Alltagsrassismus – oder doch etwas Anderes? Ich finde das gar nicht immer so leicht zu erkennen, geschweige denn, angemessen darauf zu reagieren.
Vorhin beim Sonntagseinkauf in einer Bonner Bäckerei. Der Mann vor mir in der Schlange hat eine dunkle Hautfarbe. Er geht in das Geschäft, während die Verkäuferin gerade eine weitere Kundin bedient. „Wartest du bitte draußen?“, ruft sie ihm zu. Er kontert: „‚Guten Tag‘, heißt das!“ und bleibt im Lokal.
Die andere Kundin verlässt den Laden, ich bleibe vor dem Eingang stehen, weil mir nach dem Ruf der Verkäuferin nicht klar ist, ob nun 1 oder 2 Kunden gleichzeitig in den Laden dürfen. Klar ist jedenfalls, dass auch vorher schon immer zwei Kunden gleichzeitig im Geschäft waren. Warum wird also ausgerechnet der dunkelhäutige Mann raus geschickt und dazu noch geduzt? Das fragt er die Verkäuferin anschließend auch.
Geht es darum, dass er oder die andere Kundin im Laden keine Maske auf hatten? Das habe ich leider nicht erkannt. Ich höre, wie er und die Verkäuferin sich um etwas mit den Worten „Attest“ streiten. Jetzt auf jeden Fall trägt der Mann eine FFP2-Maske, die Verkäuferin nicht.
Kennen sich die beiden? Dann wäre ein „Du“ in Ordnung gewesen. Wenn nicht, dann natürlich nicht.
Menschen mit dunkler Hautfarbe in Deutschland berichten öfter davon, dass sie im Alltag eher geduzt werden als „Weiße“, etwa wenn sie in eine Polizeikontrolle geraten, was ihnen ohnehin öfter passiert. Das kann ich von da draußen natürlich nicht sagen. Auch von daher fällt es mir schwer, für eine Seite Partei zu ergreifen.
Die beiden streiten sich. Beide reagieren nun bereits entsprechend gereizt auf den anderen. „Wollen Sie mich nicht einfach fragen, was ich möchte!“ – „Sagen Sie doch einfach, was Sie möchten!“ – „Die anderen Kunden haben Sie auch erst gefragt.“ – „Die haben aber auch freundlich gefragt.“
Erstaunlicherweise bringen die beiden die Bestellung noch zu Ende, auch wenn noch ein paar böse Worte in die jeweils andere Richtung fallen. Der Mann fragt nach dem vollen Namen der Verkäuferin, mit der Ankündigung, sich bei ihrem Chef über sie zu beschweren. Ihren Vornamen gebe sie nicht heraus, entgegnet sie. „Sie scheinen meinen ja auch zu kennen“, antwortet der Kunde. „Oder warum haben Sie mich sonst geduzt?“
Der Kunde bezahlt, nimmt seine Ware und verlässt den Laden, verabschiedet sich sogar noch. Ich, als nächstes dran, gehe hinein und treffe auf die etwas konsterniert dreinblickende Verkäuferin.
Und hier reagiere ich unbeholfen, weil ich nicht genau weiß, was ich machen soll. Ich gebe nur meine Bestellung auf und sage ansonsten nichts.
Hinterher ärgere ich mich, die Verkäuferin nicht gefragt zu haben, was da gerade los war. Dann hätte ich wenigstens ihre Sicht der Dinge besser verstanden. Erfahren können, warum sie ihn geduzt hat oder was sonst noch los war. Meistens fällt mir leider erst hinterher etwas Vernünftiges ein.
Ich glaube, wir haben da noch viel Arbeit vor uns…
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Bilder von 2015. Kameras: Nexus 4 und ein Huawei-Smartphone, ich glaube, das P8. Orte: Bonn, Rheinsteig, Valencia:
4 Antworten auf „Wartest du bitte draußen?“
Cool dass der Typ sich zur Wehr gesetzt hat und das nicht einfach toleriert hat. Klar, besser wäre gewesen wenn es gar nicht erst passiert wäre, aber er hat mit seiner Gegenwehr immerhin ein Bewusstsein bei den Anwesenden geschaffen, den Mut haben leider nicht viele
Es fängt langsam an und das ist gut.
Ich vermute leider, dass es eben nicht das erste Mal war, so behandelt zu werden.
Anhand von Jürgens Bericht war zwar nicht genau erkennbar, wie gut er deutsch gesprochen hat, klang aber eher so wie fließend, da er ja auch diskutieren konnte. Somit der wichtigste Schritt der Integration gemacht (wenn nicht sogar hier aufgewachsen…) und somit auch gleich zu behandeln.
Aber es gibt halt immer die schlechten Beispiele, die eine ganze Gruppe in Verruf bringen und dadurch die Vorurteile schüren. Das greifen die Gegenpole natürlich nur allzu gerne auf…
Da zitiere ich doch gerne Grönemeyer: Kinder an die Macht…
Vom Sprachniveau her wird er hier aufgewachsen sein. Aber das wäre eigentlich egal. Ziel muss es sein, niemanden über irgendeinen Kamm zu scheren.