Es wird der erwartet schlappe Tag. Ich schlafe lang, dann haben mich Kerstin und Holger noch zum Frühstück bei sich eingeladen. Wir klönschnacken bis beinahe 12, dann finde ich, dass ich doch mal Richtung Leipzig losrollen sollte. Natürlich nicht, ohne mir vorher die Chemnitzer Innenstadt angeschaut zu haben:
Doch, Chemnitz ist weit hübscher als gedacht!
Die Etappe heute ist eine der einfachsten. Nur 80 km und bloß zwei nennenswerte Steigungen. Aber mein Akku scheint nach den zwei Bergetappen völlig leer.
Noch dazu kämpfe ich mit der Allergie. Meine Nase ist zu und ich fühle mich, als wäre ich von der Bergbahn überfahren worden. In einem kleinen Ort namens Lunzenau gönne ich mir ein Eis, einen Kaffee und werfe mir bei der Gelegenheit auch eine Loratadin ein. Als ich dabei zufällig mein Spiegelbild am Tresen sehe, erschrecke ich fast: Ich sehe aus, als hätte ich Drogen genommen. Liegt das wirklich an den drei Bieren gestern oder bin ich neuerdings auch gegen Ambrosia oder Beifuß allergisch?
Als es danach den Berg rauf geht, schmerzen mir die Knie und Beine…
Es wäre wohl mal Zeit für einen halben Tag Pause. Ich spekuliere auf übermorgen bei meinem Onkel im Pool. 🙂
Es ist dann 1730, als ich auf dem Zeltplatz am Markkleeberger See ankomme, etwa 10 km südlich von Leipzig. Steht da Neuseeland auf dem Schild?! Ach so, Neuseenland. Aber bestimmt fast genauso schön…
Der Platzbetreiber steht direkt draußen vor der Rezeption, als ich komme, und er flachst: „Du willst nicht dass ich mich endlich mal hinsetzen kann, hm?“ Er hat sich gerade ein Bier aufgemacht, erklärt mir kurz die Details und schließt mit den Worten: „Und dann bekomme ich von dir nen Zehner. Normal 12,50, aber…“ – guckt rüber zu seinem Bier – „gibst mir 10 Euro und es passt.“
Mit dem Rad fahre ich nach Leipzig rein, wo ich Manu treffe. Wir essen was, reden über die alten Zeiten (haben zusammen studiert), und ich bekomme sogar noch eine kleine Stadtführung. <3
Aber irgendwie triggert das was in mir. Mein ganzes, neu gewonnenes Selbstbewusstsein verpufft mit einem Mal. Dabei habe ich durchaus schon was erreicht, nicht nur hier auf der Reise, auch in meinem Leben. Fast die Hälfte der Strecke liegt hinter mir. Und auch den Aldi-Äquator habe ich überschritten. Warum mache ich mich immer so klein dabei?
Aldi-Nord-Gebiet erreicht.
Abends zurück auf dem Platz komme ich im Waschraum mit einem anderen Camper ins Gespräch. Anfangs verstehe ich nur die Hälfte, denn er sächselt stark. Später wird es etwas besser. Er erzählt mir von seinem Job in einem Flüchtlingsheim und wie ausgebrannt er sei. So sehr dass er es manchmal sogar an den Heimbewohnern auslasse, was er eigentlich nicht wolle.
Was an dem ganzen System schief laufe? Die Vernünftigen, die eigentlich wirklich Grund hätten, hier zu bleiben, weil sie wegen Hunger, Krieg oder aus politischen Gründen geflüchtet sind, könnten und würden oft schnell wieder abgeschoben. Diejenigen, die er unsanft als Drogenhändler, Vergewaltiger, Einbrecher etc. bezeichnet, dürften bleiben.
„Und wie das?“, frage ich? Wer straffällig wird, bekomme einen Prozess, sagt er, und könne in der Zeit nicht abgeschoben werden. Und solche Prozesse könnten sich ziehen. Wer dann in der Zeit noch einmal straffällig wird, bekommt noch ein Verfahren und nutzt das aus. Ein klarer Fehler im System, und diese Ungerechtigkeit halte er nicht mehr aus. Zumal diejenigen ihre Rechte genau kennen würden.
Neulich hätte sein alter Chef bei ihm geklingelt. Einfach so, wäre gerade in der Gegend gewesen, wollte mal hören, wie es ihm so gehe und ob er nicht zurückkommen wolle in den Handwerker-Job. So kommt der Fachkräftemangel auch ihm zu Gute, auch wenn sich am System dadurch natürlich nichts ändern wird.
Mit etwas Glück wird die Nacht heute nicht so kalt, ziemlich sicher aber laut. Direkt hinter meinem Zelt gehen eine Straße und eine Buslinie lang, um die Ecke noch eine, man hört die Autobahn in ca. 500m Entfernung und, ach ja, Einflugschneise scheint auch noch zu sein. Meine mitgebrachten Ohrstöpsel werden Premiere feiern. Ich murmele mich ein und träume von Neusee(n)land.
Wieder eine bitterkalte Nacht. Das darf doch eigentlich nicht sein. Wir haben Hochsommer! ?
Ich fürchte nur, für 10 Grad Nachttemperatur und leicht darunter ist meine Ausrüstung gar nicht ausgelegt. Der Schlafsack hält keinerlei Kälte ab, das Zelt lässt jeden Windstoß durch und wird schnell auch innen nass, und zu allem Überfluss wird die Luma die Nacht über dünner. Dabei war ich extra mit ihr im Ammersee, um zu prüfen, wo sie Luft verliert. Nichts gefunden.
Nachts um 2 wache ich auf, fröstelnd, befreie mich aus dem Schlafsack, puste noch was Luft in die Luma, ziehe zwei Pullover und lange Hosen übereinander an und versuche es so nochmal. Warm ist es nicht, aber so geht es gerade.
Um 7 klingelt der Wecker, aber es ist noch dunkelgrau auf dem Zeltplatz. Hey, so läuft der Deal nicht! Wenn schon kalte Nacht, dann morgens wenigstens Sonnenstrahlen bitte! Ich warte noch eine Viertelstunde, bis die dann endlich um die Ecke kommen, lasse mich kurz aufwärmen, dann stehe ich auf, mit gemischten Gefühlen.
Denn gestern war schon hart, aber heute kommt sie, die eigentliche Königsetappe. 118 km bergauf und bergab, noch länger, noch hügeliger, noch stärkere Gefälle. 😉
Aber gut, nit lamentieren. Stier bei den Hörnern packen! Ich bestelle mir einen Kaffee an der Rezeption, lasse mein Zelt und meine noch nicht ganz getrocknete Wäsche noch ein wenig in der Sonne baden. Um 0915 geht es los.
Ich plane, extrem sparsam zu fahren heute, den Akku nur einzuschalten, wenn es gar nicht mehr anders geht. Der Vorsatz hält genau bis zum ersten Hügel, den ich ohne Motor nicht hinauf schaffe. Ächz!
Aber kaum habe ich die bayerische „Staatsgrenze“ Richtung Vogtland verlassen, wird die Gegend noch einmal richtig hübsch. Weite Felder, kleine Bäche, Talsperren, hügelige Landschaft. Teils urige Altbauten aus (Vor-)DDR-Zeiten, teils moderne Neubauten.
Besonders gut gefällt mir dann das Erzgebirge. Alter Bergbauern-Charme:
Oder die charmanten Ortsnamen:
Nur die Strecke ist wie erwartet Hardcore. Sehr viel Steigung anfangs, und weil ich nicht genau ausrechnen kann, was da noch kommt, fahre ich die erste Hälfte der Strecke ohne Akku, wo es nur geht. Es gibt in der Tat viele Steigungen. Ähnlich wie gestern, nur heute insgesamt noch mehr Weg. Kaum eine Abfahrt genossen, schon geht’s wieder rauf. Dazu oft eine schlechte Wegstrecke und Gegenwind.
Zum Schluss immerhin habe ich genug Akku übrig, um den Rest entspannt angehen zu lassen. Ein top ausgebauter Fahrradweg, auf dem es zudem noch bergab geht, ist mit vergönnt. Ich kann die letzten 15 km immerhin völlig ausrollen lassen. Aber ich bin auch froh, mein persönliches Alpes d’Huez jetzt hinter mir zu haben.
Versöhnt werde ich mit dem Besuch bei Holger und Kerstin in ihrem kleinen „Freistaat“, einer Insel in Mitten einer alten Bergarbeiter-Siedlung von Chemnitz.
Ich habe Holger vor zwei Jahren bei meiner Radreise durch die Schweiz kennengelernt. Wir hatten wegen des angekündigten Regens beide eine Pension in Hospental genommen und abends etwas zu essen bestellt. Es war mitten im ersten Corona-Sommer, noch vor den ersten Impfungen, und das Essen sollte drinnen serviert werden. Ich tat etwas, was ich selten tue: Ich machte Aufhebens und bat, das Essen draußen auf der Terrasse essen zu dürfen. Ich hätte zu viel Angst vor den Aerosolen, die Covid übertragen könnten. Die Herbergsmutter sah verblüfft aus, aber ließ mich meinen Teller mit nach draußen nehmen, obwohl es dort langsam anfing zu nieseln. Draußen traf ich Holger, der sich nach seiner Etappe gerade ein Bier aufgemacht hatte. Wir verstanden uns auf Anhieb.
Später blieben wir in Kontakt und schrieben uns immer wieder, wenn einer von beiden gerade unterwegs war. Am nächsten Morgen übrigens hatte mir die Herbergsmutter für das Frühstück einen Platz direkt an der geöffneten Eingangstür gedeckt. ? Holger kam dazu und wir tauschten uns über unsere noch geplanten Etappen aus.
Meine Freude war also groß, als ich Holger nun endlich wiedersah und seine Frau Kerstin kennenlernte. Beide haben über die Jahre ein eigenes Fotostudio in Chemnitz aufgebaut. Das tolle Haus und den gemütlichen Garten haben sie sich selbst angelegt und ausgebaut. Neueste Errungenschaft ist ein Pool, derzeit arbeitet Holger daran, eine Gartenhütte zur Sauna umzufunktionieren. Es wirkt in der Tat fast wie ein eigener Freistaat.
Ich werde im Gästezimmer einquartiert, kann mich etwas frisch machen, bevor ich zum Abendessen eingeladen bin. Es gibt einen herrlichen, vegetarischen Currytopf. Beide essen kaum noch Fleisch, sagen sie.
Beim anschließenden Lagerfeuer kommen wir auf Ihre Geschichte zu sprechen. Kerstin und Holger sind beide in Chemnitz aufgewachsen und haben sich noch zu DDR-Zeiten in der Schule kennengelernt. Während Kerstin sich schon früh für die Fotografie begeistert hatte, war Holger in seiner Jugend am Ort ein halber Rockstar, der in zahreichen Bands aktiv war. Nach der Wende, 1992, nahm seine damalige Band Blaue Engel tatsächlich am Vorentscheid für den Eurovision 1992 teil – und wurde Zweiter. Danach zerstritt sich die Band und die Karriere als Popsternchen zerschlug sich. Holger sattelte zusammen mit Kerstin auf die Fotografie um, und daran arbeiten beide bis heute zusammen.
Noch vor Wende-Zeiten hatten sie etwas, was man heute wohl eine On-Off-Beziehung nennen würde, bevor dann irgendwann das erste Kind kam und sie dann ein paar Jahre später geheiratet haben. Als ich darüber staune, lachen sie. Die Sexualmoral in der DDR sei damals liberaler gewesen als in der kirchlich geprägten BRD. Klar hatte man davon schon gehört, aber Kinderkriegen vor der Ehe und On-Off-Beziehungen waren selbst für die damalige Zeit schon geradezu modern.
Mir fallen die Augen zu. Noch dazu, dass die letzten beiden Etappen echt anstrengend waren und die Nächte kurz und eisigkalt, scheine ich kein Bier mehr zu vertragen. Im Sinne von: ich bekomme dann starke Heuschnupfen-Symptome, mir schwillt die Nase zu und die Augen jucken wie verrückt. Nicht gut. Oder?
Immerhin bin ich froh, in Kerstin und Holgers Gästezimmer unterzukommen und dann nach den beiden kalten Nächten mal wieder in einem richtigen Bett schlafen zu können. Morgen geht es dann weiter nach Leipzig. Was schade ist, denn ich wäre wieder einmal gerne noch länger geblieben.
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Das Morgentau-Lied
Text: Jürgen Vielmeier (insp. by Hoffmann von Fallersleben), Melodie: Joseph Haydn (t.b.d.)
Morgentau, o Morgentau, Wer hat dich bloß bestellt?
Das Fußende vom Schlafsack nass, die Zeltwand eingedellt.
Und gehst hinaus, kriegst’s Füße nass, die Beine schwer wie Lot.
Morgentau, o Morgentau, du Trübsal in der Not.
Ach, wartest du nur lang genug, dann brennt die Sonn‘ dich fort.
Doch selten so viel Zeit du hast, musst fort an‘ nächsten Ort.
Morgentau, o Morgentau, triffst jeden groß wie klein.
Ob 50-Euro-Festival-Bau ob Oppland-Kuppel-Zelt.
Morgentau, o Morgentau, bist’s Blödste auf der Welt.
Ich wollte eigentlich mal ausschlafen, werde dann aber doch um 0830 durch die ersten Sonnenstrahlen wach, die auf mein Zelt fallen. Mein Nebencamper aus Hannover will seinen Camper von der Steckdose losmachen, wofür der Betreiber eine Kabeltrommel auf dem Grundstück der Dauercamperin von gestern deponiert hat. Der folgende Dialog ist zum Schießen:
„Guten Morgen, entschuldigen Sie, wenn ich eben auf Ihr Gelände komme…“
„Morche, dös o koi Problem ned.:
„Na ja, ich muss den Stecker für mein Wohnmobil ausstecken.“
„Wos ist do mit däm Roadler?“
Sie meint mich. Sie hatte gesehen, dass ich gestern an der gleichen Kabeltrommel herumfuhrwerkt habe, um meinen E-Bike-Akku und mein Smartphone daran aufzuladen, beides aber inzwischen längst wieder abmontiert.
„Was? Aber der hängt da ja schon gar nicht mehr dran. Ich denke, das geht schon.“
„Se könne des Glump grod doarlorn.“
„Was?“
„Wos?“
„Nein nein, wir können die Trommel hier stehen lassen, hat der Betreiber gesagt.“
Ich höre das alles in meinem Zelt und lache mich dabei heimlich kaputt. Sie meinen beide dasselbe, aber reden völlig aneinander vorbei.
Als ich alles gepackt habe und der Dame zum Abschied zuwinke, ruft sie „Mogst noch a Koffee“ rüber.
Verdammt, die sind wirklich super herzlich, gastfreundlich – und wissen immer genau, was ich gerade brauche! ? Wie machen die das nur?
Und so packe ich zusammen und gehe dann noch einmal zu der herzlichen Dauercamperin auf die Veranda. Uns gelingt ein bisschen Smalltalk. Ihr Mann ist schon arbeiten, des fängt schon um 0600 in der Früh an. Sie geht gleich noch arbeiten, als Reinigungskraft. Sie ist Dortmund-Fan, ihr Mann Bayern-Fan. Da wird’s wohl samstags nie langweilig werden. Der Kaffee ist erstaunlich gut. „Die Bohnen san frisch gemolen“, sagt sie. Vielleicht hinterfragt sie die Dinge doch etwas mehr, als ich gestern noch dachte…
Die Gegend ist wieder einmal schön, aber es geht heute 100 km über Stock und Stein. Immer wieder steil hoch, dann wieder runter, steil hoch, runter und dann gleich noch einmal steil hoch. Es gibt kaum mal eine Atempause, der Motor röllert wie besessen, einige Hügel haben über 10 Prozent Steigung, und selbst auf Stufe 2 komme ich manchmal kaum vorwärts. Traue ich den Schildern, scheine ich im Fichtelgebirge gelandet zu sein. Meine Geografiekenntnisse sind wirklich ausbaufähig. Ich dachte immer, das wäre irgendwo in Hessen gewesen. Und ich segne die Erfindung des Automobils – und des E-Bikes.
Aus dem letzten Loch pfeifend und mit fast leerem Akku komme ich ein paar Kilometer hinter Hof am Zeltplatz an.
Ich will eigentlich nur mein Zelt aufbauen, im Liegestuhl auf den See hinaus schauen, alle Viere von mir strecken und dabei ein gutes Buch lesen. Aber dazu komme ich natürlich nicht. Denn ich lerne Peter und Beate im Waschraum kennen.
Die erste Waschmaschine hat meine dreckigen Klamotten nur geschleudert, na toll. Die zweite Maschine wäscht wirklich, gibt aber danach die Tür nicht mehr frei. Sofort scharen sich die Umstehenden, die gerade beim Spülen sind, zusammen, um mir zu helfen. „Vielleicht mal mit Gewalt“, schlägt einer vor. „Nee, wirf lieber noch mal 50 Cent nach“, sagt eine Frau. „Die war vielleicht noch nicht fertig“. „Okay“, sage ich, „aber ich habe kein 50-Cent-Stück mehr“. „Och, wir haben noch viele davon“, sagt ein Mann, dessen Frau gleich neben ihm steht. „Kommste eben mit. Unser Camper steht gleich da vorne.“
Und das sind Peter aus Beate aus der Nähe von Husum. Wir tauschen ein wenig Kleingeld und reden bei der Gelegenheit ein wenig: „Wenn du auf deiner Tour da oben bist, kannst du bei uns übernachten oder im Garten zelten“, bietet Beate an. Da kennen sie mich seit noch nicht einmal 5 Minuten… „Neinein, das ist zu großzügig, aber ich werde auf jeden Fall klingeln, wenn ich vorbei komme.“
In etwas über einer Woche wäre das wohl der Fall. Wir haben Nummern ausgetauscht, und ich bin sehr, sehr gespannt, ob wir das auch wirklich durchziehen. 🙂
Heute habe ich ein paar Dinge organisiert. Ich habe allen, die ich unterwegs noch besuchen will, ein Ungefähr-Datum genannt und auf dem Klo heute Morgen eine Bahn-Fahrtkarte für kommende Woche Freitag gelöst (ich liebe Mobile Shopping). Dann wäre ich rechtzeitig wieder in Bonn, um die Vereinsmeisterschaften zu gewinnen – oder zumindest daran teilzunehmen. 😉 Auf jeden Fall bin ich jetzt auf einige Termine mehr oder weniger festgelegt.
Die Rückfahrt zu organisieren, ist derweil gar nicht so einfach. Einen Stellplatz fürs Rad habe ich nur ab Hamburg. Von Sylt bis dahin muss ich mich irgendwie mit Regionalexpressen durchschlagen, weil die Bahn nichts Anderes anbietet. Aber wird schon schief gehen. Mit Fahrrädern auf Sylt – was soll man denn damit? Das macht bestimmt keiner außer mir… ?
Als ich gerade in den Waschraum komme, beschwert sich ein kleiner Junge in einem bayerischen Dialekt, den ich kaum verstehe, über die beiden Powerbanks, die jemand neben den Waschbecken in eine Steckdose gesteckt hat. Die seien zu unsicher angebracht oder sowas. Ich stimmt ihm zu – und erwähne da erstmal nicht, dass die eine Powerbank von mir ist. ?
Sie lädt übrigens nicht mehr so richtig gut. Drei Stunden am Strom und erst 2 von 4 Strichen. Das ist zu wenig.
Morgen geht es zu Holger nach Chemnitz, der mich zu sich eingeladen hat, obwohl er morgen eine kleine OP hat. Ich habe ihn vor zwei Jahren auf der Tour durch die Schweiz kennengelernt. Bin nach vier Tagen in Bayern jetzt auch ganz froh, mal wieder ein anderes Bundesland zu sehen. Keine Deutschlandreise ohne den wilden Osten!
Heute war ich einfach nur happy. Bin voll drin im Urlaub und scheine aktuell gar nichts zu verarbeiten zu haben. Da kommt sicher noch was nach. Aber jetzt gehe ich wirklich mal noch eine halbe Stunde was lesen – und mich dabei dick im Schlafsack einmurmeln. Die Nächte hier im Mittelgebirge sind also auch im Hochsommer bitterkalt.
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Notizen
Jeder See, jeder Fluss, jede Talsperre in Bayern, an der ich vorbeikomme, hat zu wenig Wasser. Die Gegend ist staubig, die Ernte auf den Feldern sieht vertrocknet aus. Die, die hier wohnen, machen sich echte Sorgen. Man kann die Auswirkungen des Klimawandels direkt an der Landschaft ablesen.
Talsperre führt sehr wenig Wasser.
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Da besser nicht als Paar hingehen. ☝️?
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Hof schreckt mich auf den ersten Blick völlig ab. Die Stadt hat selbst auf Radwegen kaum abgesenkte Bordsteine, Autos dominieren das Stadtbild. Und noch dazu brennt es, Hubschrauber kreisen, es wirkt surreal:
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Nachtrag: Als ich neulich die Panne hatte, hat Bene aus meiner Tischtennismannschaft etwas dazu gedichtet (!) und mir geschickt, und ich finde: er kann das! Seht selbst:
Die Nacht wird eiskalt. Meine lange Hose und mein Pullover kommen zum ersten Mal zum Einsatz. Mein Nebencamper hat Geschichte studiert und verrät mir einen guten Merksatz zu Heinrich VIII. von England – der mit den vielen Frauen – darüber, welches Schicksal sie ereilt hat:
Das hat er aber nicht an der Uni gelernt. Da hätte der Prof in der 1. Vorlesung gesagt: „Jahreszahlen und Daten brauchen Sie nicht zu lernen. Es ist wichtig, dass Sie die Abläufe und Mechanismen der Geschichte verstehen lernen. ?“
Weise Worte – und was für ein moderner Ansatz!
Dann bei genau diesem Prof in der ersten Klausur die erste Frage: „Wann war… ?“ ??
Gelernt hat er den Spruch bei Harald Schmidt.
Das Pärchen fand ich ohnehin sehr interessant. Sehr hipstermäßig gekleidet und im Auftreten. Im ersten Moment kam von ihnen nur ein flüchtiger, rausgemurmelter Gruß und ansonsten keinerlei Anstalten, mit mir in Kontakt zu treten. Ist ja okay, keiner muss und oft bin ich auch so drauf. Aber es führte auch bei mir dazu, dass ich keinen Kontakt aufnahm, einsam neben ihnen mein Zelt aufschlug, mir über sie Gedanken machte und sie im Geiste schon mit anderen oberflächlichen Hipstern in einem Topf warf.
Als ich dann gut gelaunt vom Duschen wiederkam, weil ich praktisch mit jedem auf dem Weg von und dahin eine Viertelstunde gesmalltalkt hatte, erinnerte ich mich an mein eigenes, kürzlich aufgestelltes Motto: „Weniger annehmen, mehr reden“, fasste mir ein Herz und sprach sie einfach mit dem Standard-Opener an, einem freundlichen: „Und, wo kommt ihr her?“
Sie kommen aus Nürnberg und wirken auf mich vielleicht ein klein wenig verschroben, entpuppten sich aber als sehr nette und vor allem entgegen des ersten Eindrucks erstaunlich gesprächige Leute.
Ja, doch, erstmal ansprechen, dann auch noch eine zweite oder sogar dritte Chance geben, und wenn derjenige dann in eine Schublade gesteckt werden will, ist es dafür dann noch früh genug.
Morgens herrscht ein wenig Katerstimmung auf dem Platz, wohl aufgrund der kalten Nacht. Man grüßt sich noch flüchtig und wünscht sich eine gute Reise, aber es ist halt Morgen und nicht mehr ganz so fröhlich wie tags davor, einem Samstagabend. Hab vielleicht doch keine ewigen Freundschaften dort geschlossen, aber: muss ja ebenfalls nicht.
Mein Wecker klingelt um 8, aber ich komme schon wieder kaum raus. Ich muss die Tage wirklich mal irgendwo richtig ausschlafen…
Ich meditiere noch schnell. Und kaum habe ich meine Radlerhose angezogen und das Ventil der Luftmatratze geöffnet, bin ich hellwach.
Ich schaue raus: von den anderen Radreisenden sind auch alle noch da und packen. Die haben sich also auch nicht früher aus dem Schlafsack geschält. Einer nach dem anderen geht und verabschiedet sich. Ich packe alles zusammen, und heute sitzt jeder Griff. Um 0915 rolle ich von dannen.
Erster Halt: Regensburg. Es wird mein erstes echtes Sightseeing. Und, jasses, what a hell of a town!
Der Nachmittag auf dem Rad wird entspannt; ich komme gut voran. Da sehe ich auf einmal in der Ferne einen Typen in kompletter Heavy-Metal-Uniform, der sein E-Bike schiebt. Aber dabei irgendwie komisch läuft. Im ersten Moment, als suche er was, dann als wolle er was auf einem Schild lesen, dann geht er wieder erstaunlich mittig auf der Straße. Braucht der Hilfe?
Als ich näher komme, merke ich: nee, dem geht’s gut. Der ist nur einfach lattenstramm – um drei am Nachmittag.
Das alles wäre auch gar nicht besonders berichtenswert, wenn nicht zwei Kurven später ein älterer Herr vor mir fahren würde, der auf seinem E-Bike mäandert und sich erst zusammenreißt, als ich schon direkt neben ihm fahre. Also, auf der Party wäre ich auch gerne gewesen! Und man muss hier anscheinend auch als Radfahrer auf den Mit- und Gegenverkehr aufpassen.
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Gegen 1600 sehe ich in der Ferne einen Ort, der aussieht, als hätte er auch als Kulisse in „Game of Thrones“ dienen können. Alte Türme, Gemäuer auf einem Berg, schick und gut erhalten. Ich verlasse meine geplante Route, radel den Berg rauf, schaue mir das genauer an und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus:
Vor allem, weil hier keiner ist! Ein paar andere Touris sind mit dem Auto raufgefahren, eine Radfahrer-Gruppe hämmert gegen die Tür des einzigen Biergartens, der genauso geschlossen hat wie die beiden Cafés am Ort – an einem Sonntag in der Hauptsaison?! Nichts und gar nichts hat geöffnet. 50 Kilometer weiter südlich in Regensburg konnte man bei ähnlicher Kulisse keinen Schritt tun, ohne auf einen amerikanischen Touristen zu treten. Und hier ist: keiner.
Es gibt sie also tatsächlich noch, diese unberührten Geheimtipps, die vom Massentourisssmus noch nicht entdeckt worden sind, obwohl sie Weltkulturerbe-Potenzial haben. Und wenn ich jetzt verrate, wie der Ort heißt, ändere ich das, richtig? Also: lieber tun oder lassen? Wollt ihr die Vor- und Nachteile des Massentourismus erleben, liebe Stadt X?
Als ich mich meinem geplanten Zielort nähere (Weiden in der Oberpfalz) und mich nach Campingplätzen umsehe, merke ich: oha! Es gibt genau einen im Umkreis von 40 km und der gehört zu einem Bauernhof, der auf einem Berg liegt. Wild campen? Wollte ich eh noch, aber dann mache ich den Fehler, das auf Google zu checken und finde heraus: in Bayern allerallerstrengstens verboten.
Und so fasse ich einen Entschluss: ich fahre da jetzt hin, und wenn die mich abweisen sollten, fahre ich einfach die ganze Nacht hindurch, denn ich bin irgendwie noch fit.
Die Auffahrt wird dann der erwartete Krampf. So steil ging es die ganze Etappe nicht bergauf. Aber natürlich weisen sie mich nicht ab, nehmen mich sogar freundlich auf, und neben etlichen Dauercampern gibt es auch nur zwei andere Durchreisende. Ein Pärchen aus Hannover und ein älterer Mann mit Württemberger Kennzeichen, der das Schild „Opamobil“ hinter die Windschutzscheibe seines Campers gesteckt hat. Die Zeltwiese ist frei.
Als ich absattele, ruft mir der Dauercamper gleich nebenan zu: „Mogst a Bier?“ Ich überlege kurz, ich muss ja noch aufbauen, duschen und so – und sage dann: ja. Warum eigentlich nicht.
Das erste Bier bekomme ich „to go“ und trinke es, während ich mein Zelt aufbaue. Als ich es zurückbringe, bieten er mir ein zweites an und bitte mich auf seine Veranda hoch.
Und das wird interessant. Denn mit Dauerncampern aus dem Bayerischen hatte ich noch nie zu tun. Sie kommen aus der Gegend, arbeiten sogar in der Nähe, sind im Sommer aber doch meistens hier oben. Sie sprechen nur Bayerisch und ein wirkliches Gesprächsthema kriegen wir nicht zu Stande.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe das Gefühl, dass die Frau mich nicht versteht. Ich sie mit ihrem breiten Dialekt aber auch nicht. Sie erzählt mir vom Höhner-Konzert gestern Abend im Fernsehen, und dass der Frontmann (Henning Krautmacher) aufhöre. Und als ich erwähne, ich käme aus Bonn, ist es mir, als wüsste sie gar nicht, wo das liegt. War ja nur 40 Jahre lang die Hauptstadt gewesen. Vielleicht ist man hier auch einfach ein wenig für sich.
Während wir da sitzen, läuft ein Baseball-Match im TV im Wohnzimmer nebenan. Als ich das erwähne, geht sie schnell rein und schaltet auf den Tatort um – obwohl eh keiner hinguckt. Irgendwann kommt auch noch der Besitzer hinzu und trinkt ein Bier mit. Es geht um Kleinigkeiten. Wir reden ein wenig über den Beruf und über die Honigernte, die heute dran war.
Aber eins lässt sich nicht leugnen: Sie unglaublich gastfreundlich und beziehen mich ins Gespräch ein, so gut es eben geht. Und so fühle ich mich da irgendwie wohl. Verabschiede mich dann aber doch, muss ja auch noch duschen.
Ein Teil von mir wird das Gefühl nicht los, dass das eher einfältige Menschen sein könnten. Aber da sollte ich mir als jemand, der auch nicht die hellste Kerze auf dem Leuchter ist, eigentlich kein Urteil anmaßen. Auch wenn mir das manchmal schwer fällt.
Als ich vor dem Schlafengehen noch einmal aufs Klo gehe und mir danach mit meinem Duschgel die Hände waschen will (es gibt keine Seife), merke ich: das ist gar nicht in meiner Kulturtasche. Ich hatte es vorhin in der Dusche stehen lassen. Wenigstens hat es keiner geklaut. Als ich zurück ins Zelt gehe, baue ich meinen Campingstuhl schon einmal zusammen; den brauche ich morgens nicht mehr. Das Gestänge fällt auf einen Schuh aus meinem zweiten Paar (warum hatte ich das überhaupt ausgepackt?), prallt ab und bohrt fast ein Loch in meine Luftmatratze. Ich öffne meine Tasche, um das Ladekabel für meine Powerbank darin unterzubringen. Mache die Tasche zu, stelle fest, dass ich den Ladestecker draußen vergessen habe.
Wie gesagt: auch nicht die hellste Kerze auf dem Leuchter…
Vielleicht lasse ich das allgemein lieber mit den Urteilen über Andere…
Bin ich wenigstens gastfreundlich? Herzlich?
Ich fürchte, bei dem Wettbewerb gewinnen meine dauercampenden Zeltplatznachbarn.
Damn!
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Notizen
Camping 1&1:
Der alte Bundeswehr-Biwak-Trick, im Schlafsack weniger anzuziehen (nur Unterwäsche), damit es dadurch wärmer wird, wirkt in meinem Schlafsack so gar nicht. Ich frier mir den Honk und ziehe jetzt lange Klamotten an.
Das Smartphone ist die ideale Jukebox im Zelt: laut genug für dich selbst, zu leise als dass es sonst jemand hören würde.
Ich habe das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Und das ist gut. Wo ich bin, welcher Tag ist und wohin ich eigentlich als nächstes fahre. Wenn heute Etappe 7 ist, dann bin ich also schon 1 Woche unterwegs und heute muss Samstag sein. Aber irgendwie ist das alles auch egal. 🙂
Der Tag beginnt wenig heroisch. Caro hatte mich gefragt, wann ich frühstücken wolle und ich hatte „8 Uhr“ gesagt. Um 0830 komme ich zu mir und hätte auch problemlos noch drei Stunden länger schlafen können. Caro steht tatsächlich schon mit allem bereit. Ihre beiden Jungs sind ähnlich unfit wie ich und kommen nach und nach an den Tisch geschlurft.
Es hat die ganze Nacht geregnet, ist morgens nur noch halb so warm wie am Vortag, und ich bummele vor mich hin. Mir fehlt die Motivation loszufahren. Ich weiß auch noch immer nicht recht, wohin ich eigentlich fahren soll. Weiter nach Norden, klar. Aber wohin genau?
Caro und ich analysieren zusammen die Karte und finden einen Weg mit einer nicht ganz so hohen Steigung durch den Thüringer Wald. Es gibt sogar einen offiziellen Radweg von Oberbayern bis an die Ostsee. Der ist insgesamt viel zu lang. Aber einen Teil davon könnte ich nehmen.
Wir lassen uns Zeit mit dem Frühstücken, quatschen danach noch ein wenig auf der Terrasse über die alten Zeiten. Direkt gegenüber ist ein Drogerie-Markt, bei dem ich mir zwei Lappen, neue Sonnencreme und zwei feste Mülltüten kaufe, in die ich bei weiterem Regen meine Reisetasche stecken könnte. Weiß ja noch niemand, wie das hier weitergeht mit dem Wetter.
Erst um kurz vor eins fahre ich schließlich los. Heute werde ich nicht weit kommen, das weiß ich schon. Und das ist okay. Erstmal einfach nur ca. 100 km weiter nach Norden und dann irgendwo auf einem Zeltplatz unterkommen. Eine entspannte Tour auf dem Rad. Als ich losfahre, fühle ich mich direkt pudelwohl. Ich bin glücklich, wenn ich fahren kann.
Und Niederbayern gefällt mir irgendwie. Es ist sehr löndlich, die Leute grüßen freundlich, in einem kleinen Ort ist ein Volksfest mit Biergarten und traditioneller Band. Es klingt fast zu klischeehaft. Ich komme durch das Hopfenanbaugebiet Hallertau, und langsam wird es wieder etwas hügeliger.
Ich lasse mir extrem viel Zeit, fahre meistens mit Akku, mache viele Pausen, Fotos, kaufe mir Brötchen und Kekse in Supermärkten und tanke Energie. Am Nachmittag kommt plötzlich doch noch die Sonne raus und es werden noch fast 30 Grad. Vor einer alten Kirche esse ich zu Abend.
Und kaum später als sonst komme ich nach 95 gefahrenen km an einem Campingplatz nahe der Donau vorbei, obwohl ich mir eigentlich einen anderen ausgeguckt habe. Mein Kopf sagt: „Weiterfahren! Die 100 voll machen!“ Mein Bauch sagt: „Steig hier ab!“
Ich höre zur Abwechslung mal auf den Bauch, erklimme den letzten Hügel vor dem Campingplatz, und so treffe ich sie dann…
Die Besitzerin, die mir zu einer Schiffstour zum Kloster Weltenburg rät. Aber dann auch wieder abrät, weil die Boote gerade wegen Niedrigwasser gar nicht fahren würden.
Der junge Vater einer Familie vom Chiemsee, die mit Rädern unterwegs ist, mit einem Aufblassack (ja, sowas gibt es!) das Aufpusten meiner Luftmatratze beschleunigen will (es dauert länger) und sich dann eine Viertelstunde Zeit nimmt, um in aller Ruhe mit mir über Belangloses zu reden.
Den Mann aus dem Schwarzwald, der mit seinem Sohn auf dem Rad unterwegs ist und der noch zwei Wochen lang immer weiter entlang der Donau gen Osten fahren will.
Das Ehepaar, das hier in Kelheim Urlaub macht, und mir zum Besuch des Hundertwasser-Dorfs, zur Jahrhunderthalle und zu diversen Brauereien rät. (Hach ja, hätte ich nur mehr Zeit…) Mit der Frau unterhalte ich mich eine Viertelstunde lang im Waschraum (der hier irgendwie unisex ist) über Ernährung, Toten-Hosen-Konzerte und Radreisen.
Das Pärchen aus Nürnberg gleich neben meinem Zelt, das einen eigenen Kanuverleih hat und hier zum Ausspannen hinkommt.
Sie alle haben Zeit und Lust zum Reden. Und ich irgendwie auch. ? Unterwegs hatte ich mir überlegt, dass ich heute Abend eigentlich am liebsten mit einem guten Buch im Liegestuhl sitzen würde (woraus aufgrund der vielen guten Gespräche nichts wird). Zwei klare Indizien dafür, dass ich endgültig im Urlaub angekommen bin.
Ich glaube, ich kann das jetzt, ich kann mit Leuten reden. Zumindest wenn die das auch wollen und ich selber auch Lust dazu habe. Negativbeispiel war vielleicht der etwa gleichaltrige Typ, der mir vorgestern im Biergarten unterhalb von Neuschwanstein gegenüber saß und der auch alleine war. In der Zeit, in der ich sanft an meiner Hax’n g’zupferlt und vier, fünf Bissen genommen hatte, hatte er schon seinen ganzen Schweinebraten weginhaliert. Und irgendwie wollte ich mich gar nicht mit dem unterhalten…
Angesprochen habe ich ihn dann trotzdem, und wir haben bisschen gesmalltalkt. Ich hab ihn dann sogar noch gefragt, ob er auf ein Bier rüberkommen mag, war dann aber tatsächlich eher froh, als er verneinte. Er hätte noch eine weite Fahrt vor sich.
Aber sonst sind die mir sympathischen Menschen bisher eindeutig in der Überzahl. Im Alltag rede ich auch selten mit anderen Menschen, aber ich glaube, das ist schlicht Trägheit. Eigentlich kann ich das, mag ich das, hätte ich das am liebsten täglich.
Ich habe das all die Jahre nicht gewollt und mich in mein stilles Kämmerlein zurückgezogen. Aber mir damit auch all die schönen Momente entgehen lassen, die man mit anderen Menschen erleben kann.
Mal sehen, was sich da in Zukunft machen lässt.
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Notizen
Camping-1&1:
Nichts trocknet Dinge besser als Fahrtwind. Nach 2 Stunden vorne auf dem Lenker ist jedes Kleidungsstück trocken. Vorausgesetzt, natürlich, es regnet in der Zeit nicht…
Gegen Mücken auf einem Zeltplatz, der gleichzeitig Bauernhof und nahe eines Flusses ist, helfen nicht mal zwei Lagen Kleidung und zwei Runden Autan. Aua!
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Hab mal geschaut, wie weit mein Zeltplatznachbar noch fahren müsste, um das Ende der Donau zu erreichen. Dabei festgestellt: Nur die Karpaten trennen die Walachai von Transsilvanien. Wusstet ihr auch noch nicht, oder? 🙂
Es ist wieder einmal früh morgens, als ich aufwache, ohne schon halbwegs ausgeschlafen zu sein. Der ganze Platz schläft noch. Und plötzlich fällt mir ein, dass es doch eigentlich toll wäre, noch kurz in den See nebenan zu springen, an dem ich gestern noch kurz spazieren war. Nicht immer nur schauen, auch mal fühlen. Der Forggensee ruht noch sanft in einem niedrigen Bett, der Strand ist ausgelegt mit spitzen Steinen, doch das Wasser ist warm.
Ich bin nicht all zu lange drin, mir lieber, ich komme früh los. Ich treffe meinen Nebenzelter an der Rezeption, der mich fragt, ob das zufällig meine Trinkflasche sei, die er da im Waschraum erspäht habe. Tatsächlich. Erst aufgefüllt und dann dort vergessen. Früh morgens ist selten meine Sternstunde. Tausend Dank, lieber Nebenzelter!
Aus dem diesem Zeltplatz muss man auschecken. Während ich dafür an der Rezeption stehe, kommt eine Camperin dazu, die einen leichten Akzent hat, um sich zu beschweren. Aus ihrer Vorratstruhe im Zelt habe jemand etwas zu essen entwendet. „Das war der Fuchs“, sagen die beiden Rezeptionistinnen gleichzeitig. Ach wirklich? Jaja, der sei erfinderisch und komme auch in Zelte und wühle darin herum. „Ein Fuchs, der den Reißverschluss vom Zelt öffnet, hereinkommt und dann den Reißverschluss der Vorratstruhe öffnet. Das muss ein sehr intelligentes Tier sein“, argumentiert die Frau. Achselzucken bei den Rezeptionistinnen. Die Frau dreht sich um, schüttelt den Kopf und geht.
Ich erwarte heute eine Königsetappe. Und auch wenn es am Ende keine wird: es wird heiß an diesem Tag mit Temperaturen weit über 30 Grad.
Von Füssen nach München ist es überraschend einfach zu fahren, mit mehr Gefälle als Steigungen, auch wenn die App etwas anderes suggeriert hat.
Was aber nicht nur Vorteile hat. Am Ende einer längeren Abfahrt höre ich plötzlich metallische Geräusche am Hinterrad. Es krächzt und klirrt. Da stimmt was absolut nicht. Ich halte sofort an.
Um den Fehler zu finden, brauche ich einen kleinen Moment: Die Klammer um meine Bremsbeläge hat sich gelöst und ein Pin davon ragt direkt jetzt in die Scheibenbremse rein. Dabei hat er sich außerdem so verzogen, dass ich ihn mit einem Inbus nur noch zurückbiegen kann. Aber den Bremsbelag kann die Klammer nicht mehr halten. So ein Mist, die hatte ich neulich erst ausgetauscht.
Aber ich habe riesiges Glück, ich befinde mich gerade in einer kleinen Stadt, und in der gibt es eine Radwerkstatt, die in einer halben Stunde öffnet. Mit Hilfe von Google Maps fahre ich direkt dorthin.
Als der Mechaniker erscheint und den Laden aufschließt, bin ich als erster dran. Er kommt mit raus, wirft einen Blick auf die Bremsbeläge und dann lacht er: „Ja, das stimmt, die sollten neu, aber da hat sowieso einer die falschen eingebaut, haha. Wer war das denn?“ Äh ja, wer war das bloß… ?
Er verkauft mir zwei Paar neue für einen – wie ich finde – stolzen Preis von 40 Euro. Aber ich bin froh über die Hilfe und zahle, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Und dann frage ich ihn, ob er mir kurz eine Kneifzange ausleihen könnte.
Er zögert. Was, warum das denn? Na ja, damit ich die Beläge gleich auswechseln kann. Er zögert weiter: „Du willst die Beläge gleich hier auswechseln?“ – „Ja klar, warum nicht.“ Das scheint er für keine gute Idee zu halten. Ist es vermutlich auch nicht. Aber ich sehe keine Alternative. „Eigentlich leihe ich niemals Werkzeug aus“, sagt er. „Aber gut.“ Am Ende gibt er mit die Kneifzange, mit der ich die Spinde der Bremshalterungen öffnen will, und verspreche hoch und heilig, ihm sie sofort wiederzugeben.
Als ich mit der Zange draußen bin, merke ich: Das ist alles gar nicht so einfach, zumal in der Sonne, die bereits jetzt am Vormittag gnadenlos herunterbremmt. Und ohne die Möglichkeit, die Bremse irgendwie vorher sauber zu machen, das Fahrrad irgendwo abzustellen und mich in Ruhe dazu hinzusetzen. Ich werfe noch einmal einen Blick auf den Belag: Die Klammer ist zwar verbogen, aber den Pin habe ich aus der Scheibe herausgedreht, der Bremsbelag scheint trotzdem zu halten. Es schleift auch nichts.
Und so vertraue ich auf mein Glück, schiebe den Spint wieder rein, packe die gerade gekauften Bremsbeläge in meine Reisetasche und lasse die alten Beläge drin. Mal sehen, wie lange die jetzt noch halten. Dem Mechaniker gebe ich noch schnell seine Zange zurück, dann fahre ich weiter.
Die Strecke ist arm an Sehenswertem. Das Allgäu hat mich umgehauen. Oberbayern ist – zumindest auf meiner Stecke – im Vergleich dazu fad:
Bis auf die Seen natürlich. Gegen Mittag erreiche ich bei großer Hitze den Ammersee. Mir ist eigentlich danach, an einer schönen Uferpromenade im Schatten zu dinieren und auf die Weiten des Meeres (er ist echt groß) heraus zu schauen, aber viel mehr noch: einfach reinzuspringen. Und das tue ich dann einfach spontan, als ich vom Radweg aus einen kleinen Kieselstrand erspähe. Nachdem ich mein Zelt noch einmal aufbaue, damit es vom Morgentau trocknen kann, schnappe ich mir die Luma und paddele aufs Wasser raus.
Zum Trocknen lasse ich mich auf meinen Campingstuhl fallen. Zu essen gibt es eine Oliven-Nuss-Mischung. Nicht das gehaltvollste Essen, aber viel näher dran am Naturalismus, der mir eigentlich viel besser gefällt.
Während Zelt und Luma trocknen und ich kurz im Schatten entspanne, kommt ein niedlicher Hund auf mich zu gesprintet. Er erinnert mich an Lucy (Nickys und Juans leider inzwischen verstorbenes Schaf im Wolfspelz). Er stupst mich ungefragt erst von links, dann von rechts an – und seine Besitzer sind außer sich: „Whisky, kommt da weg, aber echt jetzt mal!“. Nur der Hund und ich sind erstaunlich gelassen: „Schätze, er mag mich halt“, sage ich zum Besitzer, der sich vielmals entschuldigt. Immerhin das, andere Hundebesitzer kriegen es ja gar nicht in ihren Schädel, dass manch einer nicht von ihren Hunden angesprungen werden will.
Bevor es Lucy gab, habe ich Hunde gehasst und als dumme, störende und irgendwie überflüssige Hindernisse angesehen. Dann hat dieser unverstellte niedliche Wolfshund irgend einen Schalter in mir gedrückt. Und mittlerweile freue ich mich zumindest über Begegnungen mit Hunden, die nicht aus dem Mund raustriefen. Es gibt sehr viele, sehr sehr hässliche Kläffer, die in meinen Augen wirklich die Welt nicht braucht (jaja, neinein, sicher sicher, jedes Lebewesen ist ein Lebewesen usw. Aber könnte man nicht einfach nur niedliche Hunde züchten?). Aber mittlerweile sehe ich Hunde mit anderen Augen.
Es ist so heiß an diesem Tag, dass ich mir wenig später am Schiffsanleger am Ammersee noch ein Eis gönne. Als ich direkt dahinter die S-Bahn-Station Herrsching erspähe, weiß ich immerhin: es kann nicht mehr so furchtbar weit sein bis München. Ich muss allerdings noch bis Unterschleißheim im Norden, die Sonne brennt und vor allem im Asphaltdschungel wird es später besonders heiß. Alle paar hundert Meter der Stopp vor einer Ampel ohne Schatten. Wieder los, an anderen Radfahrern vorbei, wieder eine Ampel, wieder kein Schatten.
Als ich am späten Nachmittag endlich am Ziel bin, werde ich sehr herzlich begrüßt von Caro und ihrem jüngsten Sohn. Caro kenne ich noch aus Bonner Zeiten; nach dem Studium ist sie zurück nach Unterschleißheim gezogen und hat eine Familie gegründet. Ich habe Zeit für eine Dusche und darf eine Maschien anschmeißen. Danach gehen wir an den Unterschleißheimer See, dessen Uferlinie deutlich gesunken ist. Und das schon seit Jahren, sagt Caro. Ironischerweise kündigt sich im gleichen Moment ein Unwetter an. Es wird die ganze Nacht hindurch gewittern.
Dabei weiß ich noch gar nicht genau, wohin es morgen weiter gehen soll. Regensburg wäre in einem Tag machbar, Nürnberg für einen Tag zu weit. Die eigentliche Königsetappe kommt aber ohnehin erst dann: denn da scheint noch ein Mittelgebirge zu sein, von dessen Existenz ich nichts wusste und das sich auf dem Weg nach Norden nur schwer umfahren lässt. Wo kommt das jetzt plötzlich her! ? Das ist dann wohl der Nachteil der „Strategie“, einfach mal ins Blaue hinein zu fahren.
Caros zwei Jungs sind 7 und 11 und beide gut geraten. Und mit beiden scheine ich mich recht gut zu verstehen. Ich glaube, denke, behaupte, ich könnte das jetzt auch, wenn ich wollte oder müsste. Also so ein Kind großziehen… ?
Bin nebenbei sehr dankbar, dass ich heute bei Caro in einem Haus übernachten und etwas Schlaf nachholen darf.
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Notizen
Nicht alle mir entgegen kommende Radreise-Pärchen, aber sehr, sehr viele:
Ich ersteige der Luma mit einem ganz anderen Gefühl als zuletzt. Bin voller Energie, gut drauf und weiß instinktiv: heute wird alles klappen. Zumindest irgendwie.
Noch irgendwo zwischen Toilette, Rezeption (wo ich ohne Schlange einen Morgenkaffee bekomme) und meinem Zelt buche ich ein Ticket für Neuschwanstein. Es gibt noch eine Tour um 1600 Uhr. Zack! Wird schon klappen.
Aber dafür muss ich binnen 1 Stunde in Göppingen sein, unbedingt den RE um 0929 erwischen und mich auf dem Rad sputen. Also los.
In Rekordzeit packe ich alles zusammen und sitze um 0840 auf dem Rad. Google Maps sagt: 45 Minuten bis Göppingen, Komoot sagt: 1 Stunde. Oha, das wird knapp!
Zumal es steil bergauf geht. Und ich meinen E-Bike-Akku nicht aufladen konnte, also sparsam sein muss. Aber hier habe ich Glück im Unglück: Die Bahn-App zeigt eine Verspätung von 10 Minuten an. Und so komme ich verschwitzt aber überpünktlich in Göppingen an. Und kann sogar noch zwei Leute am Fahrstuhl vorlassen, darunter eine ältere Frau auf einem Rollator. Und genau mit der beginne ich ein Gespräch am Fahrstuhl, das wir später unten auf dem Gleis völlig unverkrampft für eine halbe Stunde fortsetzen. Weil die Bahn immer mehr Verspätung aufnimmt. Für mich ist es Urlaub, für sie eine ungewohnte Abwechslung. Meinen Anschlusszug werde ich verpassen, aber das macht mir nicht all zu viel.
Ich zücke das Handy und reserviere noch eine zweite Neuschwanstein-Führung um 1655 nach – für Presseleute, was deutlich billiger ist. Jan hat mir dazu geraten. Wenn das mal gut geht!
Als meine Bahn dann eine halbe Stunde später endlich kommt, ruft der Schaffner gleich hinaus: „Keine Fahrräder mehr, keine Fahrräder“. Na prima… Doch Glück im Unglück: direkt gegenüber steht eine RB, die auch nach Ulm fährt. Ich mache auf dem Absatz kehrt und schiebe mein Fahrrad in Richtung des erstbesten Abteils. Die Schaffnerin, die dort steht, hält mir sogar die Tür auf.
In Ulm fährt der Anschlusstug Richtung Kempten vom gleichen Gleis. Der Zug steht 1/2 Stunde vor Abfahrt da, ist noch relativ leer, aber im Fahrradabteil stehen schon zwei Fahrräder. Ich lehne meins kurzerhand an eins der beiden anderen. Ob die Besitzer das wohl okay finden? Die Frau, der das Rad gehört, kommt im gleichen Moment aus dem WC nebenan und nickt mir zu: „Machen Sie nur“.
Ich sichere mir einen Platz mit guter Sicht auf mein Fahrrad, freue mich dass ich sogar eine Steckdose am Vierersitz habe und gehe noch einmal zurück zu meinem Rad, um in der Tasche nach der Powerbank zu fischen. Im gleichen Moment setzt sich eine ältere Dame auf den Platz gegenüber und legt ihr Smartphone auf den Minitisch. Als ich wiederkomme, kramt sie in ihrer Tasche nach etwas. Sie wird doch nicht… doch sie wird. Die alte Frau schlägt mich im Schlussspurt um die einzige Steckdose. ?
Aber auch hier wieder Glück im Unglück. Ich komme im Laufe der Fahrt auch mit ihr ins Gespräch (das dürfte mir auch gerne mal bei jüngeren Frauen passieren…) und sie bietet mir an, dass wir uns die Steckdose gerne teilen könnten. Die erste Hälfte der Fahrt sie, die zweite Hälfte ich – worauf ich gerne zurück komme.
Erst gegen 1230 Uhr erreichen wir Kempten. Ich gebe einem Musiker, der vor dem Eingang sitzt und sich in einem kurzen Gespräch als Aussteiger vorstellt und herzlich bedankt, mein letztes Kleingeld und fahre los. Verfahre mich, hetze durch diese gar nicht einmal so hübsche Stadt und werde danach erst einmal kilometerweit bergauf geschickt. Komoot spricht von 4 Stunden, Google Maps immerhin noch von 3. Wie soll das bloß klappen bis 1600 Uhr?
Die Steigungen sind teils immens. Ich komme selbst mit Motor kaum voran. Wenn das jetzt bis Füssen so weiter geht, haben wir 1 Problem!
Tut es aber zum Glück nicht. Es wird nach und nach etwas flacher. Und als ich einen Wegweiser sehe, auf dem „Füssen 23 km“ steht, aktiviere ich die letzten Reserven. Wegweiser können Lahme zum Gehen bringen.
Als eine Baustelle meine Abfahrt versperrt und ich kurz halte, kommt ein kleiner Junge auf mich zu. Er trägt ein blau-rotes Outfit und scheint ganz und gar von dort zu kommen. „Man kann da rechts rum fahren, dann den Berg rauf und dann kommt man zum Rathaus“, hilft er mir, ohne zu fragen, wohin ich eigentlich will. „Aber ich muss nach Füssen!“, entgegne ich. „Ich glaube, ich fahre da rum, und dann passt das schon.“ – „Ja, das geht auch“, sagt der Junge. „Und wenn nicht, kann man ja irgendwo klingeln und nach dem Weg fragen.“
Sicher kann man das. ?
Ich fliege nach Füssen oder eher Brunnen, einem Vorort, checke auf dem Campingplatz ein und bin tatsächlich um 1510 schon da. Die Sonne brennt, ich triefe, baue – wieder in Rekordzeit – mein Zelt auf und merke: das wird nichts mehr mit 1600 Uhr. Aber wieder Glück im Unglück: Die zweite gebuchte Tour um 1655 Uhr müsste ich schaffen, und tue ich dann auch. Man lässt mich rein, will keinen Presseausweis sehen (Kudos, Jan!) und dann: Neuschwanstein! Yeah!
Wobei ich zugeben muss, dass mir der Blick aus dem Fenster und der Blick auf das Schloss besser gefällt als im Schloss selbst – wo ich keine Fotos machen darf und es mir auch irgendwie düster erscheint.
Die Gegend ist wunderwunderschön. Schade, dass ich nicht länger bleiben kann und so durchhetzen muss. Aber irgendwie geht es auch nicht anders. Vielleicht ist die Tour aber auch dazu gut, um mal zu sehen, wo man eigentlich noch so Urlaub machen könnte. Im Allgäu wäre ich sofort dabei!
A propos Allgäu: Auf dem Rückweg komme ich an einem Biergarten vorbei, an dem eine Blaskapelle spielt. Es ist ein bizarres Schauspiel, aber die Bayern scheinen ihre Traditionen zu lieben. Ich komme ins Grübeln: welche Traditionen habe ich eigentlich? Man kann das sonderbar finden mit den Bayern, ihren Bergen, Bier und Blasmusik. Aber es verortet einen Bayern klar auf der Landkarte. Ich bin ein bisschen neidisch und nachdenklich – oder vielleicht einfach nur geschafft.
Telefoniere danach noch kurz mit (dem Original-Rheinländer) Jan. Fühle mich besser danach.
Und eigentlich wollte ich früh schlafen gehen. Bin total entkräftet und hab ein leichtes Schlafdefizit. Und morgen soll es in einer echten Gewaltetappe bei Hitze, Regen und Gewitter nach München gehen, wo ich Caro und Kerstin wiedersehe (freue mich). Die erste echte Etappe der Süd-Nord-Reise. Wünscht mir Glück!
Ich weiß nicht genau, woher es kommt. Mein kaputtes Fahrrad ist es schon nicht. Aber am Abend, nachdem ich mich noch mit Nico zum Tapasessen treffe, falle ich in ein Loch. Ich bin traurig wie schon lange nicht mehr und kann noch nicht mal genau sagen warum. Ist es, weil ich mich allein fühle? Weil ich denke, jeder hat mehr Spaß als ich? Niemand ist einsam? Weil ich alle meine Chancen auf eine glückliche Beziehung bisher irgendwie immer in den Wind geschossen habe? Immer noch nicht so richtig aus mir heraus gehen kann?
Viele Fragen, keine Lösung. Wenigstens habe ich ein schönes Zimmer, denke ich, und kann erst einmal ausschlafen. Und das tue ich dann auch.
Am nächsten Morgen lote ich meine Optionen aus. Ein neues Fahrrad zu kaufen, steht ebenso noch im Raum wie abends nach Bonn zurück zu fahren, wo Juan und Britta gemeinsam Geburtstag feiern (denke ich zumindest). Mein Zimmer hatte ich am Morgen schon vorsorglich um eine Nacht verlängert, was kein Problem war (außer dass ich noch einen Raum weiter ziehen muss, bald habe ich sie alle durch…)
In einem türkischen Restaurant esse ich eine Falafel zu Mittag. Der Besitzer streitet sich erstaunlich scharf vor aller Ohren mit seinem Sohn, der nach Stuttgart ziehen will. Er habe das hier alles satt, sagt der, wolle nur noch weg.
„Und was willst du da machen?“
„Arbeiten“
„Als was?“
„Ich putz da Zimmer, dann hab ich mehr Freizeit. Hier muss ich nur arbeiten.“
„Musst du da auch.“
„Aber dann habe ich frei hinterher.“
„Und machst was?“
„Freunde treffen, spazieren gehen.“
Hm.
So ähnlich habe ich in dem Alter auch gedacht. Man fühlt sich eingesperrt, hoffnungslos, alles scheint besser zu sein als das Leben, in dem man gerade steckt.
Anschließend besuche ich ein Fahrradgeschäft in der Innenstadt. Der Besitzer bietet mir ein kaum gebrauchtes Karbon-Rennrad für 1.800 Euro an, das neu etwa 6.000 bis 7.000 kosten würde. An sich schon ein prima Deal, aber mich interessiert nur eins: „Kann man da auch Schutzbleche und einen Gepäckträger drauf montieren?“. „Klar“, sagt der Besitzer, „im Prinzip schon“.
Ich verspreche, es mir zu überlegen und verlasse den Laden, als ich auf dem Handy einen verpassten Anruf entdecke – von einer Karlsruher Nummer. Ich rufe sofort zurück.
Es ist tatsächlich die Fahrradwerkstatt. Mein Fahrrad ist schon fertig, nicht mal einen Tag, nachdem ich es abgegeben habe. Ich bin sogar in der Nähe und stürme sofort in die Werkstatt. Der Besitzer schraubt es noch zusammen, gibt mir ein paar Tipps, ist sich sicher, dass ich noch bis Sylt damit komme und verlangt dann bloß 85 Euro von mir. Für das Auswuchten und eine neue Felge, was bis zu 150 hätte kosten können. Ich habe Mühe, meine Freude zu verbergen.
Und jetzt? Bei einem Kaffee in der Eisdiele unten überlege ich kurz, aber nicht lange. Schade um das schon gebuchte Zimmer, aber ich nutze es für meine gute Tat des Tages: ich schreibe dem Vermieter, dass ich im Zimmer noch nichts angefasst habe und er es, so wie es ist, auch gerne noch einmal vermieten kann. Aber ich müsse weiter.
Ich entscheide mich für den Zug und schiffe mich in Richtung Stuttgart, dann nach Plochingen ein. Nein, ist nicht ganz im Sinne einer Fahrradtour, aber ich habe schon zu viel Zeit verloren. Nur den Rest der Strecke zum Campingplatz nach Aichelberg kurz vor Göppingen fahre ich mit dem Rad, um noch ein bisschen den Kopf frei zu kriegen.
Und holla die Waldfee, ist es hier schon bergig! Und ich wollte ernsthaft ohne Motor noch so manchen Berg rauf. Ich freue mich plötzlich sehr über mein E-Bike.
Hier habe ich tatsächlich mal gewohnt:
Also genau hier…
Und: nein. Man soll nie nie sagen, aber: nein. Dahin muss ich nicht zurück. Genau genommen sogar für kein Geld in der Welt…
Mein zweitgrößtes Erfolgserlebnis heute nach der Sache mit der kostengünstigen Reparatur: Auf dem Campingplatz in Aichelberg am Fuße der Schwäbischen Alb rede ich eine Vierstelstunde lang mit meinen niederländischen Nebencampern. Auf Niederländisch. Ich verstehe fast alles und kann beinahe alles sagen, was ich sagen möchte. ? Gefreut haben sie sich auch.
Später treffe ich Rainer und Melanie in einem italienischen Restaurant an einem Golfplatz in der Nähe. Rainer war einmal mein Ausbildungsleiter, später ist man irgendwie in Kontakt geblieben. Das letzte Treffen ist dennoch schon rund 10 Jahre her. Rainer selbst hat die Firma gewechselt. Melanie, seine Frau, hat umgeschult und fährt jetzt Rettungswagen. Später gehen wir noch eine Runde spazieren und genießen den lauen Sommerabend, bevor ich mich – kaum die Hand vor Augen sehend – zurück zum Zeltplatz durchschlage.
Die Freude in den Augen des italienischen Küchenpersonals, bei dem wir aßen, als sie Rainers und Melanies Hunde erspähten:
Hach, Italiener…
Nebenbei: ich glaube, ich möchte eigentlich gar nicht mehr alleine arbeiten oder alleine sterben. Ich mache sehr viel alleine, weil mich andere Menschen einfach immer irgendwie überfordert haben, wenn ich sie zu lange um mich herum hatte. Aber ich merke mittlerweile: so schlimm ist das gar nicht, ich vermisse nette Vor-Ort-Kollegen und einen netten Menschen an meiner Seite.
Morgen dann der Plan, mich halb mit Bahn, halb mit Rad bis Füssen durchzuschlagen. Dann kann die eigentliche Süd-Nord-Tour beginnen – vor der ich mittlerweile einen Heidenrespekt habe.
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Das ist übrigens Rainer neben mit. Habter mal ein Bild von einem meiner treuesten Leser ?:
Und hier noch ein schönes Nachtbild:
Und das sollte witzig sein. ☝️ Aber ich konnte hier nicht näher ranzoomen, dann verliert es auch seinen Joke. Auto parkt halt auf dem Fahrradparkplatz…
„Oh nein, das sieht gar nicht gut aus. Und wir haben da auch nicht das richtige Zeug für“, sagt der unfassbar nette, von oben bis unten tätowierte Fahrradmechaniker mit langen Haaren. „Aber es gibt da einen Laden, der dir vielleicht helfen kann. Sag denen, dass ich dich geschickt habe!“
Und so komme ich dann nach einem sehr langen Vormittag ungeplanterweise in Karlsruhe an.
Nachts raschelt es bedenklich auf dem Zeltplatz, und hin und wieder brummt auf dem Rhein ein Kahn vorbei. Aber sonst schlafe ich wie ein Baby. Am nächsten Morgen zeigt mir mein Nebenzelter Nico die Tafel Schokolade, die er nachts vor seinem Zelt vergessen hatte ?.
Es ist einer der schönsten Zeltplätze, die ich kenne und das Betreiber-Pärchen ist mit Herzblut bei der Sache. Aber das mit den Ratten… Na ja, solange sie dir nicht in den Schlafsack hüpfen…
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Ich bin der Letzte auf dem Zeltplatz heute, hab es nicht ganz so eilig, verabschiede mich von Nico, der Familie und dem Betreiberpärchen und fahre dann ganz gemütlich los Richtung Stuttgart.
Last Man Camnping auf dem Zeltplatz
Nach etwa 20km treffe ich plötzlich Nico wieder, der vor einer Absperrung nicht weiter kommt. Wir dachten eigentlich, dass wir unterschiedliche Wege hätten, weil er nach Karlsruhe will und ich nach Stuttgart. Aber nun fahren wir ein Stück gemeinsam. Macht Spaß, mal mit jemandem zusammen zu fahren, auch wenn es nur 5 Kilometer sind.
Muss außerdem witzig wirken, wie unsere gleichzeitig eingeschalteten Navis immer leicht zeitversetzt dasselbe sagen. Bis sie es plötzlich nicht mehr tun und ich mich von Nico verabschieden muss.
In einem kleinen Ort sehe ich das Schild zu einem Fahrradgeschäft und fahre spontan hin. Seit Tagen suche ich eine Werkstatt, die mal einen Blick auf die Acht in meinem Hinterrad werfen könnte. Aber alle Radläden unterwegs haben gerade Mittagspause, generell geschlossen oder Sommerferien. Und der nun hat jetzt auch Mittagspause ab 1300. Es ist 1300 Uhr, ich rüttele an der Eingangstür, aber sie ist zu. Na dann, wie immer. Ich sattele auf und will davon rollen. Als sich die Tür dann plötzlich doch noch öffnet, der Besitzer rauskommt – und mein Verhängnis wird. Oder sagen wir lieber: Botschafter meines Verhängnisses.
Denn er wirft ganz entspannt und mit geübtem Auge einen Blick auf mein Hinterrad, bestätigt dass das eine veritable Acht habe und das anscheinend schon lange (wusste ich) und fügt en passant hinzu dass die Felge gerissen sei. „Die wird irgendwann ganz auseinander brechen. Das wird jetzt nur noch schlimmer.“ Bis Neuschwanstein käme ich damit eher nicht mehr, geschweige denn bis Sylt.
Felge gerissen
Und jetzt? Müsste repariert werden. Entweder neues Hinterrad – kostet zusammen mit Nabe um die 600 Euro und müsste erstmal jemand da haben, jetzt, wo gerade Ersatzteilkrise ist. Oder neue Felge und dann noch mal geraderichten. Kostet etwas über 100 Euro, aber dafür müsste man erstmal jemanden finden, der passendes Werkzeug und vor allem dafür Zeit hat. Er leider nicht.
Etwas niedergeschlagen bedanke und verabschiede ich mich, lasse ihm noch den Rest seiner Mittagspause und gönne mir selbst eine. Viel ist nicht los an dem Ort, aber es gibt einen Dönermann, bei dem ich etwas Vegetarisches bestelle, und eine Eisdiele.
Plötzlich kommt mir eine verrückte Idee: Im Grunde fällt mein Bike schon halb auseinander (etwas übertrieben gesprochen). Die Gangschaltung macht schon lange Probleme, der Bremsschlitten lässt sich nicht mehr ganz festziehen, der Ständer und die Klingel, dazu manchmal das Display…. Es sind hauptsächlich Kleinigkeiten, aber spätestens nach dem Trip hätte ich das E-Bike eh verkaufen wollen und wäre auf was ohne Motor umgestiegen. Warum nicht jetzt gleich Nägel mit Köpfen machen, das alte in Zahlung geben, ein neues kaufen?
Long story short: Um 1400 stehe ich erneut in seinem Laden und schlage ihm genau das vor. Even longer story even shorter: Wir finden nichts Passendes und er dafür etliche, leider stichhaltige Gründe, warum er mein E-Bike lieber nicht in Zahlung nehmen würde. Unter anderem, weil er seinen Laden in drei Wochen für immer schließen würde. Warum, möchte er lieber nicht sagen. Aber ich ziehe geschlagen von dannen, auch wenn die Idee bleibt. Und so setze ich mich, weil der kleine Ort immerhin einen S-Bahn-Anschluss hat, in die nächste Bahn in die nächste Großstadt, in der ich mir besten Fahrradservice erhoffe: Karlsruhe.
Und kaum bin ich da, gucke ich auf Booking.com nach einem Zimmer für die Nacht (Zeltplätze sind VIEL zu weit draußen), finde eins direkt am Bahnhof mit guten Bewertungen für nur 46 Euro und fahre direkt zum ersten Fahrradgeschäft, wo ich auf den liebenswerten, hippen Mechaniker treffe. Er sei mehr auf Fahrräder spezialisiert, mit denen man von einem Haus zum anderen springen könne. Ja, natürlich… Aber in Karlsruhe wären alle Radgeschäfte miteinander vernetzt und irgendjemand würde bestimmt helfen können. Wenn nicht, solle ich ihn nochmal anrufen. Unfassbar nett…
Der nächste Laden schickt mich auch direkt eins weiter. Erst der Dritte, ein Spezialist für Rennräder, erbarmt sich schließlich meiner. Er könnte mir anbieten, das bis Ende der Woche „auszuwuchten“. Ende der Woche?! Wir haben gerade mal Dienstag. Aber ich habe mitbekommen, wie ausgelastet jede Radwerkstatt von hier bis zum Mississippi gerade ist. Und ich will nicht immer nein sagen, habe eh keine Alternative und sage erstmal zu.
Schon gut angeschwitzt durch die Fahrten durch die Stadt (dafür taugte das Rad gerade noch) schleppe ich dann meine Taschen vom Fahrradgeschäft bis zur Tram, frage eine alte Frau nach den Weg, muss umsteigen, erreiche meine Bleibe direkt am Bahnhof, gebe den Code ein, bekomme den Schlüssel, öffne die Tür und sehe, dass das Zimmer offensichtlich noch nicht gemacht worden ist:
Das nicht jetzt auch noch! Ich rufe den Vermieter an, der sofort erstaunlich hilfsbereit und emsig wird und sich vielmals entschuldigt. Und tatsächlich: binnen 5 Minuten die Lösung: ich werde kurzfristig auf das größere Nebenzimmer upgegradet, muss dafür nur eben den Schlüssel unten in der Eisdiele nebenan holen. Öh, okay.
Das tue ich dann auch noch, die Italiener sind sehr hilfsbereit und siehe, wenige Minuten später ziehe ich in ein präsidiales Zimmer in zentralster Lage. Für nur 46 Euro!
Dort liege ich jetzt und schreibe dieses Kapitel. Weil ich mich errinerte, dass Nico ja auch nach Karlsruhe wollte und wir Instagram-Kontakte ausgetauscht hatten, schreibe ich ihm und wir treffen uns noch. Trinken und essen was zusammen. Und Karlsruhe ist schon schön. Gefällt mir hier!
Ich hatte zwei Möglichkeiten heute Abend. Mich mit einem Aperol Spritz am Mannheimer Stadtbad bei herrlicher Abendsonne an den Rhein zu setzen. Oder mit der Familie zu Abend essen, mit der ich mich bei meiner Ankunft angefreundet hatte. Etwas überraschend vielleicht habe letzteres gewählt:
Als ich nach 160 km heute endlich am Ziel ankomme, ist die Rezeption schon geschlossen. Öh. Und jetzt?!
„Kein Problem“, sagt der Camper, der mit seiner Familie direkt daneben auf der Zeltwiese sein Lager aufgeschlagen hat. „Schnapp dir einfach einen Platz und sag denen morgen Bescheid. Die schicken hier normal keine Radfahrer weg.“
Na gut, denke ich mir, das passt dann irgendwie auch zu diesem chaotischen Tag…
Die Nacht war laut und kurz, ich bin immer wieder hochgeschreckt. Und meistens war ein tuckernder Kahn auf dem Rhein die Ursache dafür. Oder ein Auto, oder ein Güterzug. Gleich hinter dem Campingplatz an der Loreley, die direkt am Rhein gelegen ist, führt die Schnellstraße B9 entlang, dahinter eine Bahntrasse. Und auf der gegenüberliegenden Seite, von der die Geräusche herüberhallen: noch einmal genau dasselbe.
Netto dürfte ich kaum Tiefschlaf abbekommen haben. Hat man dann davon, wenn man zu stolz ist, seine Ohrstöpsel zu verwenden. Um 0630 gebe ich auf und packe zusammen. Nur um dann festzustellen, dass mein quasi leeres Smartphone überhaupt nicht geladen hat. Es hat meine Powerbank über USB-C als Zubehör eingestuft und dann einfach nichts gemacht. Super!
Die Rezeption mit ihrem kleinen Campingshop hat noch geschlossen, ich fahre also auf gut Glück los, frage den Verkäufer einer Tankstelle, der mich zu einem Baumarkt weiter schickt, welcher aber noch geschlossen hat, als ich ankomme. Ein neues Ladekabel und ein paar Automatenbrötchen bekomme ich schließlich eine Ecke weiter in einem Rewe.
Irgendwie läuft heute alles schleppend. Alle paar Kilometer bremst mich was aus, ich finde den Weg nicht mehr, das Smartphone braucht 3 Stunden zum Laden und mein Rückrad eiert. Ja tatsächlich, da scheine ich eine Acht reingefahren zu haben, was natürlich sensationell ist…
Aber wenigstens das Frühstücksambiente ist dann ganz nett. 🙂
Und ein paar Kilometer weiter in Bingen komme ich zufällig an dem Zeltplatz mit Biergarten vorbei, an dem ich vor zwei Jahren abgestiegen war, und ich beschließe spontan, da meinen zweiten Kaffee zu trinken. Und weil mich erinnere, dass die das beste Helle haben, das ich je getrunken hatte, bestelle ich gleich eins mit. Biertrinken um 10 Uhr morgens?! Na ja, es ist Urlaub – und ich bin hier noch nicht einmal der einzige, der das tut. Ist an der Zeit, das mal auszuprobieren!
Stellt sich dann aber als keine so gute Idee heraus. Ich komme in schlechte Stimmung, meine Gedanken kreisen um negative Dinge. Und zu allem Übel gurke ich stundenlang in Mainz herum. Ich suche ein Fahrradgeschäft, das mir kurzfristig wegen des Rückrads helfen könnte, aber der Fahrradgroßhändler winkt ab: 2-3 Wochen Wartezeit auf einen Termin. Zwei kleine Radläden etwas außerhalb der Innenstadt: gerade Betriebsferien.
Ich esse was an einer Pommesbude und ärgere mich über mich selbst. Bisher habe ich noch kein einziges Vitamin zu mir genommen, seit ich losgefahren bin. Später suche ich einen Friedhof, um meine Wasserflasche wieder aufzufüllen, finde nur einen den Berg rauf und schalte zum ersten Mal auf der Reise meinen E-Bike-Motor an. Müde sinke ich wenig später am Rhein im Schatten auf eine Parkbank und mache erstmal ein Schläfchen:
Es ist schon 1530, als ich endlich aus Mainz rauskomme. Erst knapp 70 km habe ich geschafft. Doch dann gerate ich in den Nachmittagsflow, komme plötzlich besser voran und überlege mir kurz vor Worms, hier eigentlich Schluss für heute zu machen. Das Problem: es gibt keine Campingplätze in der Nähe, die zu erreichen wären. Der nächste ist tatsächlich erst der in Mannheim, auf dem ich vor zwei Jahren schon einmal war.
Eigentlich wollte ich an keinem Ort ein zweites Mal absteigen, aber den habe ich als gut in Erinnerung, und damals habe ich nette Leute dort kennengelernt. Und so lasse ich mich von Google Maps dahin leiten, fliege in einem Gewaltakt die letzten Kilometer nach Mannheim, schleppe mein Zeugs zwischendurch notgedrungen eine steile Brücke rauf und wieder runter, warte ewig vor einem Bahnübergang, nur um hinterher festzustellen, dass es die Brücke dahinter gerade gar nicht gibt:
Und erreiche schließlich um 19:56 die Rezeption, die eigentlich bis 2000 auf haben sollte. Na toll… Aber dann die unerwartete Hilfe durch den Familienvater.
Während ich mein Zelt aufbaue, erzählt mir sein Sohn ein bisschen was und erwähnt nebenbei, dass sie schon seit 3 Monaten unterwegs seien. Auf den Kanaren gestartet, dann über Marokko, Spanien und Frankreich mit dem Rad nach Deutschland zurück. Musstet ihr gar nicht in die Schule, frage ich? Nein, die Eltern hätten da Gesetze gewälzt und rausgefunden dass bis zu 2 Monate erlaubt sein. Der Rest dann Sommerferien. Die Schule hatte am Ende eingewilligt mit der Bitte, das nicht an die allergrößte Glocke zu hängen.
Oha, erst drei Monate die Freiheit gespürt und jetzt zurück in den deutschen Alltag… Beim Essen frage ich sie, ob sie sich darauf freuen. Die Kinder (ca. 11 und 14) so: „Jaaa!“ Die Eltern sagen nichts.
Sehr nette, sehr aufgeweckte Leute! Der Junge sagt, ihm sei aufgefallen, dass ich vor dem Aufpusten meiner Luftmatratze auf die Uhr geschaut hätte (in der Tat, ich wollte heute einfach mal wissen, wie lange ich dafür brauche, 1:30 min) und später, als mein E-Bike-Akku geladen ist, dass jetzt sogar die Leuchte am Ladegerät grün sei. Vorher habe sie orange geleuchtet. Aufmerksamer Typ das!
Ich hatte eine eigene Familie für mich eigentlich immer ausgeschlossen, weil ich mir im Geiste nicht ausmalen konnte, wie das ohne Trauer und Drama funktionieren könnte. Noch dazu habe ich sowas immer als Klotz am Bein gesehen; adé Freiheit. Aber ich sehe immer wieder Beispiele, gerade auf Campingplätzen, wo Familien eben doch gut funktionieren. Eine Familie zu haben, kann etwas richtig Schönes sein. Muss ich einfach mal anerkennen.
Während ich diese Zeilen schreibe, schnarchen hinter mir schon die ersten auf der Zeltwiese. Es ist nach Mitternacht, die Ratten quietschen. Ja, es gibt hier einige. Und ja, es stellt sich trotzdem wieder als der freundlichste Zeltplatz heraus, auf dem ich je war. Nach dem Abendessen mit der sportlichen Familie unterhalte ich mich noch eine Stunde sehr gut mit meinem Nebenzelter Nico aus Oldenburg. Sehr netter Kerl, und ich habe mir fest vorgenommen, gute Gespräche nie durch etwas wie Bloggen zu verkürzen. Aber jetzt Zeit zu schlafen. Weil morgen… hui, mal sehen!
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Notizen
Es gibt sie wirklich:
Stadtbad Mannheim:
Ich habe den Kellerschlüssel, den ich neulich verloren habe und für den ich das Vorhängeschloss knacken musste, heute früh in meinem Portemonnaie wiedergefunden… ?
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Fluss des sichelförmigen Mondes:
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