrlässig locker. Vieles (Verbote) passiert mittlerweile scheinbar aus Reflex, andererseits geht es kaum voran mit neuen Lösungen. Viel Aktionismus und Alarmismus einerseits, und klägliche Unterlassung andererseits. Ich muss sagen das mir hierzu die Einstellung von Bodo Ramelow gefällt, hat irgendwie mehr Sinn und ist ausgewogener als das was sonst so vorgeschlagen/gemeint/gesagt wird. Ist aber ein „Roter“, darum oft gleich „abgestempelt“, irgendwie haben wir als Gesellschaft verlernt nicht nur schwarz-weiß zu sehen…

Dass die Todesrate derzeit so niedrig ist, liegt daran dass der Durchschnittsinfizierte derzeit 30 Jahre alt ist.

Und die Zahlen sind immer sonntags und Montags niedrig weil viele Gesundheitsämter am Wochenende keine Zahlen übermitteln.

Ich bin klar auf der Seite der „wir müssen uns vor corona schützen“. Ich habe keine angst davor daran zu sterben, die wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Einen krankenhausreifen Verlauf könnte ich durchaus bekommen, ich hab da schon Risikofaktoren.

Aber vor allem will ich kein Corona haben weil niemand was über Spätfolgen weiß. Zum einen gibt es Leute die über vier Monate nach ihrer Infektion immer noch unter Fatigue leiden und man weiß von anderen Viruserkrankungen dass das auch Jahre bleiben kann. Und in den Jahren machst du nichts, nicht arbeiten, nicht wirklich leben.
Zum zweiten gibt es einige Hinweise darauf dass es Hirnschäden geben kann und zwar irreversibel. Schlaganfälle und so n Scheiss. Oder dass die Organe durch den Entzündungsprozess schneller altern.

Wenn es ein kalkulierbares Risiko wäre, ok, dann wüsste man worauf man sich einlässt und konnte entsprechend handeln.
Aber niemand weiß ob wir nicht in 10 Jahren plötzlich 200.000 Deutsche mit Depression oder Schlaganfall da stehen haben, die alle 2020 Corona hatten.

Kann natürlich auch sein das einfach nix ist, aber ich will da nicht das versuchskaninchen sein

Wir können aber nicht 10 Jahre lang den Laden dicht machen, weil es vielleicht für irgendwen irgendwelche Spätfolgen haben könnte. Klar besteht die Gefahr, aber das wäre wirklich unverhältnismäßig. Das mit den irreversiblen Hirnschäden trat bei Leuten ohne Vorerkrankung auf?

Zumindest bei Leuten mit leichtem Verlauf, ob die Vorerkrankungen hatten weiss ich nicht.

Nein, wir können nicht 10 Jahre das Land lahm legen. Aber wir können zwei Jahre (in der Hoffnung auf einen Impfstoff) die Freiheit der Menschen so einschränken dass die, die kein Corona haben wollen, sich davon schützen können.

D.h. Orte, an die wir alle müssen, ob Supermarkt, ÖPNV oder Arztpraxis müssen immer maximal coronasicher sein.

Niemand muss in ein Restaurant gehen oder ins Fitnessstudio. Bleibt aber die Frage: was ist mit den Menschen, die dort arbeiten. Eine Kellnerin kann sich genauso wenig schützen wie ein Firnesstrainer.

Lehrer und Erzieher müssen genauso geschützt werden wie die Kinder, auch die haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und für all die Orte, wo man nicht freiwillig aus Spaß ist, muss es Schutz vor Ansteckung geben – und wenn das die Freiheiten aller einschränkt, dann ist das eben was wo man mit Leben muss, wir haben halt nun mal Pandemie….

In dem tagesschau-Artikel https://www.tagesschau.de/ausland/corona-folgen-101.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE verweisen sie auf mehrere Studien.
Stark vereinfacht könnte man sagen dass bei einer Studie nur bei 1-3% der Menschen mit leichtem Verlauf Monate später noch Spätfolgen hatten, bei Menschen mit Krankenhausreifem Verlauf waren es einer anderen Studie nach 75%.

Eine italienische Studie hat beide Gruppen untersucht (aber ohne Angabe der Verteilung) und da berichten 44% der Ex-Infizierten zwei Monate danach noch über Beschwerden wie Fatique oder Atemnot.

Und um den Artikel noch zu zitieren:

„Schon früh fiel Mediziner Welte in Hannover übrigens auf, dass es nicht nur die Patienten von der Intensivstation waren, die über Langzeitfolgen klagten, sondern auch jüngere Patienten ohne Vorerkrankungen, bei denen die akute Krankheitsphase mild oder moderat verlief. „Das ist das, was ich jungen Leute immer versuche, klarzumachen: Für die Langzeitfolgen spielt das Alter gar keine Rolle.“ Welte vermutet, dass da „noch eine Welle an Post-Covid-Patienten auf uns zu kommt“. Selbst wenn sich ihr Zustand langsam verbessert, seien viele doch ein halbes Jahr und länger arbeitsunfähig. „Diese Risiken bedenken viele Jüngere nicht, wenn sie glauben, ihnen können das Coronavirus nichts anhaben.““

Das ist das gefärliche an Corona. Die Spätfolgen bekommen wir langsam zu sehen, die werden damit etwas kalkulierbarer, aber die Langzeitfolgen kennen wir noch nicht.

Gut, aber das hast du bei Pfeifferschem Drüsenfieber auch. Deswegen tust du nicht alles dafür, um kein Pfeiffersches Drüsenfieber zu bekommen. (Wobei PD natürlich deutlich weniger ansteckend ist als Covid-19).

Was die Impfstoff-Sache angeht, wenn die jetzt berichten, dass 50% der COVID-Patienten nach einiger Zeit keine Antikörper mehr haben, und sich Leute auch schon mehrfach angesteckt haben, wie soll dann ein Impfstoff funktionieren? Oder ist das bei Grippe auch so? Bin echt verwirrt…

Die Grippe mutiert wohl sehr fleißig weswegen jedes Jahr der Impfstoff auf den Daten von vor x Jahren basiert und man hofft dass er gut trifft.

Antikörper sind wohl nicht alles was immunität angeht, aber es kann wohl durchaus sein dass alles halbe Jahr oder so geimpft werden muss. Gerade wenn es ein Impfstoff ist der nicht in großer Menge easy produzierbar ist, könnte das ein Problem werden

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