Ehrlich wärt am längsten, heißt es. Schaue ich mir an, wer gerade wegen Veruntreuungen während der Corona-Zeit so alles am Pranger steht, könnte das stimmen. Und dann wiederum hört man nicht umsonst immer: Reiche zahlen keine Steuern. Und nicht zuletzt gilt derjenige als Idiot, der brav seine Steuern abdrückt, um damit Gutes zu tun.
Nun begibt es sich so, dass ich zwar Freiberufler bin, aber auch Pauschalist. Das heißt, meine Haupteinnahme geht auf einen Hauptkunden zurück. Trotz einiger Zusatzprojekte sind die Schwankungen, was da an Einnahmen reinkommt, Jahr für Jahr eigentlich gering.
Umso erfreuter war ich, als meine Steuerberaterin mir für 2022 einiges an Steuern sparte. Nach getätigten Vorauszahlungen und allem bekam ich fast 10.000 Euro wieder. Yeah. Ende 2021 und Anfang 2022 hatte ich mich ja auch selbst zu einer Dienstreise nach Singapur abgestellt, dort für einen Reiseführer recherchiert (den ich immer noch vollenden muss…), und um die Sache wasserdicht zu machen obendrein noch einen Englisch-Sprachkurs dort belegt. Und später im Jahr noch einen Sprachkurs in den Niederlanden obendrauf (Werbekosten en masse). Das Finanzamt stellte zwar Rückfragen, aber dann ging die Sache durch.
Als meine Steuerberaterin mir nun auch für 2023 eine Rückzahlung von 10.000 Euro bilanzierte, wurde ich skeptisch. Denn diesmal war da kein Singapur und keine Niederlande, kein Sprachkurs, keine Einnahmeausfall und eigentlich nichts Außergewöhnliches, was diese Rückzahlungen erklären würde. Ich wollte mit ihr telefonieren, weil ich noch ein paar Rückfragen hatte, zuvorderst, um sie für ihre tolle Arbeit zu loben, zu fragen, wie sie das hinbekommen hat und was ich tun müsste, um wieder ein so steuerarmes Jahr hinzulegen.
Hellhörig wurde ich am Telefon erst, als sie sagte, ich hätte in dem Jahr ja deutlich weniger verdient als sonst und deswegen. Ich sagte: nein, eigentlich nicht. Und ob sie mir das erklären könnte. Ja klar, könne sie. Sie schickte mir ihre Unterlagen dazu, die ich mir übers Wochenende anschauen sollte.
Als ich die Buchungsliste sah, klappte mir die Kinnlade runter. Sie hatte fast jede zweite Rechnung übersehen, es fehlten Einnahmen im (gar nicht so) niedrigen fünfstelligen Bereich. Den Fehler hatte ich nach fünf Minuten entdeckt.
Ich fragte mich, wie das passieren konnte. Ich schicke ihr alle meine Rechnungen quartalsweise rüber, nummeriere sie fortlaufend wie mit „1/2023“, „2/2023“, „3/2023“ usw., mehr als 30 Rechnungen im Jahr sind es selten, eigentlich alle meine Rechnungen sind auch umsatz- und einkommensteuerrelevant. Ihr war dabei nicht aufgefallen, dass sie etliche Rechnungen wie „7/2023“ oder „9/2023“ schlicht übersehen hatte.
Lady, you had one job…
Ich wies sie per Mail darauf hin und blieb dabei möglichst sachlich („… sind offenbar nicht gebucht worden…“). Eine Woche später – jetzt am Montag – dann der Anruf mit einer dicken Entschuldigung. Wegen des Buchungssystems sei da der Fehler passiert, sie haben deswegen noch einmal nachgerechnet und nun bekäme ich für 2023 doch keine 10.000 Euro wieder. (Na sowas…) Es bleibe bei Vorauszahlungen. Aber weil sie nun noch einmal nachgerechnet hätten, sei aufgefallen, dass sie auch 2022 schon Fehler gemacht hätten und deswegen nun eine Nachzahlung von 10.000 Euro für 2022 zu leisten sei.
Geil…
Sie könne verstehen, wenn ich nun verärgert sei und eine andere Sachbearbeiterin wolle. Weil es ja früher schonmal ein wenig Ärger gab (gab es?) könne sie auch verstehen, wenn ich nun eine ganz neue Kanzlei beauftragen wolle.
Wollte ich nicht. Ich bin ja kein Arsch, und Fehler passieren.
Nur doof, wenn so ein Fehler bedeutet, dass am Ende 20.000 Euro weniger auf meinem Konto sind als erhofft…
Doof, dass ich selbst erst den Stein ins Rollen gebracht habe, weil es mich stutzig gemacht hat, statt dass ich Steuer, wie sonst gerne, einfach als Blackbox betrachtet hätte.
Und doof vor allem deswegen, weil die Chance sehr groß war, dass das überhaupt niemals mehr jemandem aufgefallen wäre. Eine Betriebsprüfung hatte ich noch nie, die Steuerberaterin hat es durchgewunken, ihre Chefs haben es durchgewunken und das Finanzamt hat es auch durchgewunken. Nur der Typ, der von Steuern keine Ahnung haben will, hat es nicht durchgewunken und nun eben 20.000 Euro weniger auf dem Konto.
20.000! Was hätte ich mir davon alles kaufen können? Na ja, zum Beispiel den Gebrauchtwagen, den ich mir morgen anschaue… und noch einiges mehr.
Ärgere ich mich jetzt? Erstaunlich wenig. Es war Geld, das mir nicht zustand, ob ich die Gründe dafür nun mag oder nicht, ich hab nach meinem Gewissen gehandelt, ich habe nochmal nachgefragt, weil mir etwas komisch vorkam – gute Journalisten machen sowas. Ich muss nun nicht für die nächsten zehn Jahre um meinen Schlaf bangen, weil doch noch mal irgendwann ein Steuerprüfer draufschauen und den Fehler dann finden könnte. Und wie es dann immer so wäre, hätte ich dann wahrscheinlich gerade keine 20.000 Euro auf der hohen Kante. Jetzt gerade habe ich sie, weil ich mir was gespart habe.
Und ehrlich währt eben doch am längsten, auch wenn es sich im ersten Moment nicht immer so anfühlt. Karma und so. Always remember die Corona-Zeit.
Aber wenn Ehrlichkeit am Ende 20.000 Euro kostet, dann ist das schon ein verfluchter Scheißdreck…
*
Das kann doch nicht euer Ernst sein!

Wie hieß noch mal das Land, in das man so gut auswandern konnte, weil man dort ein Krankenhaus in einer Woche, eine Brücke in zwei Tagen und eine 4-Millionen-Stadt in einem Jahr bauen konnte? Menschenrechte, jaja, aber auch funktionierende Bahntrassen und Schnellzüge mit 500 km/h.