Sport bietet viele Lebensweisheiten. Man muss nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Was ich gestern Abend nicht tat.
Nach drei Stunden Tischtennis-Training, darunter zwei Stunden Einzeltraining, spielte ich noch eine Partie gegen Cedric und verlor recht klar. Cedric gab mir hinterher ein paar Tipps, was ich besser machen könnte. Unter anderem mit meinem Vorhand-Topspin. Den würde ich irgendwie nicht ganz richtig machen.
Du interessierst dich nicht für Tischtennis, das ist schade, aber in Ordnung. Wichtig ist hier nur zu wissen: Der Vorhand-Topspin ist so in etwa der wichtigste Angriffsschlag im Tischtennis, wenn nicht der wichtigste Schlag überhaupt. Vergleichbar vielleicht mit dem Dribbling beim Fußball oder dem Schalten beim Autofahren. Schwer zu lernen, aber sollte man schon können, wenn man in der Tätigkeit aktiv ist.
Cedric zeigte mir anhand einer Trockenübung, wie der Topspin wirklich geht. Ich versuchte ihn nachzuahmen, bekam es nicht hin…
– „Du hebst die Schulter zu sehr nach oben, lass den Arm nach vorne schwingen.“
– „So?“
– „Du ziehst wieder nach oben. Hol den Schwung aus der Schulter und dreh den Oberkörper dabei.“
– „So?“
– „Jetzt drehst du nur den Oberkörper. Hol den Schwung mehr aus der Hüfte.“
– „So?“
– „Nein, jetzt…“
Cedric hatte eine Engelsgeduld, aber ich bekam es nicht hin… Gut, ich hatte da schon dreieinhalb Stunden Training hinter mir, lechzte nach einem Schluck Wasser und mein Kopf war voll.
– „Ich werde es zuhause mit Trockenübungen vor dem Spiegel versuchen“, versprach ich.
– „Oder nimm dich dabei auf Video auf“, schlug Cedric noch vor.
Als ich wieder zuhause war, war ich zerknirscht. Seit über 30 Jahren spiele ich jetzt Tischtennis, hab nur ein leicht gehobenes Fortgeschrittenenniveau erreicht. Seit etwa einem halben Jahr nehme ich zudem gelegentlich Einzeltraining, den Vorhand-Topspin hatten wir natürlich da schon längst behandelt. Aber ich kann den Schlag immer noch nicht richtig.
Es ist zudem so, dass ich oft erstarre und gar nichts mehr hinkriege, wenn mir einer eine Übung vormacht. Das ist auch bei Kunst oder Musik so, und das war schon im Sportunterricht in der Schule so, wo ich selten mal über eine 3 hinauskam. Auch super, wenn jetzt plötzlich Erinnerungen daran und diesen besch* Sportlehrer hochkommen. Mir fehlen da anscheinend einfach Spiegelneuronen. Oder bin ich schlicht zu dumm dafür? Oder gar zu dumm für alles? Zu einer Karriere in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik hat es ja auch nicht gereicht.
Kurz kam mir dann gestern Abend der Gedanke, es zu akzeptieren und einfach so weiterzumachen. Dann bin ich halt zu doof und kann nicht jeden Schlag richtig. Von Tischtennis hängt zum Glück nicht das eigene Wohlbefinden und ganz selten nur das Wohl der Welt ab (eine erfreuliche Ausnahme war die Pingpong-Diplomatie). Ganz, ganz kurz kam mir dann auch die Idee, Tischtennis ganz dranzugeben, weil, wenn man sich in seinem Elend suhlt, man zu Übertreibungen neigt. Aber den Gedanken verwarf ich ganz schnell wieder.
Heute Abend schwang ich mich aufs Rad, was mir immer gut tut, fuhr ein paarmal den Berg rauf und wieder runter und kam recht gut gelaunt nach Hause. Das Badewasser lief bereits ein, da beschloss ich, die Energie zu nutzen, um noch schnell die Trockenübungen für den Vorhand-Topspin zu machen, wie Cedric versprochen.
Ich baute in meinem Schlafzimmer kurz das Stativ auf, klemmte das iPhone ein, drückte auf Play, schwang ein wenig den Arm und beobachtete mich dabei im Display. Hey, das sah schon gut aus. Noch etwas mehr ausholen. Wirklich schwingen lassen. Okay, jetzt, so könnte es gehen. Ich trat einen Schritt zurück, sah mich dann noch besser selbst im Display. Und schon Sekunden später gelang es mir: Ich hatte den nötigen Schwung raus, von hinten nach vorne, Oberkörper und Hüfte schwangen wie von selbst mit. Schnell! Kurz den Schläger ausgepackt und geschaut, ob es auch damit funktioniert. Jepp, noch bisschen anders, aber genauso einfach. Fünfmal geschwungen, dann sah es gut aus. Könnte ich das auch noch mit der Rückhand? Mal versuchen. Doch, sah ebenfalls gut aus, ein paarmal hörte ich sogar ein „Woosh“-Geräusch dabei, was wohl bedeutet, dass ich das dynamisch genug gemacht hatte. So könnte es gehen. Morgen und übermorgen nochmal, und dann das alles mal an der Platte mit Mitspielern/Gegnern ausprobieren. Aber genug, ich wollte ja ins Bad.
Ich ging zum iPhone und wollte die Aufnahme stoppen. Da sah ich die Anzeige im Display: 1:45 Minute. Das ganze Brimborium hatte nicht einmal 2 Minuten gedauert. 1:45 Minute, und ich kenne nun die Grundbewegung des Schlags, von dem ich dachte, ich wäre zu doof dafür, ich könne das einfach nicht, ich könne im Grunde gar nichts, ich sollte es doch einfach lassen.
1:45 Minute…
Ja, sicher, ich werde noch ein paar Minuten:45 mehr brauchen, um die Bewegung zu verinnerlichen, sie auch an der Platte umzusetzen und sie so zu verfeinern, dass meine Gegner reihenweise die Flucht ergreifen. 😉 Viel länger aber wahrscheinlich auch nicht…
1:45 min…
Ich muss euch nicht sagen, was diese Erkenntnis für dich, für mich, für alle bedeutet, tue es aber trotzdem: Du bist nicht zu doof dazu. Du lernst vielleicht nur anders und besser in einem anderen Umfeld als andere. Oft liegt es am Lehrer, den Mitschülern, deiner Verfassung an dem Tag und wie viel Aufmerksamkeit du gerade noch hast. Vielleicht lernst du auch anfangs besser alleine oder bist eher der Typ, der mit anderen Leuten besser lernen kann. Aber nein, gerade wenn du schon ein gewisses Level in etwas erreicht hast (und das hast du meist), dann bist du definitiv nicht zu doof.
1:45 min…